Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



wenn ich Jhnen auch nur für Jhre Verweise
danken sollte; ob diese gleich aus einem bluten-
den Herzen neue Ströhme von Blut gezogen
haben.

Meine Geschichte ist erschrecklich. Sie be-
greift Umstände, welche Mitleiden erwecken, und
vielleicht ein nicht gänzlich ungeneigtes Urtheil für
mich zu wege bringen würden, wenn sie bekannt
wären. Allein meine Bemühung ist nur, und
es soll alle meine Bemühung seyn, daß ich meine
Fehler bereue, und sie nicht geringer zu machen
trachte.

Jedoch ich will Jhr edles Gemüth nicht zu
kränken suchen. Wo ich nicht alleine leiden
kann:
so will ich so wenige Personen, als mög-
lich ist, an meinem Leiden Theil nehmen lassen.
Jch ergriff in der That mit diesem Entschlusse
auch damals die Feder, als ich den Brief schrieb,
der Jhnen in die Hände gefallen ist. Jch woll-
te nur wissen, und zwar so wohl aus einer ganz
besondern Ursache, als aus uneingeschränkter Lie-
be, ob meine werthe Fräulein Howe, von der ich
lange Zeit nicht gehört hatte, krank gewesen wä-
re, wie man mir gesagt hatte; und, wenn es
an dem wäre, wie sie sich nun befände. Weil
aber die mir wiederfahrne Beleidigungen noch neu
sind, und mein Unglück ausnehmend groß gewe-
sen ist: so wollte sich das Selbst, einmal über
das andere, haufenweise in meinen Brief hinein-
drängen. Das menschliche Gemüth ist im Un-
glück geneigt, sich an einen jeden, an dem es ei-

niges



wenn ich Jhnen auch nur fuͤr Jhre Verweiſe
danken ſollte; ob dieſe gleich aus einem bluten-
den Herzen neue Stroͤhme von Blut gezogen
haben.

Meine Geſchichte iſt erſchrecklich. Sie be-
greift Umſtaͤnde, welche Mitleiden erwecken, und
vielleicht ein nicht gaͤnzlich ungeneigtes Urtheil fuͤr
mich zu wege bringen wuͤrden, wenn ſie bekannt
waͤren. Allein meine Bemuͤhung iſt nur, und
es ſoll alle meine Bemuͤhung ſeyn, daß ich meine
Fehler bereue, und ſie nicht geringer zu machen
trachte.

Jedoch ich will Jhr edles Gemuͤth nicht zu
kraͤnken ſuchen. Wo ich nicht alleine leiden
kann:
ſo will ich ſo wenige Perſonen, als moͤg-
lich iſt, an meinem Leiden Theil nehmen laſſen.
Jch ergriff in der That mit dieſem Entſchluſſe
auch damals die Feder, als ich den Brief ſchrieb,
der Jhnen in die Haͤnde gefallen iſt. Jch woll-
te nur wiſſen, und zwar ſo wohl aus einer ganz
beſondern Urſache, als aus uneingeſchraͤnkter Lie-
be, ob meine werthe Fraͤulein Howe, von der ich
lange Zeit nicht gehoͤrt hatte, krank geweſen waͤ-
re, wie man mir geſagt hatte; und, wenn es
an dem waͤre, wie ſie ſich nun befaͤnde. Weil
aber die mir wiederfahrne Beleidigungen noch neu
ſind, und mein Ungluͤck ausnehmend groß gewe-
ſen iſt: ſo wollte ſich das Selbſt, einmal uͤber
das andere, haufenweiſe in meinen Brief hinein-
draͤngen. Das menſchliche Gemuͤth iſt im Un-
gluͤck geneigt, ſich an einen jeden, an dem es ei-

niges
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <p><pb facs="#f0028" n="22"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
wenn ich Jhnen auch nur fu&#x0364;r Jhre Verwei&#x017F;e<lb/>
danken &#x017F;ollte; ob die&#x017F;e gleich aus einem bluten-<lb/>
den Herzen neue Stro&#x0364;hme von Blut gezogen<lb/>
haben.</p><lb/>
              <p>Meine Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t er&#x017F;chrecklich. Sie be-<lb/>
greift Um&#x017F;ta&#x0364;nde, welche Mitleiden erwecken, und<lb/>
vielleicht ein nicht ga&#x0364;nzlich ungeneigtes Urtheil fu&#x0364;r<lb/>
mich zu wege bringen wu&#x0364;rden, wenn &#x017F;ie bekannt<lb/>
wa&#x0364;ren. Allein meine Bemu&#x0364;hung i&#x017F;t nur, und<lb/>
es &#x017F;oll <hi rendition="#fr">alle</hi> meine Bemu&#x0364;hung &#x017F;eyn, daß ich meine<lb/>
Fehler bereue, und &#x017F;ie nicht geringer zu machen<lb/>
trachte.</p><lb/>
              <p>Jedoch ich will Jhr edles Gemu&#x0364;th nicht zu<lb/>
kra&#x0364;nken &#x017F;uchen. Wo <hi rendition="#fr">ich nicht alleine leiden<lb/>
kann:</hi> &#x017F;o will ich &#x017F;o wenige Per&#x017F;onen, als mo&#x0364;g-<lb/>
lich i&#x017F;t, an meinem Leiden Theil nehmen la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Jch ergriff in der That mit die&#x017F;em Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e<lb/>
auch damals die Feder, als ich den Brief &#x017F;chrieb,<lb/>
der Jhnen in die Ha&#x0364;nde gefallen i&#x017F;t. Jch woll-<lb/>
te nur wi&#x017F;&#x017F;en, und zwar &#x017F;o wohl aus einer ganz<lb/>
be&#x017F;ondern Ur&#x017F;ache, als aus uneinge&#x017F;chra&#x0364;nkter Lie-<lb/>
be, ob meine werthe Fra&#x0364;ulein Howe, von der ich<lb/>
lange Zeit nicht geho&#x0364;rt hatte, krank gewe&#x017F;en wa&#x0364;-<lb/>
re, wie man mir ge&#x017F;agt hatte; und, wenn es<lb/>
an dem wa&#x0364;re, wie &#x017F;ie &#x017F;ich nun befa&#x0364;nde. Weil<lb/>
aber die mir wiederfahrne Beleidigungen noch neu<lb/>
&#x017F;ind, und mein Unglu&#x0364;ck ausnehmend groß gewe-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t: &#x017F;o wollte &#x017F;ich das <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;t,</hi> einmal u&#x0364;ber<lb/>
das andere, haufenwei&#x017F;e in meinen Brief hinein-<lb/>
dra&#x0364;ngen. Das men&#x017F;chliche Gemu&#x0364;th i&#x017F;t im Un-<lb/>
glu&#x0364;ck geneigt, &#x017F;ich an einen jeden, an dem es ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">niges</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0028] wenn ich Jhnen auch nur fuͤr Jhre Verweiſe danken ſollte; ob dieſe gleich aus einem bluten- den Herzen neue Stroͤhme von Blut gezogen haben. Meine Geſchichte iſt erſchrecklich. Sie be- greift Umſtaͤnde, welche Mitleiden erwecken, und vielleicht ein nicht gaͤnzlich ungeneigtes Urtheil fuͤr mich zu wege bringen wuͤrden, wenn ſie bekannt waͤren. Allein meine Bemuͤhung iſt nur, und es ſoll alle meine Bemuͤhung ſeyn, daß ich meine Fehler bereue, und ſie nicht geringer zu machen trachte. Jedoch ich will Jhr edles Gemuͤth nicht zu kraͤnken ſuchen. Wo ich nicht alleine leiden kann: ſo will ich ſo wenige Perſonen, als moͤg- lich iſt, an meinem Leiden Theil nehmen laſſen. Jch ergriff in der That mit dieſem Entſchluſſe auch damals die Feder, als ich den Brief ſchrieb, der Jhnen in die Haͤnde gefallen iſt. Jch woll- te nur wiſſen, und zwar ſo wohl aus einer ganz beſondern Urſache, als aus uneingeſchraͤnkter Lie- be, ob meine werthe Fraͤulein Howe, von der ich lange Zeit nicht gehoͤrt hatte, krank geweſen waͤ- re, wie man mir geſagt hatte; und, wenn es an dem waͤre, wie ſie ſich nun befaͤnde. Weil aber die mir wiederfahrne Beleidigungen noch neu ſind, und mein Ungluͤck ausnehmend groß gewe- ſen iſt: ſo wollte ſich das Selbſt, einmal uͤber das andere, haufenweiſe in meinen Brief hinein- draͤngen. Das menſchliche Gemuͤth iſt im Un- gluͤck geneigt, ſich an einen jeden, an dem es ei- niges

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/28
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/28>, abgerufen am 27.11.2024.