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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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Mägdchen bey ihr aufsitzen, wenn sie es haben
wollte.

Sie wollte am liebsten so wohl bey Nacht als
bey Tage alleine seyn, versetzte die Fräulein. Aber
könnten ihr nicht die Schlüssel zu dem Zimmer,
wo sie liegen sollte, anvertrauet werden? denn sie
würde ihre Kleider nicht ablegen.

Das, sagten sie ihr, könnte nicht geschehen.

Sie hätte wohl besorgt, erwiederte sie, daß es
nicht geschehen würde - - Allein in der That, sie
wollte nicht weggehen, wenn sie auch könnte.

Die Leute erzählten mir, daß sie außer dem
Bette, worinn sie selbst schliefen, welches sie gern
von ihr würden angenommen gesehen haben, und
außer dem, worinn ihre Magd läge, nur noch ein
einziges oben in einer Kammer, wie sie es nann-
ten, einem Loche von einer Kammer, hätten: und
das wäre der Gefangenen Bette. Sie machten
deswegen verschiedne Entschuldigungen gegen
mich. Jch gedenke, es ist ärgerlich genug.

Aber die Fräulein wollte in ihrem Bette nicht
liegen. Wäre sie nicht eine Gefangene? sprach
sie. - - Man sollte ihr den gewöhnlichen Platz
der Gefangenen anweisen.

Jedoch gestunden sie, daß sie stutzig geworden
wäre, als man sie dahin geführet hätte. Aber sie
faßte sich wieder. Gar gut, sagte sie - - War-
um sollte nicht alles von einem Schlage seyn?
- - Warum sollte mein Elend nicht ganz voll-
kommen seyn?

Sie



Maͤgdchen bey ihr aufſitzen, wenn ſie es haben
wollte.

Sie wollte am liebſten ſo wohl bey Nacht als
bey Tage alleine ſeyn, verſetzte die Fraͤulein. Aber
koͤnnten ihr nicht die Schluͤſſel zu dem Zimmer,
wo ſie liegen ſollte, anvertrauet werden? denn ſie
wuͤrde ihre Kleider nicht ablegen.

Das, ſagten ſie ihr, koͤnnte nicht geſchehen.

Sie haͤtte wohl beſorgt, erwiederte ſie, daß es
nicht geſchehen wuͤrde ‒ ‒ Allein in der That, ſie
wollte nicht weggehen, wenn ſie auch koͤnnte.

Die Leute erzaͤhlten mir, daß ſie außer dem
Bette, worinn ſie ſelbſt ſchliefen, welches ſie gern
von ihr wuͤrden angenommen geſehen haben, und
außer dem, worinn ihre Magd laͤge, nur noch ein
einziges oben in einer Kammer, wie ſie es nann-
ten, einem Loche von einer Kammer, haͤtten: und
das waͤre der Gefangenen Bette. Sie machten
deswegen verſchiedne Entſchuldigungen gegen
mich. Jch gedenke, es iſt aͤrgerlich genug.

Aber die Fraͤulein wollte in ihrem Bette nicht
liegen. Waͤre ſie nicht eine Gefangene? ſprach
ſie. ‒ ‒ Man ſollte ihr den gewoͤhnlichen Platz
der Gefangenen anweiſen.

Jedoch geſtunden ſie, daß ſie ſtutzig geworden
waͤre, als man ſie dahin gefuͤhret haͤtte. Aber ſie
faßte ſich wieder. Gar gut, ſagte ſie ‒ ‒ War-
um ſollte nicht alles von einem Schlage ſeyn?
‒ ‒ Warum ſollte mein Elend nicht ganz voll-
kommen ſeyn?

Sie
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[283/0289] Maͤgdchen bey ihr aufſitzen, wenn ſie es haben wollte. Sie wollte am liebſten ſo wohl bey Nacht als bey Tage alleine ſeyn, verſetzte die Fraͤulein. Aber koͤnnten ihr nicht die Schluͤſſel zu dem Zimmer, wo ſie liegen ſollte, anvertrauet werden? denn ſie wuͤrde ihre Kleider nicht ablegen. Das, ſagten ſie ihr, koͤnnte nicht geſchehen. Sie haͤtte wohl beſorgt, erwiederte ſie, daß es nicht geſchehen wuͤrde ‒ ‒ Allein in der That, ſie wollte nicht weggehen, wenn ſie auch koͤnnte. Die Leute erzaͤhlten mir, daß ſie außer dem Bette, worinn ſie ſelbſt ſchliefen, welches ſie gern von ihr wuͤrden angenommen geſehen haben, und außer dem, worinn ihre Magd laͤge, nur noch ein einziges oben in einer Kammer, wie ſie es nann- ten, einem Loche von einer Kammer, haͤtten: und das waͤre der Gefangenen Bette. Sie machten deswegen verſchiedne Entſchuldigungen gegen mich. Jch gedenke, es iſt aͤrgerlich genug. Aber die Fraͤulein wollte in ihrem Bette nicht liegen. Waͤre ſie nicht eine Gefangene? ſprach ſie. ‒ ‒ Man ſollte ihr den gewoͤhnlichen Platz der Gefangenen anweiſen. Jedoch geſtunden ſie, daß ſie ſtutzig geworden waͤre, als man ſie dahin gefuͤhret haͤtte. Aber ſie faßte ſich wieder. Gar gut, ſagte ſie ‒ ‒ War- um ſollte nicht alles von einem Schlage ſeyn? ‒ ‒ Warum ſollte mein Elend nicht ganz voll- kommen ſeyn? Sie

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/289>, abgerufen am 22.11.2024.