schwenkest. - - Und zu welchem Ende? Da das Unglück geschehen ist; da folglich der Sache nicht zu helfen ist; und da eine Clarissa mich nicht zu rühren vermögend gewesen.
Bey dem allen aber muß ich doch gestehen, daß etwas recht sonderbares in der Begebnheit mit dieser Fräulein vorkommt. Jch kann mich bisweilen nicht entbrechen zu bedauren, daß ich es jemals mit ihr aufgenommen habe: da nicht eine einzige Kraft weder ihres Leibes noch ihrer See- len auf meine Seite zu lenken gewesen; und gleichwohl, daß ich den Ausdruck jenes Weltwei- sen, bey einer viel wichtigern Gelegenheit, gebrau- che, kein Unterschied zwischen der Hirnschedel von König Philipp und von einem andern Menschen zu finden ist.
Aber die ausschweifenden Begriffe der Leute, welche sie sich von Dingen machen, verändern die Natur der Sachen nicht, Belford. Wenn alles herumkommt: so hat die Fräulein Clarissa Harlowe bloß das gemeine Schicksal tausend an- derer Personen von ihrem Geschlechte erfahren - - Der einzige Unterschied ist, daß diese keinen so romanenmäßigen Werth dem Dinge, was sie ihre Ehre nennen, beygeleget haben. Weiter ist es nichts.
Jedoch, ich will dir dieß zugeben - - Wenn jemand einem Dinge einen hohen Werth beyle- get; es mag an sich, oder in anderer Augen, noch so eine nichtswürdige Kleinigkeit seyn: so ist der Verlust, wo er desselben beraubt wird, für ihn
nicht
ſchwenkeſt. ‒ ‒ Und zu welchem Ende? Da das Ungluͤck geſchehen iſt; da folglich der Sache nicht zu helfen iſt; und da eine Clariſſa mich nicht zu ruͤhren vermoͤgend geweſen.
Bey dem allen aber muß ich doch geſtehen, daß etwas recht ſonderbares in der Begebnheit mit dieſer Fraͤulein vorkommt. Jch kann mich bisweilen nicht entbrechen zu bedauren, daß ich es jemals mit ihr aufgenommen habe: da nicht eine einzige Kraft weder ihres Leibes noch ihrer See- len auf meine Seite zu lenken geweſen; und gleichwohl, daß ich den Ausdruck jenes Weltwei- ſen, bey einer viel wichtigern Gelegenheit, gebrau- che, kein Unterſchied zwiſchen der Hirnſchedel von Koͤnig Philipp und von einem andern Menſchen zu finden iſt.
Aber die ausſchweifenden Begriffe der Leute, welche ſie ſich von Dingen machen, veraͤndern die Natur der Sachen nicht, Belford. Wenn alles herumkommt: ſo hat die Fraͤulein Clariſſa Harlowe bloß das gemeine Schickſal tauſend an- derer Perſonen von ihrem Geſchlechte erfahren ‒ ‒ Der einzige Unterſchied iſt, daß dieſe keinen ſo romanenmaͤßigen Werth dem Dinge, was ſie ihre Ehre nennen, beygeleget haben. Weiter iſt es nichts.
Jedoch, ich will dir dieß zugeben ‒ ‒ Wenn jemand einem Dinge einen hohen Werth beyle- get; es mag an ſich, oder in anderer Augen, noch ſo eine nichtswuͤrdige Kleinigkeit ſeyn: ſo iſt der Verluſt, wo er deſſelben beraubt wird, fuͤr ihn
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ſchwenkeſt. ‒ ‒ Und zu welchem Ende? Da
das Ungluͤck geſchehen iſt; da folglich der Sache
nicht zu helfen iſt; und da eine Clariſſa mich nicht
zu ruͤhren vermoͤgend geweſen.
Bey dem allen aber muß ich doch geſtehen,
daß etwas recht ſonderbares in der Begebnheit
mit dieſer Fraͤulein vorkommt. Jch kann mich
bisweilen nicht entbrechen zu bedauren, daß ich es
jemals mit ihr aufgenommen habe: da nicht eine
einzige Kraft weder ihres Leibes noch ihrer See-
len auf meine Seite zu lenken geweſen; und
gleichwohl, daß ich den Ausdruck jenes Weltwei-
ſen, bey einer viel wichtigern Gelegenheit, gebrau-
che, kein Unterſchied zwiſchen der Hirnſchedel von
Koͤnig Philipp und von einem andern Menſchen
zu finden iſt.
Aber die ausſchweifenden Begriffe der Leute,
welche ſie ſich von Dingen machen, veraͤndern
die Natur der Sachen nicht, Belford. Wenn
alles herumkommt: ſo hat die Fraͤulein Clariſſa
Harlowe bloß das gemeine Schickſal tauſend an-
derer Perſonen von ihrem Geſchlechte erfahren ‒ ‒
Der einzige Unterſchied iſt, daß dieſe keinen ſo
romanenmaͤßigen Werth dem Dinge, was ſie ihre
Ehre nennen, beygeleget haben. Weiter iſt es
nichts.
Jedoch, ich will dir dieß zugeben ‒ ‒ Wenn
jemand einem Dinge einen hohen Werth beyle-
get; es mag an ſich, oder in anderer Augen, noch
ſo eine nichtswuͤrdige Kleinigkeit ſeyn: ſo iſt der
Verluſt, wo er deſſelben beraubt wird, fuͤr ihn
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/609>, abgerufen am 24.11.2024.
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