Du wütender Brand, du schneidender Ost- wind, du streichender Mehlthau, der alles, was das beste Jahr verspricht, frühe zernichtet, der den mühsamen und sauren Fleiß zu schanden ma- chet, und die frohe Hoffnung des arbeitsamen Landmannes vereitelt.
Du nagende Motte, die das schönste Gewand zu Grunde richtet.
Du fressendes Ungeziefer, das die aufgehen- den Knospen zum Raube nimmt und die feineste Rose in schwarzgelbe Blätter verwandelt.
Wo uns Gott, wie die Religion lehret, gro- ßentheils nach unsern guten oder bösen Handlun- gen gegen einander richten wird: - - O Böse- wicht, so bedenke, bedenke beyzeiten, wie groß deine Verdammniß seyn müsse!
Das VIII Blatt.
Anfangs sahe ich etwas in ihrem Wesen und ihrer Person, das mir nicht misfiel. Jhre Geburt und Glücksumstände waren nicht gerin- ge Vorzüge für sie. - - Sie handelten nicht un- edelmüthig gegen meinen ungestümen Bruder. Jedermann sagte, sie wären herzhaft: jedermaun sagte, sie wären großmüthig. Ein herzhafter Mensch, dachte ich, könnte nicht niederträchtig seyn: ein großmüthiger Mensch, glaubte ich, könnte nicht unedelmüthig verfahren, wo er sich verbunden achten müßte. Da ich von die- sem Vorurtheil geblendet war: hoffete ich alles
übri-
Du wuͤtender Brand, du ſchneidender Oſt- wind, du ſtreichender Mehlthau, der alles, was das beſte Jahr verſpricht, fruͤhe zernichtet, der den muͤhſamen und ſauren Fleiß zu ſchanden ma- chet, und die frohe Hoffnung des arbeitſamen Landmannes vereitelt.
Du nagende Motte, die das ſchoͤnſte Gewand zu Grunde richtet.
Du freſſendes Ungeziefer, das die aufgehen- den Knoſpen zum Raube nimmt und die feineſte Roſe in ſchwarzgelbe Blaͤtter verwandelt.
Wo uns Gott, wie die Religion lehret, gro- ßentheils nach unſern guten oder boͤſen Handlun- gen gegen einander richten wird: ‒ ‒ O Boͤſe- wicht, ſo bedenke, bedenke beyzeiten, wie groß deine Verdammniß ſeyn muͤſſe!
Das VIII Blatt.
Anfangs ſahe ich etwas in ihrem Weſen und ihrer Perſon, das mir nicht misfiel. Jhre Geburt und Gluͤcksumſtaͤnde waren nicht gerin- ge Vorzuͤge fuͤr ſie. ‒ ‒ Sie handelten nicht un- edelmuͤthig gegen meinen ungeſtuͤmen Bruder. Jedermann ſagte, ſie waͤren herzhaft: jedermaun ſagte, ſie waͤren großmuͤthig. Ein herzhafter Menſch, dachte ich, koͤnnte nicht niedertraͤchtig ſeyn: ein großmuͤthiger Menſch, glaubte ich, koͤnnte nicht unedelmuͤthig verfahren, wo er ſich verbunden achten muͤßte. Da ich von die- ſem Vorurtheil geblendet war: hoffete ich alles
uͤbri-
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Du wuͤtender Brand, du ſchneidender Oſt-
wind, du ſtreichender Mehlthau, der alles, was
das beſte Jahr verſpricht, fruͤhe zernichtet, der
den muͤhſamen und ſauren Fleiß zu ſchanden ma-
chet, und die frohe Hoffnung des arbeitſamen
Landmannes vereitelt.
Du nagende Motte, die das ſchoͤnſte Gewand
zu Grunde richtet.
Du freſſendes Ungeziefer, das die aufgehen-
den Knoſpen zum Raube nimmt und die feineſte
Roſe in ſchwarzgelbe Blaͤtter verwandelt.
Wo uns Gott, wie die Religion lehret, gro-
ßentheils nach unſern guten oder boͤſen Handlun-
gen gegen einander richten wird: ‒ ‒ O Boͤſe-
wicht, ſo bedenke, bedenke beyzeiten, wie groß deine
Verdammniß ſeyn muͤſſe!
Das VIII Blatt.
Anfangs ſahe ich etwas in ihrem Weſen und
ihrer Perſon, das mir nicht misfiel. Jhre
Geburt und Gluͤcksumſtaͤnde waren nicht gerin-
ge Vorzuͤge fuͤr ſie. ‒ ‒ Sie handelten nicht un-
edelmuͤthig gegen meinen ungeſtuͤmen Bruder.
Jedermann ſagte, ſie waͤren herzhaft: jedermaun
ſagte, ſie waͤren großmuͤthig. Ein herzhafter
Menſch, dachte ich, koͤnnte nicht niedertraͤchtig
ſeyn: ein großmuͤthiger Menſch, glaubte ich,
koͤnnte nicht unedelmuͤthig verfahren, wo er
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/629>, abgerufen am 24.11.2024.
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