Jch glaubte, ich hörte sie kommen, die Thür zu öffnen, und das Herz hüpfte mir in dieser Hoff- nung. Allein sie kam nur, noch einen Riegel vorzuschieben und dieselbe noch fester zuverwah- ren. Entweder sie konnte oder sie wollte mir nicht antworten. Sie gieng weiter in ihr Zim- mer zurück, vermuthlich in ihr Closet. Und so schlich ich, itzo noch mehr als vorher wie ein Narr, wiederum fort.
Dieß war meine Mine, mein durchtriebner Anschlag - - Und dieß war alles, was ich mir davon zu Nutze machte.
Jch liebe sie mehr, als jemals, und habe es auch wohl Ursache. Niemals habe ich so saube- res Elfenbein gesehen, als ihre Arme und Schul- tern zu seyn schienen. Niemals habe ich einen so weichen Sammet, als ihre Haut, gefühlet. Und über dieß eine so anständige Zierlichkeit! O Bel- ford, sie ist lauter Vollkommenheit. Jhr arti- ger Fuß, der den Schuh, worein er, wie ich dir erzählt habe, nur eben mit der Spitze gesteckt war, in ihrem ringenden Widerstreben verlohr, ist eben so weiß und zart, als die Hand eines andern Frauenzimmers oder selbst ihre eigne Hand!
Siehst du aber itzo nicht, daß ich auf einen Vorzug wegen einer reizenden Eigenschaft, die mir bisher jedermann abgesprochen hatte, einen rechtmäßigen Anspruch habe? Und das ist die, daß ich durch Bitten und Thränen gerühret wer- den kann. Wo, wo war bey dieser Gelegenheit der callus, die Verhärtung? Wo der Kiesel,
der
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Jch glaubte, ich hoͤrte ſie kommen, die Thuͤr zu oͤffnen, und das Herz huͤpfte mir in dieſer Hoff- nung. Allein ſie kam nur, noch einen Riegel vorzuſchieben und dieſelbe noch feſter zuverwah- ren. Entweder ſie konnte oder ſie wollte mir nicht antworten. Sie gieng weiter in ihr Zim- mer zuruͤck, vermuthlich in ihr Cloſet. Und ſo ſchlich ich, itzo noch mehr als vorher wie ein Narr, wiederum fort.
Dieß war meine Mine, mein durchtriebner Anſchlag ‒ ‒ Und dieß war alles, was ich mir davon zu Nutze machte.
Jch liebe ſie mehr, als jemals, und habe es auch wohl Urſache. Niemals habe ich ſo ſaube- res Elfenbein geſehen, als ihre Arme und Schul- tern zu ſeyn ſchienen. Niemals habe ich einen ſo weichen Sammet, als ihre Haut, gefuͤhlet. Und uͤber dieß eine ſo anſtaͤndige Zierlichkeit! O Bel- ford, ſie iſt lauter Vollkommenheit. Jhr arti- ger Fuß, der den Schuh, worein er, wie ich dir erzaͤhlt habe, nur eben mit der Spitze geſteckt war, in ihrem ringenden Widerſtreben verlohr, iſt eben ſo weiß und zart, als die Hand eines andern Frauenzimmers oder ſelbſt ihre eigne Hand!
Siehſt du aber itzo nicht, daß ich auf einen Vorzug wegen einer reizenden Eigenſchaft, die mir bisher jedermann abgeſprochen hatte, einen rechtmaͤßigen Anſpruch habe? Und das iſt die, daß ich durch Bitten und Thraͤnen geruͤhret wer- den kann. Wo, wo war bey dieſer Gelegenheit der callus, die Verhaͤrtung? Wo der Kieſel,
der
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Jch glaubte, ich hoͤrte ſie kommen, die Thuͤr
zu oͤffnen, und das Herz huͤpfte mir in dieſer Hoff-
nung. Allein ſie kam nur, noch einen Riegel
vorzuſchieben und dieſelbe noch feſter zuverwah-
ren. Entweder ſie konnte oder ſie wollte mir
nicht antworten. Sie gieng weiter in ihr Zim-
mer zuruͤck, vermuthlich in ihr Cloſet. Und ſo
ſchlich ich, itzo noch mehr als vorher wie ein Narr,
wiederum fort.
Dieß war meine Mine, mein durchtriebner
Anſchlag ‒ ‒ Und dieß war alles, was ich mir
davon zu Nutze machte.
Jch liebe ſie mehr, als jemals, und habe es
auch wohl Urſache. Niemals habe ich ſo ſaube-
res Elfenbein geſehen, als ihre Arme und Schul-
tern zu ſeyn ſchienen. Niemals habe ich einen ſo
weichen Sammet, als ihre Haut, gefuͤhlet. Und
uͤber dieß eine ſo anſtaͤndige Zierlichkeit! O Bel-
ford, ſie iſt lauter Vollkommenheit. Jhr arti-
ger Fuß, der den Schuh, worein er, wie ich dir
erzaͤhlt habe, nur eben mit der Spitze geſteckt war,
in ihrem ringenden Widerſtreben verlohr, iſt eben
ſo weiß und zart, als die Hand eines andern
Frauenzimmers oder ſelbſt ihre eigne Hand!
Siehſt du aber itzo nicht, daß ich auf einen
Vorzug wegen einer reizenden Eigenſchaft, die
mir bisher jedermann abgeſprochen hatte, einen
rechtmaͤßigen Anſpruch habe? Und das iſt die,
daß ich durch Bitten und Thraͤnen geruͤhret wer-
den kann. Wo, wo war bey dieſer Gelegenheit
der callus, die Verhaͤrtung? Wo der Kieſel,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/91>, abgerufen am 26.11.2024.
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