"nicht einmal eines Gedankens bewußt, wovor "sie sich zu schämen Ursache hätte."
Dieß, Bruder, ist das Hauptsächlichste von meiner Unterhandlung mit den Weibsleuten.
Erlaube mir, dieses hinzuzufügen, daß die liebe Schöne itzo siehet, ich sey gezwungen, sie zu verlassen. Sie hat sich in den Kopf gesetzet, mich auszuforschen. Meine Anschläge sind von einer solchen Beschaffenheit, daß ich in der Ge- stalt des hassenswürdigsten Menschen erscheinen muß, wo ich mit dieser Nebenehe entdecket wer- de. Und dennoch habe ich versprochen, wie du siehest, daß sie nach Hampstead abgehen soll, so bald es ihr morgen gefällig ist, und zwar ohne alle Bedingung an ihrer Seite.
Fragst du, was ich bey diesem Versprechen für eine Absicht gehabt habe?
Wofern nichts neues vorfiele, war die Bedingung an meiner Seite, wie du dich erin- nern wirst. Allein es wird etwas neues vor- fallen.
Stelle dir vor, daß Dorcas die Handschrift, welche ihr die Fräulein zur Versicherung ihres Versprechens gegeben, fallen lassen und verlieren sollte? Bediente, sonderlich diejenigen, die weder lesen noch schreiben können, gehen mit beschriebe- benen Papieren höchst unachtsam um. Stelle dir vor, daß ich die Handschrift finden und auf- nehmen sollte - - Selbst zu der Zeit, da ich ent- schlossen wäre, dem lieben Kinde ihr völlige Frey- heit zu lassen - - Wird diese Entdeckung nicht
ein
D d d 4
„nicht einmal eines Gedankens bewußt, wovor „ſie ſich zu ſchaͤmen Urſache haͤtte.„
Dieß, Bruder, iſt das Hauptſaͤchlichſte von meiner Unterhandlung mit den Weibsleuten.
Erlaube mir, dieſes hinzuzufuͤgen, daß die liebe Schoͤne itzo ſiehet, ich ſey gezwungen, ſie zu verlaſſen. Sie hat ſich in den Kopf geſetzet, mich auszuforſchen. Meine Anſchlaͤge ſind von einer ſolchen Beſchaffenheit, daß ich in der Ge- ſtalt des haſſenswuͤrdigſten Menſchen erſcheinen muß, wo ich mit dieſer Nebenehe entdecket wer- de. Und dennoch habe ich verſprochen, wie du ſieheſt, daß ſie nach Hampſtead abgehen ſoll, ſo bald es ihr morgen gefaͤllig iſt, und zwar ohne alle Bedingung an ihrer Seite.
Fragſt du, was ich bey dieſem Verſprechen fuͤr eine Abſicht gehabt habe?
Wofern nichts neues vorfiele, war die Bedingung an meiner Seite, wie du dich erin- nern wirſt. Allein es wird etwas neues vor- fallen.
Stelle dir vor, daß Dorcas die Handſchrift, welche ihr die Fraͤulein zur Verſicherung ihres Verſprechens gegeben, fallen laſſen und verlieren ſollte? Bediente, ſonderlich diejenigen, die weder leſen noch ſchreiben koͤnnen, gehen mit beſchriebe- benen Papieren hoͤchſt unachtſam um. Stelle dir vor, daß ich die Handſchrift finden und auf- nehmen ſollte ‒ ‒ Selbſt zu der Zeit, da ich ent- ſchloſſen waͤre, dem lieben Kinde ihr voͤllige Frey- heit zu laſſen ‒ ‒ Wird dieſe Entdeckung nicht
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„nicht einmal eines Gedankens bewußt, wovor
„ſie ſich zu ſchaͤmen Urſache haͤtte.„
Dieß, Bruder, iſt das Hauptſaͤchlichſte von
meiner Unterhandlung mit den Weibsleuten.
Erlaube mir, dieſes hinzuzufuͤgen, daß die
liebe Schoͤne itzo ſiehet, ich ſey gezwungen, ſie zu
verlaſſen. Sie hat ſich in den Kopf geſetzet,
mich auszuforſchen. Meine Anſchlaͤge ſind von
einer ſolchen Beſchaffenheit, daß ich in der Ge-
ſtalt des haſſenswuͤrdigſten Menſchen erſcheinen
muß, wo ich mit dieſer Nebenehe entdecket wer-
de. Und dennoch habe ich verſprochen, wie du
ſieheſt, daß ſie nach Hampſtead abgehen ſoll, ſo
bald es ihr morgen gefaͤllig iſt, und zwar ohne
alle Bedingung an ihrer Seite.
Fragſt du, was ich bey dieſem Verſprechen fuͤr
eine Abſicht gehabt habe?
Wofern nichts neues vorfiele, war die
Bedingung an meiner Seite, wie du dich erin-
nern wirſt. Allein es wird etwas neues vor-
fallen.
Stelle dir vor, daß Dorcas die Handſchrift,
welche ihr die Fraͤulein zur Verſicherung ihres
Verſprechens gegeben, fallen laſſen und verlieren
ſollte? Bediente, ſonderlich diejenigen, die weder
leſen noch ſchreiben koͤnnen, gehen mit beſchriebe-
benen Papieren hoͤchſt unachtſam um. Stelle
dir vor, daß ich die Handſchrift finden und auf-
nehmen ſollte ‒ ‒ Selbſt zu der Zeit, da ich ent-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 791. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/797>, abgerufen am 24.11.2024.
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