Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



an sie schreiben, so bald als sie nur im Stande
wäre.

Darauf versuchte ich noch genauer, euch von
allem Verdacht frey zu machen, daß ihr bey dem
dienstfertigen Verhast der schändlichen Sinclair
eine Hand mit im Spiel gehabt haben solltet.
Sie war so edelmüthig, daß sie wünschte, euch
davon vollkommen befreyet zu sehen: und weil
ich des heftigen Briefes, den ihr bey dieser Gele-
genheit an mich geschrieben hättet, Erwähnung
gethan: so fragte sie, ob ich den Brief bey mir
hätte?

Jch gestand, daß ich ihn hätte.

Sie wünschte, ihn zu sehen.

Dieß setzte mich in Verwirrung. Denn ihr
müßt denken, daß die meisten freyen Dinge, wel-
che bey uns liederlichen Brüdern für Witz und
Lebhaftigkeit hingehen, für die Ohren und Augen
zärtlicher Personen von dem schönen Geschlecht,
ärgerliches Zeug seyn müssen. Außer dem
herrscht durch und durch in deinen ernsthafte-
sten Briefen ein so leichtsinniges Wesen, eine so
falsche Herzhaftigkeit, mit welcher du dich bemü-
hest, die Dinge, die dich am meisten rühren, zu
einem Kurzweil zu machen, daß überhaupt dieje-
nigen Briefe, welche dir am meisten Ehre ma-
chen, und andern eine gute Meynung von dir bey-
bringen sollten, am wenigsten bequem sind, gese-
hen zu werden.

Etwas dem ähnliches gab ich der Fräulein
zu verstehen: und wollte mich gern entschuldigen,

ihn



an ſie ſchreiben, ſo bald als ſie nur im Stande
waͤre.

Darauf verſuchte ich noch genauer, euch von
allem Verdacht frey zu machen, daß ihr bey dem
dienſtfertigen Verhaſt der ſchaͤndlichen Sinclair
eine Hand mit im Spiel gehabt haben ſolltet.
Sie war ſo edelmuͤthig, daß ſie wuͤnſchte, euch
davon vollkommen befreyet zu ſehen: und weil
ich des heftigen Briefes, den ihr bey dieſer Gele-
genheit an mich geſchrieben haͤttet, Erwaͤhnung
gethan: ſo fragte ſie, ob ich den Brief bey mir
haͤtte?

Jch geſtand, daß ich ihn haͤtte.

Sie wuͤnſchte, ihn zu ſehen.

Dieß ſetzte mich in Verwirrung. Denn ihr
muͤßt denken, daß die meiſten freyen Dinge, wel-
che bey uns liederlichen Bruͤdern fuͤr Witz und
Lebhaftigkeit hingehen, fuͤr die Ohren und Augen
zaͤrtlicher Perſonen von dem ſchoͤnen Geſchlecht,
aͤrgerliches Zeug ſeyn muͤſſen. Außer dem
herrſcht durch und durch in deinen ernſthafte-
ſten Briefen ein ſo leichtſinniges Weſen, eine ſo
falſche Herzhaftigkeit, mit welcher du dich bemuͤ-
heſt, die Dinge, die dich am meiſten ruͤhren, zu
einem Kurzweil zu machen, daß uͤberhaupt dieje-
nigen Briefe, welche dir am meiſten Ehre ma-
chen, und andern eine gute Meynung von dir bey-
bringen ſollten, am wenigſten bequem ſind, geſe-
hen zu werden.

Etwas dem aͤhnliches gab ich der Fraͤulein
zu verſtehen: und wollte mich gern entſchuldigen,

ihn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="354"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
an <hi rendition="#fr">&#x017F;ie</hi> &#x017F;chreiben, &#x017F;o bald als &#x017F;ie nur im Stande<lb/>
wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Darauf ver&#x017F;uchte ich noch genauer, euch von<lb/>
allem Verdacht frey zu machen, daß ihr bey dem<lb/>
dien&#x017F;tfertigen Verha&#x017F;t der &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Sinclair<lb/>
eine Hand mit im Spiel gehabt haben &#x017F;olltet.<lb/>
Sie war &#x017F;o edelmu&#x0364;thig, daß &#x017F;ie <hi rendition="#fr">wu&#x0364;n&#x017F;chte,</hi> euch<lb/>
davon vollkommen befreyet zu &#x017F;ehen: und weil<lb/>
ich des heftigen Briefes, den ihr bey die&#x017F;er Gele-<lb/>
genheit an mich ge&#x017F;chrieben ha&#x0364;ttet, Erwa&#x0364;hnung<lb/>
gethan: &#x017F;o fragte &#x017F;ie, ob ich den Brief bey mir<lb/>
ha&#x0364;tte?</p><lb/>
          <p>Jch ge&#x017F;tand, daß ich ihn ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Sie wu&#x0364;n&#x017F;chte, ihn zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Dieß &#x017F;etzte mich in Verwirrung. Denn ihr<lb/>
mu&#x0364;ßt denken, daß die mei&#x017F;ten freyen Dinge, wel-<lb/>
che bey uns liederlichen Bru&#x0364;dern fu&#x0364;r Witz und<lb/>
Lebhaftigkeit hingehen, fu&#x0364;r die Ohren und Augen<lb/>
za&#x0364;rtlicher Per&#x017F;onen von dem &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;chlecht,<lb/>
a&#x0364;rgerliches Zeug &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Außer dem<lb/>
herr&#x017F;cht durch und durch in deinen ern&#x017F;thafte-<lb/>
&#x017F;ten Briefen ein &#x017F;o leicht&#x017F;inniges We&#x017F;en, eine &#x017F;o<lb/>
fal&#x017F;che Herzhaftigkeit, mit welcher du dich bemu&#x0364;-<lb/>
he&#x017F;t, die Dinge, die dich am mei&#x017F;ten ru&#x0364;hren, zu<lb/>
einem Kurzweil zu machen, daß u&#x0364;berhaupt dieje-<lb/>
nigen Briefe, welche dir am mei&#x017F;ten Ehre ma-<lb/>
chen, und andern eine gute Meynung von dir bey-<lb/>
bringen &#x017F;ollten, am wenig&#x017F;ten bequem &#x017F;ind, ge&#x017F;e-<lb/>
hen zu werden.</p><lb/>
          <p>Etwas dem a&#x0364;hnliches gab ich der Fra&#x0364;ulein<lb/>
zu ver&#x017F;tehen: und wollte mich gern ent&#x017F;chuldigen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0360] an ſie ſchreiben, ſo bald als ſie nur im Stande waͤre. Darauf verſuchte ich noch genauer, euch von allem Verdacht frey zu machen, daß ihr bey dem dienſtfertigen Verhaſt der ſchaͤndlichen Sinclair eine Hand mit im Spiel gehabt haben ſolltet. Sie war ſo edelmuͤthig, daß ſie wuͤnſchte, euch davon vollkommen befreyet zu ſehen: und weil ich des heftigen Briefes, den ihr bey dieſer Gele- genheit an mich geſchrieben haͤttet, Erwaͤhnung gethan: ſo fragte ſie, ob ich den Brief bey mir haͤtte? Jch geſtand, daß ich ihn haͤtte. Sie wuͤnſchte, ihn zu ſehen. Dieß ſetzte mich in Verwirrung. Denn ihr muͤßt denken, daß die meiſten freyen Dinge, wel- che bey uns liederlichen Bruͤdern fuͤr Witz und Lebhaftigkeit hingehen, fuͤr die Ohren und Augen zaͤrtlicher Perſonen von dem ſchoͤnen Geſchlecht, aͤrgerliches Zeug ſeyn muͤſſen. Außer dem herrſcht durch und durch in deinen ernſthafte- ſten Briefen ein ſo leichtſinniges Weſen, eine ſo falſche Herzhaftigkeit, mit welcher du dich bemuͤ- heſt, die Dinge, die dich am meiſten ruͤhren, zu einem Kurzweil zu machen, daß uͤberhaupt dieje- nigen Briefe, welche dir am meiſten Ehre ma- chen, und andern eine gute Meynung von dir bey- bringen ſollten, am wenigſten bequem ſind, geſe- hen zu werden. Etwas dem aͤhnliches gab ich der Fraͤulein zu verſtehen: und wollte mich gern entſchuldigen, ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/360
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/360>, abgerufen am 24.11.2024.