mäßig bedrängten Verdiensten Gerechtig- keit widerfahre, und eine solche unmensch- liche Treulosigkeit gestraft werde. Hätte wohl sonst der göttliche Socrates und die gött- liche Clarissa leiden können?
Erlaube mir aber, wo es möglich ist, diese ehrenlose und gewaltsame Beschimpfung des unvergleichlichsten Frauenzimmers auf einen Au- genblick zu vergessen.
Jch habe hier Geschäffte, die mich noch eini- ge Tage aufhalten werden: und hernach werde ich vielleicht dieß Haus auf ewig verlassen.
Es ist mir eine bedenkliche und verdriesliche Zeit gewesen, die ich darinn zugebracht habe. Jch hätte niemals gedacht, daß ich auch nur halb die Achtung gegen den alten Herrn hätte, die ich wirklich ber mir gefunden habe: wenn ich nicht, auf sein ernstliches Verlangen, so nahe um ihn, und ein Zeuge von der Marter, die er ausgestan- den hat, gewesen wäre.
Diese traurige Begebenheit hat vielleicht et- was beygetragen, mich mit der Menschheit be- kannter zu machen. Aber in Wahrheit, ich hät- te doch niemals gegen ein Frauenzimmer, das nur die Hälfte von den unvergleichlichen Vorzü- gen dieser Fräulein an sich gehabt hätte, ein so ge- wissenloser Bube seyn können, als du gewesen bist.
Jch bitte dich, lieber Lovelace, wo du ein Mensch, und nicht ein Teufel bist; entschließe dich alsobald, dein undankbares Verbrechen da- durch zu verbessern, daß du dir die höchste Ehre
erwei-
maͤßig bedraͤngten Verdienſten Gerechtig- keit widerfahre, und eine ſolche unmenſch- liche Treuloſigkeit geſtraft werde. Haͤtte wohl ſonſt der goͤttliche Socrates und die goͤtt- liche Clariſſa leiden koͤnnen?
Erlaube mir aber, wo es moͤglich iſt, dieſe ehrenloſe und gewaltſame Beſchimpfung des unvergleichlichſten Frauenzimmers auf einen Au- genblick zu vergeſſen.
Jch habe hier Geſchaͤffte, die mich noch eini- ge Tage aufhalten werden: und hernach werde ich vielleicht dieß Haus auf ewig verlaſſen.
Es iſt mir eine bedenkliche und verdriesliche Zeit geweſen, die ich darinn zugebracht habe. Jch haͤtte niemals gedacht, daß ich auch nur halb die Achtung gegen den alten Herrn haͤtte, die ich wirklich ber mir gefunden habe: wenn ich nicht, auf ſein ernſtliches Verlangen, ſo nahe um ihn, und ein Zeuge von der Marter, die er ausgeſtan- den hat, geweſen waͤre.
Dieſe traurige Begebenheit hat vielleicht et- was beygetragen, mich mit der Menſchheit be- kannter zu machen. Aber in Wahrheit, ich haͤt- te doch niemals gegen ein Frauenzimmer, das nur die Haͤlfte von den unvergleichlichen Vorzuͤ- gen dieſer Fraͤulein an ſich gehabt haͤtte, ein ſo ge- wiſſenloſer Bube ſeyn koͤnnen, als du geweſen biſt.
Jch bitte dich, lieber Lovelace, wo du ein Menſch, und nicht ein Teufel biſt; entſchließe dich alſobald, dein undankbares Verbrechen da- durch zu verbeſſern, daß du dir die hoͤchſte Ehre
erwei-
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maͤßig bedraͤngten Verdienſten Gerechtig-
keit widerfahre, und eine ſolche unmenſch-
liche Treuloſigkeit geſtraft werde. Haͤtte
wohl ſonſt der goͤttliche Socrates und die goͤtt-
liche Clariſſa leiden koͤnnen?
Erlaube mir aber, wo es moͤglich iſt, dieſe
ehrenloſe und gewaltſame Beſchimpfung des
unvergleichlichſten Frauenzimmers auf einen Au-
genblick zu vergeſſen.
Jch habe hier Geſchaͤffte, die mich noch eini-
ge Tage aufhalten werden: und hernach werde
ich vielleicht dieß Haus auf ewig verlaſſen.
Es iſt mir eine bedenkliche und verdriesliche
Zeit geweſen, die ich darinn zugebracht habe.
Jch haͤtte niemals gedacht, daß ich auch nur halb
die Achtung gegen den alten Herrn haͤtte, die ich
wirklich ber mir gefunden habe: wenn ich nicht,
auf ſein ernſtliches Verlangen, ſo nahe um ihn,
und ein Zeuge von der Marter, die er ausgeſtan-
den hat, geweſen waͤre.
Dieſe traurige Begebenheit hat vielleicht et-
was beygetragen, mich mit der Menſchheit be-
kannter zu machen. Aber in Wahrheit, ich haͤt-
te doch niemals gegen ein Frauenzimmer, das
nur die Haͤlfte von den unvergleichlichen Vorzuͤ-
gen dieſer Fraͤulein an ſich gehabt haͤtte, ein ſo ge-
wiſſenloſer Bube ſeyn koͤnnen, als du geweſen biſt.
Jch bitte dich, lieber Lovelace, wo du ein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/606>, abgerufen am 24.11.2024.
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