Es ward mir schwer, den Verweis meiner Geliebten anzunehmen. Jch wünschte mit Un- geduld den glücklichen Tag und die frohe Stunde zu sehen, da ich sie ganz mein eigen nennen, und von einer so zarten Empfindlichkeit, die ihres gleichen nicht hätte, keinen Vorwurf erwarten dürfte.
Sie sahe mich mit einer gewissen schamhaf- tigen Verachtung an. Jch hielte es für Verach- tung; und frug deswegen nach der Ursache: in- dem ich mir, wie ich ihr zu erkennen gab, keiner Beleidigung bewußt wäre.
Herr Lovelace, war ihre Antwort, dieß ist nicht das erstemal, daß ich Ursache gehabt, übel mit ihnen zufrieden zu seyn, wenn sie vielleicht nicht daran gedacht haben, daß an Jhnen etwas aus- zusetzen wäre - - Allein ich muß Jhnen sagen, der Ehestand ist in meinen Augen ein Stand der Reinigkeit, und, wo ich nicht irre, so setzte sie dieß noch hinzu, nicht für ausschweifende Freyheit; wenigstens habe ich sie so verstanden.
Reinigkeit im Ehestande, Bruder! Jn Wahrheit, das klingt recht, als wenn man jemand auf der Schaubühne reden hörte. Jhr ange- nehmen Kinder, es ist ja doch die Hälfte von dem schönen Geschlechte willig und bereit, mit ei- nem liederlichen Kerl davon zu laufen: eben weil er ein liederlicher Kerl ist, und aus keiner andern Ursache; ja wenn so gar alle andere Gründe wider ihre Wahl streiten.
Haben
A 2
Es ward mir ſchwer, den Verweis meiner Geliebten anzunehmen. Jch wuͤnſchte mit Un- geduld den gluͤcklichen Tag und die frohe Stunde zu ſehen, da ich ſie ganz mein eigen nennen, und von einer ſo zarten Empfindlichkeit, die ihres gleichen nicht haͤtte, keinen Vorwurf erwarten duͤrfte.
Sie ſahe mich mit einer gewiſſen ſchamhaf- tigen Verachtung an. Jch hielte es fuͤr Verach- tung; und frug deswegen nach der Urſache: in- dem ich mir, wie ich ihr zu erkennen gab, keiner Beleidigung bewußt waͤre.
Herr Lovelace, war ihre Antwort, dieß iſt nicht das erſtemal, daß ich Urſache gehabt, uͤbel mit ihnen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie vielleicht nicht daran gedacht haben, daß an Jhnen etwas aus- zuſetzen waͤre ‒ ‒ Allein ich muß Jhnen ſagen, der Eheſtand iſt in meinen Augen ein Stand der Reinigkeit, und, wo ich nicht irre, ſo ſetzte ſie dieß noch hinzu, nicht fuͤr ausſchweifende Freyheit; wenigſtens habe ich ſie ſo verſtanden.
Reinigkeit im Eheſtande, Bruder! Jn Wahrheit, das klingt recht, als wenn man jemand auf der Schaubuͤhne reden hoͤrte. Jhr ange- nehmen Kinder, es iſt ja doch die Haͤlfte von dem ſchoͤnen Geſchlechte willig und bereit, mit ei- nem liederlichen Kerl davon zu laufen: eben weil er ein liederlicher Kerl iſt, und aus keiner andern Urſache; ja wenn ſo gar alle andere Gruͤnde wider ihre Wahl ſtreiten.
Haben
A 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0009"n="3"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Es ward mir ſchwer, den Verweis meiner<lb/>
Geliebten anzunehmen. Jch wuͤnſchte mit Un-<lb/>
geduld den gluͤcklichen Tag und die frohe Stunde<lb/>
zu ſehen, da ich ſie ganz mein eigen nennen, und<lb/>
von einer ſo zarten Empfindlichkeit, die ihres<lb/>
gleichen nicht haͤtte, keinen Vorwurf erwarten<lb/>
duͤrfte.</p><lb/><p>Sie ſahe mich mit einer gewiſſen ſchamhaf-<lb/>
tigen Verachtung an. Jch hielte es fuͤr Verach-<lb/>
tung; und frug deswegen nach der Urſache: in-<lb/>
dem ich mir, wie ich ihr zu erkennen gab, keiner<lb/>
Beleidigung bewußt waͤre.</p><lb/><p>Herr Lovelace, war ihre Antwort, dieß iſt nicht<lb/>
das erſtemal, daß ich Urſache gehabt, uͤbel mit<lb/>
ihnen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie vielleicht nicht<lb/>
daran gedacht haben, daß an Jhnen etwas aus-<lb/>
zuſetzen waͤre ‒‒ Allein ich muß Jhnen ſagen,<lb/>
der Eheſtand iſt in meinen Augen ein Stand der<lb/>
Reinigkeit, und, wo ich nicht irre, ſo ſetzte ſie dieß<lb/>
noch hinzu, nicht fuͤr <hirendition="#fr">ausſchweifende Freyheit;</hi><lb/>
wenigſtens habe ich ſie ſo verſtanden.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Reinigkeit im Eheſtande,</hi> Bruder! Jn<lb/>
Wahrheit, das klingt recht, als wenn man jemand<lb/>
auf der Schaubuͤhne reden hoͤrte. Jhr ange-<lb/>
nehmen Kinder, es iſt ja doch die Haͤlfte von<lb/>
dem ſchoͤnen Geſchlechte willig und bereit, mit ei-<lb/>
nem liederlichen Kerl davon zu laufen: eben weil<lb/>
er ein liederlicher Kerl iſt, und aus keiner andern<lb/>
Urſache; ja wenn ſo gar alle andere Gruͤnde<lb/>
wider ihre Wahl ſtreiten.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Haben</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[3/0009]
Es ward mir ſchwer, den Verweis meiner
Geliebten anzunehmen. Jch wuͤnſchte mit Un-
geduld den gluͤcklichen Tag und die frohe Stunde
zu ſehen, da ich ſie ganz mein eigen nennen, und
von einer ſo zarten Empfindlichkeit, die ihres
gleichen nicht haͤtte, keinen Vorwurf erwarten
duͤrfte.
Sie ſahe mich mit einer gewiſſen ſchamhaf-
tigen Verachtung an. Jch hielte es fuͤr Verach-
tung; und frug deswegen nach der Urſache: in-
dem ich mir, wie ich ihr zu erkennen gab, keiner
Beleidigung bewußt waͤre.
Herr Lovelace, war ihre Antwort, dieß iſt nicht
das erſtemal, daß ich Urſache gehabt, uͤbel mit
ihnen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie vielleicht nicht
daran gedacht haben, daß an Jhnen etwas aus-
zuſetzen waͤre ‒ ‒ Allein ich muß Jhnen ſagen,
der Eheſtand iſt in meinen Augen ein Stand der
Reinigkeit, und, wo ich nicht irre, ſo ſetzte ſie dieß
noch hinzu, nicht fuͤr ausſchweifende Freyheit;
wenigſtens habe ich ſie ſo verſtanden.
Reinigkeit im Eheſtande, Bruder! Jn
Wahrheit, das klingt recht, als wenn man jemand
auf der Schaubuͤhne reden hoͤrte. Jhr ange-
nehmen Kinder, es iſt ja doch die Haͤlfte von
dem ſchoͤnen Geſchlechte willig und bereit, mit ei-
nem liederlichen Kerl davon zu laufen: eben weil
er ein liederlicher Kerl iſt, und aus keiner andern
Urſache; ja wenn ſo gar alle andere Gruͤnde
wider ihre Wahl ſtreiten.
Haben
A 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/9>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.