lowe, habe ich gehöret, ist auf eine edelmüthige Art aufrichtig und offenherzig: über alle Künste, über alle Verstellung erhaben; weder buhlerisch, noch spröde! - - Die arme Fräulein! Sie hat gewiß von einem Menschen, für welchen sie den Schritt gethan, den sie so freymüthig tadelt, ein besseres Schicksal verdienet!
Dieß rührte mich mehr, als halb - - Wä- re die Sache, worüber wir stritten, von allen auf die Art angegriffen worden: so hätte ich mich ge- schämet, die Augen aufzuschlagen. Jch fing schon an mich zu schämen.
Charlotte fragte, ob ich nicht noch geneigt schiene, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenn sie mich haben wollte? Sie unterstünde sich zu sagen, daß es die größte Glückseligkeit seyn würde, welche die Familie haben könnte, daß die- se vortreffliche Fräulein zu ihr gehörte: und für eine Person wollte sie es verantworten.
Sie erklärten sich alle für diese Meynung: und die Lady Sarah stellte mir die Sache heim.
Allein mein Lord Sauertopf wollte behau- pten, daß ich nicht sechs Minuten nach einander ernsthaft seyn könnte!
Jch versicherte seine Gnaden, daß sie sich sehr irreten. So wenig ich mir nach seinen Gedan- ken aus dieser Sache machen sollte: so hätte ich doch niemals etwas empfunden, das mir so nahe zu Herzen gegangen wäre.
Die
lowe, habe ich gehoͤret, iſt auf eine edelmuͤthige Art aufrichtig und offenherzig: uͤber alle Kuͤnſte, uͤber alle Verſtellung erhaben; weder buhleriſch, noch ſproͤde! ‒ ‒ Die arme Fraͤulein! Sie hat gewiß von einem Menſchen, fuͤr welchen ſie den Schritt gethan, den ſie ſo freymuͤthig tadelt, ein beſſeres Schickſal verdienet!
Dieß ruͤhrte mich mehr, als halb ‒ ‒ Waͤ- re die Sache, woruͤber wir ſtritten, von allen auf die Art angegriffen worden: ſo haͤtte ich mich ge- ſchaͤmet, die Augen aufzuſchlagen. Jch fing ſchon an mich zu ſchaͤmen.
Charlotte fragte, ob ich nicht noch geneigt ſchiene, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, wenn ſie mich haben wollte? Sie unterſtuͤnde ſich zu ſagen, daß es die groͤßte Gluͤckſeligkeit ſeyn wuͤrde, welche die Familie haben koͤnnte, daß die- ſe vortreffliche Fraͤulein zu ihr gehoͤrte: und fuͤr eine Perſon wollte ſie es verantworten.
Sie erklaͤrten ſich alle fuͤr dieſe Meynung: und die Lady Sarah ſtellte mir die Sache heim.
Allein mein Lord Sauertopf wollte behau- pten, daß ich nicht ſechs Minuten nach einander ernſthaft ſeyn koͤnnte!
Jch verſicherte ſeine Gnaden, daß ſie ſich ſehr irreten. So wenig ich mir nach ſeinen Gedan- ken aus dieſer Sache machen ſollte: ſo haͤtte ich doch niemals etwas empfunden, das mir ſo nahe zu Herzen gegangen waͤre.
Die
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[214/0220]
lowe, habe ich gehoͤret, iſt auf eine edelmuͤthige
Art aufrichtig und offenherzig: uͤber alle Kuͤnſte,
uͤber alle Verſtellung erhaben; weder buhleriſch,
noch ſproͤde! ‒ ‒ Die arme Fraͤulein! Sie hat
gewiß von einem Menſchen, fuͤr welchen ſie den
Schritt gethan, den ſie ſo freymuͤthig tadelt, ein
beſſeres Schickſal verdienet!
Dieß ruͤhrte mich mehr, als halb ‒ ‒ Waͤ-
re die Sache, woruͤber wir ſtritten, von allen auf
die Art angegriffen worden: ſo haͤtte ich mich ge-
ſchaͤmet, die Augen aufzuſchlagen. Jch fing
ſchon an mich zu ſchaͤmen.
Charlotte fragte, ob ich nicht noch geneigt
ſchiene, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen,
wenn ſie mich haben wollte? Sie unterſtuͤnde
ſich zu ſagen, daß es die groͤßte Gluͤckſeligkeit ſeyn
wuͤrde, welche die Familie haben koͤnnte, daß die-
ſe vortreffliche Fraͤulein zu ihr gehoͤrte: und fuͤr
eine Perſon wollte ſie es verantworten.
Sie erklaͤrten ſich alle fuͤr dieſe Meynung:
und die Lady Sarah ſtellte mir die Sache
heim.
Allein mein Lord Sauertopf wollte behau-
pten, daß ich nicht ſechs Minuten nach einander
ernſthaft ſeyn koͤnnte!
Jch verſicherte ſeine Gnaden, daß ſie ſich ſehr
irreten. So wenig ich mir nach ſeinen Gedan-
ken aus dieſer Sache machen ſollte: ſo haͤtte ich
doch niemals etwas empfunden, das mir ſo nahe
zu Herzen gegangen waͤre.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/220>, abgerufen am 22.11.2024.
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