Hast du bey dem Schlusse meines vorigen Briefes nicht die Bestürzung gemerket, worinn ich mich eben damals befand, als ich deinen Brief noch einmal durchgehen wollte, damit ich so viel über mich selbst vermögen möchte, daß ich den Vorsatz, meine schlummernde Schöne mit Schre- cken zu erwecken, fahren ließe? Und worauf, meynst du, kam es an?
Jch wills dir sagen - -
Es war ein wenig nach zwey. Das ganze Haus war still, oder schien es zu seyn, und mei- ne Clarissa, wie der Erfolg zeigte, zu Bette und in festem Schlafe. Jch hatte mich auch eine Stunde vorher einigermaßen ausgezogen und war in meinem Schlafrocke und in Pantoffeln: ob ich gleich dir zu Gefallen fortschrieb. Auf ein- mal schreckte mich ein Lerm von starkem Treten über meinem Kopfe, und ein verworrenes Geräusch von vermischten Stimmen, einige lauter als die andern, wie ein Keifen, und nicht viel anders als ein Klaggeschrey, alles mit Vocativis, wie bey ei- ner schrecklichen Furcht. Jndem ich mich wun- derte, was da zu thun seyn möchte: rannte Dor- cas die Treppe herunter, kam an meine Thür und rief, mit einem mehr von Schrecken und Heiserkeit dumpfigten als helle schreienden Tone, Feuer! Feuer! Dieß schreckte mich desto mehr, weil es schien, als wenn sie gern lauter schreyen wollte, aber nicht könnte.
Meine Feder, die zuletzt einen Seegen über meine Geliebte hingekritzelt hatte, fiel mir aus
den
Haſt du bey dem Schluſſe meines vorigen Briefes nicht die Beſtuͤrzung gemerket, worinn ich mich eben damals befand, als ich deinen Brief noch einmal durchgehen wollte, damit ich ſo viel uͤber mich ſelbſt vermoͤgen moͤchte, daß ich den Vorſatz, meine ſchlummernde Schoͤne mit Schre- cken zu erwecken, fahren ließe? Und worauf, meynſt du, kam es an?
Jch wills dir ſagen ‒ ‒
Es war ein wenig nach zwey. Das ganze Haus war ſtill, oder ſchien es zu ſeyn, und mei- ne Clariſſa, wie der Erfolg zeigte, zu Bette und in feſtem Schlafe. Jch hatte mich auch eine Stunde vorher einigermaßen ausgezogen und war in meinem Schlafrocke und in Pantoffeln: ob ich gleich dir zu Gefallen fortſchrieb. Auf ein- mal ſchreckte mich ein Lerm von ſtarkem Treten uͤber meinem Kopfe, und ein verworrenes Geraͤuſch von vermiſchten Stimmen, einige lauter als die andern, wie ein Keifen, und nicht viel anders als ein Klaggeſchrey, alles mit Vocativis, wie bey ei- ner ſchrecklichen Furcht. Jndem ich mich wun- derte, was da zu thun ſeyn moͤchte: rannte Dor- cas die Treppe herunter, kam an meine Thuͤr und rief, mit einem mehr von Schrecken und Heiſerkeit dumpfigten als helle ſchreienden Tone, Feuer! Feuer! Dieß ſchreckte mich deſto mehr, weil es ſchien, als wenn ſie gern lauter ſchreyen wollte, aber nicht koͤnnte.
Meine Feder, die zuletzt einen Seegen uͤber meine Geliebte hingekritzelt hatte, fiel mir aus
den
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Haſt du bey dem Schluſſe meines vorigen
Briefes nicht die Beſtuͤrzung gemerket, worinn
ich mich eben damals befand, als ich deinen Brief
noch einmal durchgehen wollte, damit ich ſo viel
uͤber mich ſelbſt vermoͤgen moͤchte, daß ich den
Vorſatz, meine ſchlummernde Schoͤne mit Schre-
cken zu erwecken, fahren ließe? Und worauf,
meynſt du, kam es an?
Jch wills dir ſagen ‒ ‒
Es war ein wenig nach zwey. Das ganze
Haus war ſtill, oder ſchien es zu ſeyn, und mei-
ne Clariſſa, wie der Erfolg zeigte, zu Bette und
in feſtem Schlafe. Jch hatte mich auch eine
Stunde vorher einigermaßen ausgezogen und
war in meinem Schlafrocke und in Pantoffeln: ob
ich gleich dir zu Gefallen fortſchrieb. Auf ein-
mal ſchreckte mich ein Lerm von ſtarkem Treten
uͤber meinem Kopfe, und ein verworrenes Geraͤuſch
von vermiſchten Stimmen, einige lauter als die
andern, wie ein Keifen, und nicht viel anders als
ein Klaggeſchrey, alles mit Vocativis, wie bey ei-
ner ſchrecklichen Furcht. Jndem ich mich wun-
derte, was da zu thun ſeyn moͤchte: rannte Dor-
cas die Treppe herunter, kam an meine Thuͤr
und rief, mit einem mehr von Schrecken und
Heiſerkeit dumpfigten als helle ſchreienden Tone,
Feuer! Feuer! Dieß ſchreckte mich deſto mehr,
weil es ſchien, als wenn ſie gern lauter ſchreyen
wollte, aber nicht koͤnnte.
Meine Feder, die zuletzt einen Seegen uͤber
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/76>, abgerufen am 29.11.2024.
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