Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Nächte. Sie hätte ihre Lebensgeister frey, und
ihr Gemüth ziemlich erleichtert befunden: und
da ihr, wie sie Ursache hätte zu denken, nur noch
eine kurze Zeit, und in derselben vieles zu thun,
übrig wäre; so müßte sie eine gute Haushälte-
rinn mit ihren Stunden seyn.

Sie hätte einen Brief an ihre Schwester
schreiben wollen, setzte sie hinzu: aber wäre selbst
nicht damit zufrieden gewesen; ob sie gleich zwey
oder dreymal einen Versuch gethan, und einen
Aufsatz gemacht hätte. Jedoch müßte der letzte
hingehen.

Nach dem, was ich ihr von Zeit zu Zeit zu
verstehen gegeben hätte, fände sie Ursache zu ge-
denken, sprach sie hierauf, daß ich alles wüßte,
was sie und ihre Familie beträffe, und also, wo-
fern es an dem wäre, auch um den schweren
Fluch, den ihr Vater auf sie geleget hätte, wissen
müßte. Dieser wäre in einem Theile, in Anse-
hung der zeitlichen Hoffnung, welche sie vor sich
gehabt, auf eine schreckliche Art erfüllet: und das
in sehr kurzer Zeit. Aus der Ursache fürchtete
sie sich heftig vor dem andern Theil. Daher
hätte sie sich an ihre Schwester gewandt, eine
Wiederrufung desselben auszuwirken. Jch hoffe,
sagte sie, mein Vater wird ihn wiederrufen.
Sonst wird es sehr elend um mich stehen. - -
Dennoch aber - - Hiebey blieb ihr der Othem
vor Furcht zurück, indem sie redete - - bin ich
geneigt, vor der Antwort, die erfolgen mag, zu

erzit-



Naͤchte. Sie haͤtte ihre Lebensgeiſter frey, und
ihr Gemuͤth ziemlich erleichtert befunden: und
da ihr, wie ſie Urſache haͤtte zu denken, nur noch
eine kurze Zeit, und in derſelben vieles zu thun,
uͤbrig waͤre; ſo muͤßte ſie eine gute Haushaͤlte-
rinn mit ihren Stunden ſeyn.

Sie haͤtte einen Brief an ihre Schweſter
ſchreiben wollen, ſetzte ſie hinzu: aber waͤre ſelbſt
nicht damit zufrieden geweſen; ob ſie gleich zwey
oder dreymal einen Verſuch gethan, und einen
Aufſatz gemacht haͤtte. Jedoch muͤßte der letzte
hingehen.

Nach dem, was ich ihr von Zeit zu Zeit zu
verſtehen gegeben haͤtte, faͤnde ſie Urſache zu ge-
denken, ſprach ſie hierauf, daß ich alles wuͤßte,
was ſie und ihre Familie betraͤffe, und alſo, wo-
fern es an dem waͤre, auch um den ſchweren
Fluch, den ihr Vater auf ſie geleget haͤtte, wiſſen
muͤßte. Dieſer waͤre in einem Theile, in Anſe-
hung der zeitlichen Hoffnung, welche ſie vor ſich
gehabt, auf eine ſchreckliche Art erfuͤllet: und das
in ſehr kurzer Zeit. Aus der Urſache fuͤrchtete
ſie ſich heftig vor dem andern Theil. Daher
haͤtte ſie ſich an ihre Schweſter gewandt, eine
Wiederrufung deſſelben auszuwirken. Jch hoffe,
ſagte ſie, mein Vater wird ihn wiederrufen.
Sonſt wird es ſehr elend um mich ſtehen. ‒ ‒
Dennoch aber ‒ ‒ Hiebey blieb ihr der Othem
vor Furcht zuruͤck, indem ſie redete ‒ ‒ bin ich
geneigt, vor der Antwort, die erfolgen mag, zu

erzit-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0440" n="434"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Na&#x0364;chte. Sie ha&#x0364;tte ihre Lebensgei&#x017F;ter frey, und<lb/>
ihr Gemu&#x0364;th ziemlich erleichtert befunden: und<lb/>
da ihr, wie &#x017F;ie Ur&#x017F;ache ha&#x0364;tte zu denken, nur noch<lb/>
eine kurze Zeit, und in der&#x017F;elben vieles zu thun,<lb/>
u&#x0364;brig wa&#x0364;re; &#x017F;o mu&#x0364;ßte &#x017F;ie eine gute Hausha&#x0364;lte-<lb/>
rinn mit ihren Stunden &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Sie ha&#x0364;tte einen Brief an ihre Schwe&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;chreiben wollen, &#x017F;etzte &#x017F;ie hinzu: aber wa&#x0364;re &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht damit zufrieden gewe&#x017F;en; ob &#x017F;ie gleich zwey<lb/>
oder dreymal einen Ver&#x017F;uch gethan, und einen<lb/>
Auf&#x017F;atz gemacht ha&#x0364;tte. Jedoch mu&#x0364;ßte der letzte<lb/>
hingehen.</p><lb/>
          <p>Nach dem, was ich ihr von Zeit zu Zeit zu<lb/>
ver&#x017F;tehen gegeben ha&#x0364;tte, fa&#x0364;nde &#x017F;ie Ur&#x017F;ache zu ge-<lb/>
denken, &#x017F;prach &#x017F;ie hierauf, daß ich alles wu&#x0364;ßte,<lb/>
was &#x017F;ie und ihre Familie betra&#x0364;ffe, und al&#x017F;o, wo-<lb/>
fern es an dem wa&#x0364;re, auch um den &#x017F;chweren<lb/>
Fluch, den ihr Vater auf &#x017F;ie geleget ha&#x0364;tte, wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mu&#x0364;ßte. Die&#x017F;er wa&#x0364;re in einem Theile, in An&#x017F;e-<lb/>
hung der zeitlichen Hoffnung, welche &#x017F;ie vor &#x017F;ich<lb/>
gehabt, auf eine &#x017F;chreckliche Art erfu&#x0364;llet: und das<lb/>
in &#x017F;ehr kurzer Zeit. Aus der Ur&#x017F;ache fu&#x0364;rchtete<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich heftig vor dem andern Theil. Daher<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;ie &#x017F;ich an ihre Schwe&#x017F;ter gewandt, eine<lb/>
Wiederrufung de&#x017F;&#x017F;elben auszuwirken. Jch hoffe,<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, mein Vater wird ihn wiederrufen.<lb/>
Son&#x017F;t wird es &#x017F;ehr elend um mich &#x017F;tehen. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Dennoch aber &#x2012; &#x2012; Hiebey blieb ihr der Othem<lb/>
vor Furcht zuru&#x0364;ck, indem &#x017F;ie redete &#x2012; &#x2012; bin ich<lb/>
geneigt, vor der Antwort, die erfolgen mag, zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">erzit-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0440] Naͤchte. Sie haͤtte ihre Lebensgeiſter frey, und ihr Gemuͤth ziemlich erleichtert befunden: und da ihr, wie ſie Urſache haͤtte zu denken, nur noch eine kurze Zeit, und in derſelben vieles zu thun, uͤbrig waͤre; ſo muͤßte ſie eine gute Haushaͤlte- rinn mit ihren Stunden ſeyn. Sie haͤtte einen Brief an ihre Schweſter ſchreiben wollen, ſetzte ſie hinzu: aber waͤre ſelbſt nicht damit zufrieden geweſen; ob ſie gleich zwey oder dreymal einen Verſuch gethan, und einen Aufſatz gemacht haͤtte. Jedoch muͤßte der letzte hingehen. Nach dem, was ich ihr von Zeit zu Zeit zu verſtehen gegeben haͤtte, faͤnde ſie Urſache zu ge- denken, ſprach ſie hierauf, daß ich alles wuͤßte, was ſie und ihre Familie betraͤffe, und alſo, wo- fern es an dem waͤre, auch um den ſchweren Fluch, den ihr Vater auf ſie geleget haͤtte, wiſſen muͤßte. Dieſer waͤre in einem Theile, in Anſe- hung der zeitlichen Hoffnung, welche ſie vor ſich gehabt, auf eine ſchreckliche Art erfuͤllet: und das in ſehr kurzer Zeit. Aus der Urſache fuͤrchtete ſie ſich heftig vor dem andern Theil. Daher haͤtte ſie ſich an ihre Schweſter gewandt, eine Wiederrufung deſſelben auszuwirken. Jch hoffe, ſagte ſie, mein Vater wird ihn wiederrufen. Sonſt wird es ſehr elend um mich ſtehen. ‒ ‒ Dennoch aber ‒ ‒ Hiebey blieb ihr der Othem vor Furcht zuruͤck, indem ſie redete ‒ ‒ bin ich geneigt, vor der Antwort, die erfolgen mag, zu erzit-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/440
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/440>, abgerufen am 24.11.2024.