Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



arg! - - Jhre Religion, denke ich, sollte sie leh-
ren, daß es ein Selbstmord ist, wenn sie Hun-
gers sterben wollen.

Sie antwortete nicht.

Das gottlose Mensch hat mir gestanden, sie
hätte sich vorgenommen gehabt, sie dahin zu brin-
gen, daß sie spräche.

Sie fragte, ob Mabelle ihr aufwarten sollte,
bis man sähe, was ihre Freunde für sie, in Be-
zahlung der Schuld, thun wollten? Mabelle,
sagte sie, hat die Kleider noch nicht verdient, die
sie so gütig gewesen sind ihr zu geben.

Bin ich nicht einer Antwort werth, Fräu-
lein Harlowe?

Jch wollte ihnen antworten, sprach die sanft-
müthige Bedrängte, ohne die geringste Bewe-
gung, wenn ich wüßte, wie.

Jch habe Anstalt gemacht, daß ihnen Feder,
Dinte und Papier gebracht werde, Fräulein
Harlowe.
Da ist es. Jch weiß, sie schreiben
gern. Sie mögen schreiben, an wen es ihnen be-
liebt. Jhre Freundinn, die Fräulein Howe wird
warten, Nachricht von Jhnen zu haben.

Jch habe keinen Freund oder Freundinn,
versetzte sie. Jch verdiene keine.

Rowland, das ist des Gerichtsbedienten Na-
me, sagte zu ihr: Sie hätte Freunde genug, ihre
Schuld zu bezahlen, wenn sie schreiben wollte.

Sie wollte niemand beschweren: sie hätte
keine Freunde. Das war alles, was sie aus ihr
bringen konnten, so lange als Sarah da blieb.

Jedoch
S 5



arg! ‒ ‒ Jhre Religion, denke ich, ſollte ſie leh-
ren, daß es ein Selbſtmord iſt, wenn ſie Hun-
gers ſterben wollen.

Sie antwortete nicht.

Das gottloſe Menſch hat mir geſtanden, ſie
haͤtte ſich vorgenommen gehabt, ſie dahin zu brin-
gen, daß ſie ſpraͤche.

Sie fragte, ob Mabelle ihr aufwarten ſollte,
bis man ſaͤhe, was ihre Freunde fuͤr ſie, in Be-
zahlung der Schuld, thun wollten? Mabelle,
ſagte ſie, hat die Kleider noch nicht verdient, die
ſie ſo guͤtig geweſen ſind ihr zu geben.

Bin ich nicht einer Antwort werth, Fraͤu-
lein Harlowe?

Jch wollte ihnen antworten, ſprach die ſanft-
muͤthige Bedraͤngte, ohne die geringſte Bewe-
gung, wenn ich wuͤßte, wie.

Jch habe Anſtalt gemacht, daß ihnen Feder,
Dinte und Papier gebracht werde, Fraͤulein
Harlowe.
Da iſt es. Jch weiß, ſie ſchreiben
gern. Sie moͤgen ſchreiben, an wen es ihnen be-
liebt. Jhre Freundinn, die Fraͤulein Howe wird
warten, Nachricht von Jhnen zu haben.

Jch habe keinen Freund oder Freundinn,
verſetzte ſie. Jch verdiene keine.

Rowland, das iſt des Gerichtsbedienten Na-
me, ſagte zu ihr: Sie haͤtte Freunde genug, ihre
Schuld zu bezahlen, wenn ſie ſchreiben wollte.

Sie wollte niemand beſchweren: ſie haͤtte
keine Freunde. Das war alles, was ſie aus ihr
bringen konnten, ſo lange als Sarah da blieb.

Jedoch
S 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0287" n="281"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
arg! &#x2012; &#x2012; Jhre Religion, denke ich, &#x017F;ollte &#x017F;ie leh-<lb/>
ren, daß es ein Selb&#x017F;tmord i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie Hun-<lb/>
gers &#x017F;terben wollen.</p><lb/>
          <p>Sie antwortete nicht.</p><lb/>
          <p>Das gottlo&#x017F;e Men&#x017F;ch hat mir ge&#x017F;tanden, &#x017F;ie<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;ich vorgenommen gehabt, &#x017F;ie dahin zu brin-<lb/>
gen, daß &#x017F;ie &#x017F;pra&#x0364;che.</p><lb/>
          <p>Sie fragte, ob Mabelle ihr aufwarten &#x017F;ollte,<lb/>
bis man &#x017F;a&#x0364;he, was ihre Freunde fu&#x0364;r &#x017F;ie, in Be-<lb/>
zahlung der Schuld, thun wollten? Mabelle,<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, hat die Kleider <hi rendition="#fr">noch</hi> nicht verdient, die<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o gu&#x0364;tig gewe&#x017F;en &#x017F;ind ihr zu geben.</p><lb/>
          <p>Bin ich nicht einer Antwort werth, <hi rendition="#fr">Fra&#x0364;u-<lb/>
lein Harlowe?</hi></p><lb/>
          <p>Jch wollte ihnen antworten, &#x017F;prach die &#x017F;anft-<lb/>
mu&#x0364;thige Bedra&#x0364;ngte, ohne die gering&#x017F;te Bewe-<lb/>
gung, wenn ich wu&#x0364;ßte, wie.</p><lb/>
          <p>Jch habe An&#x017F;talt gemacht, daß ihnen Feder,<lb/>
Dinte und Papier gebracht werde, <hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein<lb/>
Harlowe.</hi> Da i&#x017F;t es. Jch weiß, &#x017F;ie &#x017F;chreiben<lb/>
gern. Sie mo&#x0364;gen &#x017F;chreiben, an wen es ihnen be-<lb/>
liebt. Jhre Freundinn, die Fra&#x0364;ulein Howe wird<lb/>
warten, Nachricht von Jhnen zu haben.</p><lb/>
          <p>Jch habe keinen Freund oder Freundinn,<lb/>
ver&#x017F;etzte &#x017F;ie. Jch verdiene keine.</p><lb/>
          <p>Rowland, das i&#x017F;t des Gerichtsbedienten Na-<lb/>
me, &#x017F;agte zu ihr: Sie ha&#x0364;tte Freunde genug, ihre<lb/>
Schuld zu bezahlen, wenn &#x017F;ie &#x017F;chreiben wollte.</p><lb/>
          <p>Sie wollte niemand be&#x017F;chweren: &#x017F;ie ha&#x0364;tte<lb/>
keine Freunde. Das war alles, was &#x017F;ie aus ihr<lb/>
bringen konnten, &#x017F;o lange als Sarah da blieb.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Jedoch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0287] arg! ‒ ‒ Jhre Religion, denke ich, ſollte ſie leh- ren, daß es ein Selbſtmord iſt, wenn ſie Hun- gers ſterben wollen. Sie antwortete nicht. Das gottloſe Menſch hat mir geſtanden, ſie haͤtte ſich vorgenommen gehabt, ſie dahin zu brin- gen, daß ſie ſpraͤche. Sie fragte, ob Mabelle ihr aufwarten ſollte, bis man ſaͤhe, was ihre Freunde fuͤr ſie, in Be- zahlung der Schuld, thun wollten? Mabelle, ſagte ſie, hat die Kleider noch nicht verdient, die ſie ſo guͤtig geweſen ſind ihr zu geben. Bin ich nicht einer Antwort werth, Fraͤu- lein Harlowe? Jch wollte ihnen antworten, ſprach die ſanft- muͤthige Bedraͤngte, ohne die geringſte Bewe- gung, wenn ich wuͤßte, wie. Jch habe Anſtalt gemacht, daß ihnen Feder, Dinte und Papier gebracht werde, Fraͤulein Harlowe. Da iſt es. Jch weiß, ſie ſchreiben gern. Sie moͤgen ſchreiben, an wen es ihnen be- liebt. Jhre Freundinn, die Fraͤulein Howe wird warten, Nachricht von Jhnen zu haben. Jch habe keinen Freund oder Freundinn, verſetzte ſie. Jch verdiene keine. Rowland, das iſt des Gerichtsbedienten Na- me, ſagte zu ihr: Sie haͤtte Freunde genug, ihre Schuld zu bezahlen, wenn ſie ſchreiben wollte. Sie wollte niemand beſchweren: ſie haͤtte keine Freunde. Das war alles, was ſie aus ihr bringen konnten, ſo lange als Sarah da blieb. Jedoch S 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/287
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/287>, abgerufen am 25.11.2024.