Ja du hast mich zu schanden gemacht in mei- nen eignen Augen, und das ist mir eben so viel, als wenn es die ganze Welt wüßte - - Hin- dere mich nicht, frey wegzugehen, wohin mich mein geheimnißvolles Schicksal leiten wird - -
Warum bedenken sie sich, mein Herr? Was für Recht haben sie, mich aufzuhalten, wie sie nicht lange vorher gethan, und mich mit Gewalt heraufzubringen, daß mir Hände und Arme von ihrem gewaltsamen Angreifen braun und blau sind? Was für Recht haben sie, mich hier fest- zuhalten?
Jhre so heftige Reden, gnädige Fräulein, gehen mir durchs Herze. Jch empfinde das Un- recht, das ich ihnen gethan habe, nur allzu sehr: sonst würde ich ihre harten Vorwürfe nimmer- mehr leiden können. Ein Mensch, der eine schändliche That begehet, und dabey zu bleiben gedenket, zeiget niemals so herzliche Reue, als ich zeige. Jedoch, wo sie selbst glauben, daß sie in meiner Gewalt sind: so wollte ich ihnen wohl die Warnung geben, mich nicht zur Verzweifelung zu bringen. Denn sie sollen die Meinige seyn: oder es soll mein Leben kosten. Das Leben ist ohne sie nicht werth, daß ich es habe! - -
Die Deinige seyn! - - Jch die Deinige seyn! sagte die hitzige Schöne. O wie liebens- würdig war sie in ihrer heftigen Bewegung.
Ja, gnädige Fräulein, die Meinige seyn! - - Jch sage es noch einmal, sie sollen die Meinige seyn! - - Mein Verbrechen selbst gereichet ih-
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Ja du haſt mich zu ſchanden gemacht in mei- nen eignen Augen, und das iſt mir eben ſo viel, als wenn es die ganze Welt wuͤßte ‒ ‒ Hin- dere mich nicht, frey wegzugehen, wohin mich mein geheimnißvolles Schickſal leiten wird ‒ ‒
Warum bedenken ſie ſich, mein Herr? Was fuͤr Recht haben ſie, mich aufzuhalten, wie ſie nicht lange vorher gethan, und mich mit Gewalt heraufzubringen, daß mir Haͤnde und Arme von ihrem gewaltſamen Angreifen braun und blau ſind? Was fuͤr Recht haben ſie, mich hier feſt- zuhalten?
Jhre ſo heftige Reden, gnaͤdige Fraͤulein, gehen mir durchs Herze. Jch empfinde das Un- recht, das ich ihnen gethan habe, nur allzu ſehr: ſonſt wuͤrde ich ihre harten Vorwuͤrfe nimmer- mehr leiden koͤnnen. Ein Menſch, der eine ſchaͤndliche That begehet, und dabey zu bleiben gedenket, zeiget niemals ſo herzliche Reue, als ich zeige. Jedoch, wo ſie ſelbſt glauben, daß ſie in meiner Gewalt ſind: ſo wollte ich ihnen wohl die Warnung geben, mich nicht zur Verzweifelung zu bringen. Denn ſie ſollen die Meinige ſeyn: oder es ſoll mein Leben koſten. Das Leben iſt ohne ſie nicht werth, daß ich es habe! ‒ ‒
Die Deinige ſeyn! ‒ ‒ Jch die Deinige ſeyn! ſagte die hitzige Schoͤne. O wie liebens- wuͤrdig war ſie in ihrer heftigen Bewegung.
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, die Meinige ſeyn! ‒ ‒ Jch ſage es noch einmal, ſie ſollen die Meinige ſeyn! ‒ ‒ Mein Verbrechen ſelbſt gereichet ih-
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Ja du haſt mich zu ſchanden gemacht in mei-
nen eignen Augen, und das iſt mir eben ſo viel,
als wenn es die ganze Welt wuͤßte ‒ ‒ Hin-
dere mich nicht, frey wegzugehen, wohin mich
mein geheimnißvolles Schickſal leiten wird ‒ ‒
Warum bedenken ſie ſich, mein Herr? Was
fuͤr Recht haben ſie, mich aufzuhalten, wie ſie
nicht lange vorher gethan, und mich mit Gewalt
heraufzubringen, daß mir Haͤnde und Arme von
ihrem gewaltſamen Angreifen braun und blau
ſind? Was fuͤr Recht haben ſie, mich hier feſt-
zuhalten?
Jhre ſo heftige Reden, gnaͤdige Fraͤulein,
gehen mir durchs Herze. Jch empfinde das Un-
recht, das ich ihnen gethan habe, nur allzu ſehr:
ſonſt wuͤrde ich ihre harten Vorwuͤrfe nimmer-
mehr leiden koͤnnen. Ein Menſch, der eine
ſchaͤndliche That begehet, und dabey zu bleiben
gedenket, zeiget niemals ſo herzliche Reue, als ich
zeige. Jedoch, wo ſie ſelbſt glauben, daß ſie in
meiner Gewalt ſind: ſo wollte ich ihnen wohl die
Warnung geben, mich nicht zur Verzweifelung
zu bringen. Denn ſie ſollen die Meinige ſeyn:
oder es ſoll mein Leben koſten. Das Leben iſt
ohne ſie nicht werth, daß ich es habe! ‒ ‒
Die Deinige ſeyn! ‒ ‒ Jch die Deinige
ſeyn! ſagte die hitzige Schoͤne. O wie liebens-
wuͤrdig war ſie in ihrer heftigen Bewegung.
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, die Meinige ſeyn! ‒ ‒
Jch ſage es noch einmal, ſie ſollen die Meinige
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/685>, abgerufen am 22.11.2024.
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