Die Fräulein Martha sagte, es wäre ihr lieb, das zu hören; in der That es wäre ihr lieb, das zu hören: und ihre liebreiche Augen glänzeten vor Vergnügen.
Der Lord M. nannte sie eine höchstliebens- würdige Seele, und hätte beynahe geheulet und geschrieen.
Du mußt ja nicht glauben, Bruder, daß dieß aus Menschenliebe geschehe. Nein, dieser Lord hat kein menschliches Herz. Das kannst du wohl aus seinem Bezeigen gegen mich ab- nehmen. Aber wenn Leuten ihr Gemüth durch eine Empfindung ihrer eigenen Schwachheiten erweicht ist, und wenn sie sich ihrem letzten Ende nähern: so werden sie durch die geringsten Vor- fälle, sie mögen sich ihnen von innen, oder von außen darstellen, gerühret werden. Dieß nennet die kurzsichtige Welt oft Menschenliebe: da sie doch alle die Zeit über, indem sie mit dem Elen- de menschlicher Natur ein Mitleiden bezeugen, nur gegen sich selbst mitleidig sind; und, wenn sie vollkommen gesund und munter wären, eben so wenig, als du, oder ich, um sonst jemand be- kümmert seyn würden.
Hier brachen sie mein Verhör ab, so weit die Versammlung dießmal Sitz dazu genommen hatte. Die Lady Sarah war sehr ermüdet. Es ward beschlossen, die Sache morgen weiter vor- zunehmen. Jnzwischen traten sie alle mit ein- ander ab, und hielten eine geheime Berathschla- gung.
Der
O 4
Die Fraͤulein Martha ſagte, es waͤre ihr lieb, das zu hoͤren; in der That es waͤre ihr lieb, das zu hoͤren: und ihre liebreiche Augen glaͤnzeten vor Vergnuͤgen.
Der Lord M. nannte ſie eine hoͤchſtliebens- wuͤrdige Seele, und haͤtte beynahe geheulet und geſchrieen.
Du mußt ja nicht glauben, Bruder, daß dieß aus Menſchenliebe geſchehe. Nein, dieſer Lord hat kein menſchliches Herz. Das kannſt du wohl aus ſeinem Bezeigen gegen mich ab- nehmen. Aber wenn Leuten ihr Gemuͤth durch eine Empfindung ihrer eigenen Schwachheiten erweicht iſt, und wenn ſie ſich ihrem letzten Ende naͤhern: ſo werden ſie durch die geringſten Vor- faͤlle, ſie moͤgen ſich ihnen von innen, oder von außen darſtellen, geruͤhret werden. Dieß nennet die kurzſichtige Welt oft Menſchenliebe: da ſie doch alle die Zeit uͤber, indem ſie mit dem Elen- de menſchlicher Natur ein Mitleiden bezeugen, nur gegen ſich ſelbſt mitleidig ſind; und, wenn ſie vollkommen geſund und munter waͤren, eben ſo wenig, als du, oder ich, um ſonſt jemand be- kuͤmmert ſeyn wuͤrden.
Hier brachen ſie mein Verhoͤr ab, ſo weit die Verſammlung dießmal Sitz dazu genommen hatte. Die Lady Sarah war ſehr ermuͤdet. Es ward beſchloſſen, die Sache morgen weiter vor- zunehmen. Jnzwiſchen traten ſie alle mit ein- ander ab, und hielten eine geheime Berathſchla- gung.
Der
O 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0221"n="215"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die Fraͤulein Martha ſagte, es waͤre ihr lieb,<lb/><hirendition="#fr">das</hi> zu hoͤren; in der That es waͤre ihr lieb, <hirendition="#fr">das</hi><lb/>
zu hoͤren: und ihre liebreiche Augen glaͤnzeten vor<lb/>
Vergnuͤgen.</p><lb/><p>Der Lord M. nannte ſie eine hoͤchſtliebens-<lb/>
wuͤrdige Seele, und haͤtte beynahe geheulet und<lb/>
geſchrieen.</p><lb/><p>Du mußt ja nicht glauben, Bruder, daß<lb/>
dieß aus Menſchenliebe geſchehe. Nein, dieſer<lb/>
Lord hat kein menſchliches Herz. Das kannſt<lb/>
du wohl aus ſeinem Bezeigen gegen <hirendition="#fr">mich</hi> ab-<lb/>
nehmen. Aber wenn Leuten ihr Gemuͤth durch<lb/>
eine Empfindung ihrer eigenen Schwachheiten<lb/>
erweicht iſt, und wenn ſie ſich ihrem letzten Ende<lb/>
naͤhern: ſo werden ſie durch die geringſten Vor-<lb/>
faͤlle, ſie moͤgen ſich ihnen <hirendition="#fr">von innen,</hi> oder <hirendition="#fr">von<lb/>
außen</hi> darſtellen, geruͤhret werden. Dieß nennet<lb/>
die kurzſichtige Welt oft <hirendition="#fr">Menſchenliebe:</hi> da ſie<lb/>
doch alle die Zeit uͤber, indem ſie mit dem Elen-<lb/>
de menſchlicher Natur ein Mitleiden bezeugen,<lb/>
nur gegen ſich ſelbſt mitleidig ſind; und, wenn<lb/>ſie vollkommen geſund und munter waͤren, eben<lb/>ſo wenig, als du, oder ich, um ſonſt jemand be-<lb/>
kuͤmmert ſeyn wuͤrden.</p><lb/><p>Hier brachen ſie mein Verhoͤr ab, ſo weit die<lb/>
Verſammlung dießmal Sitz dazu genommen<lb/>
hatte. Die Lady Sarah war ſehr ermuͤdet. Es<lb/>
ward beſchloſſen, die Sache morgen weiter vor-<lb/>
zunehmen. Jnzwiſchen traten ſie alle mit ein-<lb/>
ander ab, und hielten eine geheime Berathſchla-<lb/>
gung.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 4</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Der</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[215/0221]
Die Fraͤulein Martha ſagte, es waͤre ihr lieb,
das zu hoͤren; in der That es waͤre ihr lieb, das
zu hoͤren: und ihre liebreiche Augen glaͤnzeten vor
Vergnuͤgen.
Der Lord M. nannte ſie eine hoͤchſtliebens-
wuͤrdige Seele, und haͤtte beynahe geheulet und
geſchrieen.
Du mußt ja nicht glauben, Bruder, daß
dieß aus Menſchenliebe geſchehe. Nein, dieſer
Lord hat kein menſchliches Herz. Das kannſt
du wohl aus ſeinem Bezeigen gegen mich ab-
nehmen. Aber wenn Leuten ihr Gemuͤth durch
eine Empfindung ihrer eigenen Schwachheiten
erweicht iſt, und wenn ſie ſich ihrem letzten Ende
naͤhern: ſo werden ſie durch die geringſten Vor-
faͤlle, ſie moͤgen ſich ihnen von innen, oder von
außen darſtellen, geruͤhret werden. Dieß nennet
die kurzſichtige Welt oft Menſchenliebe: da ſie
doch alle die Zeit uͤber, indem ſie mit dem Elen-
de menſchlicher Natur ein Mitleiden bezeugen,
nur gegen ſich ſelbſt mitleidig ſind; und, wenn
ſie vollkommen geſund und munter waͤren, eben
ſo wenig, als du, oder ich, um ſonſt jemand be-
kuͤmmert ſeyn wuͤrden.
Hier brachen ſie mein Verhoͤr ab, ſo weit die
Verſammlung dießmal Sitz dazu genommen
hatte. Die Lady Sarah war ſehr ermuͤdet. Es
ward beſchloſſen, die Sache morgen weiter vor-
zunehmen. Jnzwiſchen traten ſie alle mit ein-
ander ab, und hielten eine geheime Berathſchla-
gung.
Der
O 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/221>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.