nicht selbst auf den Fortgang zu meinem letzten Zwecke aufmerksam gemacht hätte. Außer dem weißt du, daß die Beschreibung, wie ich meinen Geliebten zu begegnen pflege, welche ich in einem Briefe an Joseph Lehmann selbst von mir ma- che (*), der Wahrheit ziemlich nahe komme.
Wollte ich in meiner Vertheidigung so ernst- lich seyn, als du in meiner Anklage hitzig bist: so könnte ich dich durch andere Gründe, Betrach- tungen und Vergleichungen überführen; denn ist nicht im menschlichen Leben alles Gut und Uebel vergleichungsweise so zu nennen? Jch könnte dich überzeugen, daß ich zwar nach meiner offenherzi- gen Gemüthsart, wenn ich bloß an dich schreibe, dem alle Geheimnisse meines Herzens entdeckt sind, sehr bereit sey, mich in meinen Erzählungen selbst anzuklagen, aber dennoch mir selbst für mich selbst etwas zu sagen habe, wie ich meine Sache nach der Länge anstelle. Jnzwischen gestehe ich, daß vielleicht keiner, der nicht selbst lüderlich ist, eini- ges Gewicht darinn finden würde. - - Jch möch- te wohl tausend andern, die sich etwa bücken woll- ten, einen Stein auf mich zu werfen, diese War- nung geben: "Sehet zu, daß euch eure eigne "herrschende Leidenschaften, sie mögen Na- "men haben, wie sie wollen, nicht zu eben so "vielem Bösen verleiten, als mich mein - - "Sehet zu, wenn ihr etwa in einigen Stücken "besser seyn solltet, als ich, daß ihr nicht in an- "dern ärger seyn möget, und daß wohl gar in
"sol-
(*) Siehe Th. III. S. 360.
nicht ſelbſt auf den Fortgang zu meinem letzten Zwecke aufmerkſam gemacht haͤtte. Außer dem weißt du, daß die Beſchreibung, wie ich meinen Geliebten zu begegnen pflege, welche ich in einem Briefe an Joſeph Lehmann ſelbſt von mir ma- che (*), der Wahrheit ziemlich nahe komme.
Wollte ich in meiner Vertheidigung ſo ernſt- lich ſeyn, als du in meiner Anklage hitzig biſt: ſo koͤnnte ich dich durch andere Gruͤnde, Betrach- tungen und Vergleichungen uͤberfuͤhren; denn iſt nicht im menſchlichen Leben alles Gut und Uebel vergleichungsweiſe ſo zu nennen? Jch koͤnnte dich uͤberzeugen, daß ich zwar nach meiner offenherzi- gen Gemuͤthsart, wenn ich bloß an dich ſchreibe, dem alle Geheimniſſe meines Herzens entdeckt ſind, ſehr bereit ſey, mich in meinen Erzaͤhlungen ſelbſt anzuklagen, aber dennoch mir ſelbſt fuͤr mich ſelbſt etwas zu ſagen habe, wie ich meine Sache nach der Laͤnge anſtelle. Jnzwiſchen geſtehe ich, daß vielleicht keiner, der nicht ſelbſt luͤderlich iſt, eini- ges Gewicht darinn finden wuͤrde. ‒ ‒ Jch moͤch- te wohl tauſend andern, die ſich etwa buͤcken woll- ten, einen Stein auf mich zu werfen, dieſe War- nung geben: „Sehet zu, daß euch eure eigne „herrſchende Leidenſchaften, ſie moͤgen Na- „men haben, wie ſie wollen, nicht zu eben ſo „vielem Boͤſen verleiten, als mich mein ‒ ‒ „Sehet zu, wenn ihr etwa in einigen Stuͤcken „beſſer ſeyn ſolltet, als ich, daß ihr nicht in an- „dern aͤrger ſeyn moͤget, und daß wohl gar in
„ſol-
(*) Siehe Th. III. S. 360.
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nicht ſelbſt auf den Fortgang zu meinem letzten
Zwecke aufmerkſam gemacht haͤtte. Außer dem
weißt du, daß die Beſchreibung, wie ich meinen
Geliebten zu begegnen pflege, welche ich in einem
Briefe an Joſeph Lehmann ſelbſt von mir ma-
che (*), der Wahrheit ziemlich nahe komme.
Wollte ich in meiner Vertheidigung ſo ernſt-
lich ſeyn, als du in meiner Anklage hitzig biſt: ſo
koͤnnte ich dich durch andere Gruͤnde, Betrach-
tungen und Vergleichungen uͤberfuͤhren; denn iſt
nicht im menſchlichen Leben alles Gut und Uebel
vergleichungsweiſe ſo zu nennen? Jch koͤnnte dich
uͤberzeugen, daß ich zwar nach meiner offenherzi-
gen Gemuͤthsart, wenn ich bloß an dich ſchreibe,
dem alle Geheimniſſe meines Herzens entdeckt
ſind, ſehr bereit ſey, mich in meinen Erzaͤhlungen
ſelbſt anzuklagen, aber dennoch mir ſelbſt fuͤr mich
ſelbſt etwas zu ſagen habe, wie ich meine Sache nach
der Laͤnge anſtelle. Jnzwiſchen geſtehe ich, daß
vielleicht keiner, der nicht ſelbſt luͤderlich iſt, eini-
ges Gewicht darinn finden wuͤrde. ‒ ‒ Jch moͤch-
te wohl tauſend andern, die ſich etwa buͤcken woll-
ten, einen Stein auf mich zu werfen, dieſe War-
nung geben: „Sehet zu, daß euch eure eigne
„herrſchende Leidenſchaften, ſie moͤgen Na-
„men haben, wie ſie wollen, nicht zu eben ſo
„vielem Boͤſen verleiten, als mich mein ‒ ‒
„Sehet zu, wenn ihr etwa in einigen Stuͤcken
„beſſer ſeyn ſolltet, als ich, daß ihr nicht in an-
„dern aͤrger ſeyn moͤget, und daß wohl gar in
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(*) Siehe Th. III. S. 360.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/69>, abgerufen am 28.11.2024.
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