Vertrag, als ich willens gewesen war, einzuge- hen genöthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant- wort auf meinen Brief erwarten, sagte ich: und wo diese die Maaßregeln, wozu ich mich ent- schlossen, und die Lebensart, die ich mir vorge- nommen hätte, zweifelhaft und schwierig machte; so wollte ich alsdenn die Sache überlegen, und wenn sie es erlauben wollten, ihnen alles vorstel- len, und gemeinschaftlich mit Jhnen, meine lieb- ste Freundinn, ihren Rath darüber hören, als wenn die eine meine eigne Tante, und die andere meine eigne Base wäre.
Darüber vergossen sie Thränen - - Freu- denthränen hießen es bey ihnen - - Aber ich halte sie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, so gottlos sie auch sind, für Thränen, die eine vorü- bergehende Regung des Gewissens erzeugte. Denn die vermeynte Fräulein Montague, wandte sich um, und sagte, wie ich mich besinne, es wä- re nicht auszuhalten.
Hingegen Herr Lovelace ließ sich nicht so leicht befriedigen. Vielleicht hatte er seine schändliche Maaßregeln schon fest gesetzet, und mochte also gern einen Vorwand wider mich haben wollen. Er biß sich auf die Lefzen. - - Er wäre nur all- zuviel, sprach er, zu solcher Gleichgültigkeit und solcher Kaltsinnigkeit selbst mitten unter dem glück- lichsten Anschein für sich gewöhnet - - Jch hät- te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu seinem größten Leidwesen gezeiget, daß alle Gewogenheit, die ich ihm hätte erweisen wollen, sich auf - -
Hier
Vertrag, als ich willens geweſen war, einzuge- hen genoͤthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant- wort auf meinen Brief erwarten, ſagte ich: und wo dieſe die Maaßregeln, wozu ich mich ent- ſchloſſen, und die Lebensart, die ich mir vorge- nommen haͤtte, zweifelhaft und ſchwierig machte; ſo wollte ich alsdenn die Sache uͤberlegen, und wenn ſie es erlauben wollten, ihnen alles vorſtel- len, und gemeinſchaftlich mit Jhnen, meine lieb- ſte Freundinn, ihren Rath daruͤber hoͤren, als wenn die eine meine eigne Tante, und die andere meine eigne Baſe waͤre.
Daruͤber vergoſſen ſie Thraͤnen ‒ ‒ Freu- denthraͤnen hießen es bey ihnen ‒ ‒ Aber ich halte ſie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, ſo gottlos ſie auch ſind, fuͤr Thraͤnen, die eine voruͤ- bergehende Regung des Gewiſſens erzeugte. Denn die vermeynte Fraͤulein Montague, wandte ſich um, und ſagte, wie ich mich beſinne, es waͤ- re nicht auszuhalten.
Hingegen Herr Lovelace ließ ſich nicht ſo leicht befriedigen. Vielleicht hatte er ſeine ſchaͤndliche Maaßregeln ſchon feſt geſetzet, und mochte alſo gern einen Vorwand wider mich haben wollen. Er biß ſich auf die Lefzen. ‒ ‒ Er waͤre nur all- zuviel, ſprach er, zu ſolcher Gleichguͤltigkeit und ſolcher Kaltſinnigkeit ſelbſt mitten unter dem gluͤck- lichſten Anſchein fuͤr ſich gewoͤhnet ‒ ‒ Jch haͤt- te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu ſeinem groͤßten Leidweſen gezeiget, daß alle Gewogenheit, die ich ihm haͤtte erweiſen wollen, ſich auf ‒ ‒
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Vertrag, als ich willens geweſen war, einzuge-
hen genoͤthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant-
wort auf meinen Brief erwarten, ſagte ich: und
wo dieſe die Maaßregeln, wozu ich mich ent-
ſchloſſen, und die Lebensart, die ich mir vorge-
nommen haͤtte, zweifelhaft und ſchwierig machte;
ſo wollte ich alsdenn die Sache uͤberlegen, und
wenn ſie es erlauben wollten, ihnen alles vorſtel-
len, und gemeinſchaftlich mit Jhnen, meine lieb-
ſte Freundinn, ihren Rath daruͤber hoͤren, als
wenn die eine meine eigne Tante, und die andere
meine eigne Baſe waͤre.
Daruͤber vergoſſen ſie Thraͤnen ‒ ‒ Freu-
denthraͤnen hießen es bey ihnen ‒ ‒ Aber ich
halte ſie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, ſo
gottlos ſie auch ſind, fuͤr Thraͤnen, die eine voruͤ-
bergehende Regung des Gewiſſens erzeugte.
Denn die vermeynte Fraͤulein Montague, wandte
ſich um, und ſagte, wie ich mich beſinne, es waͤ-
re nicht auszuhalten.
Hingegen Herr Lovelace ließ ſich nicht ſo leicht
befriedigen. Vielleicht hatte er ſeine ſchaͤndliche
Maaßregeln ſchon feſt geſetzet, und mochte alſo
gern einen Vorwand wider mich haben wollen.
Er biß ſich auf die Lefzen. ‒ ‒ Er waͤre nur all-
zuviel, ſprach er, zu ſolcher Gleichguͤltigkeit und
ſolcher Kaltſinnigkeit ſelbſt mitten unter dem gluͤck-
lichſten Anſchein fuͤr ſich gewoͤhnet ‒ ‒ Jch haͤt-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/108>, abgerufen am 24.11.2024.
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