Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Meine göttliche Clarissa hat mich in Verwir-
rung gesetzet, und aus meiner Rolle gebracht.
Einmal hoffte ich sie durch eingejagte Furcht,
ein andermal durch Liebe, durch eine Liebe, die
beständig ihre Gestalt verändert,
wie ich mich
ausgedrückt habe (*), zu überwältigen. Nun
habe ich nur noch den Versuch, sie zu über-
rumpeln,
den andern beyden Mitteln an die
Seite zu setzen, und muß sehen, was durch alle
drey auszurichten steht.

Und in wessen Eigenthum, ich bitte dich, wer-
de ich einen Eingriff thun: wenn ich meinen Ab-
sichten der Liebe und Rache nachgehe? Haben
nicht diejenigen, welche ein Recht auf sie haben,
sich dieses Rechts begeben? Haben sie dieselbe
nicht freywillig der Gefahr bloßgestellet: da sie
doch wissen mußten, daß ein solches Frauenzim-
mer von allen, die nur eine bequeme Gelegenheit,
sich an sie zu machen, haben könnten, für eine
preisgegebne und erlaubte Beute würde angesehen
werden? Aber gesetzt auch, jene hätten sie nicht
so grausam aller Gefahr überlassen: ist sie denn
nicht ein lediges Frauenzimmer? Muß ich dir
noch erst sagen, Bruder, daß Leute von unserm
Schlage, und zwar die besten unter denselben;
die ärgsten machen sich aus nichts etwas; es für
eine große Gnade und Gewogenheit gegen die
verheyratheten Männer ansehen, wenn sie ihnen
ihre Weiber lassen und mit ihren Schwestern,
Töchtern, anvertrauten Minderjährigen und Ba-

sen
(*) Siehe Th. III. S. 160.


Meine goͤttliche Clariſſa hat mich in Verwir-
rung geſetzet, und aus meiner Rolle gebracht.
Einmal hoffte ich ſie durch eingejagte Furcht,
ein andermal durch Liebe, durch eine Liebe, die
beſtaͤndig ihre Geſtalt veraͤndert,
wie ich mich
ausgedruͤckt habe (*), zu uͤberwaͤltigen. Nun
habe ich nur noch den Verſuch, ſie zu uͤber-
rumpeln,
den andern beyden Mitteln an die
Seite zu ſetzen, und muß ſehen, was durch alle
drey auszurichten ſteht.

Und in weſſen Eigenthum, ich bitte dich, wer-
de ich einen Eingriff thun: wenn ich meinen Ab-
ſichten der Liebe und Rache nachgehe? Haben
nicht diejenigen, welche ein Recht auf ſie haben,
ſich dieſes Rechts begeben? Haben ſie dieſelbe
nicht freywillig der Gefahr bloßgeſtellet: da ſie
doch wiſſen mußten, daß ein ſolches Frauenzim-
mer von allen, die nur eine bequeme Gelegenheit,
ſich an ſie zu machen, haben koͤnnten, fuͤr eine
preisgegebne und erlaubte Beute wuͤrde angeſehen
werden? Aber geſetzt auch, jene haͤtten ſie nicht
ſo grauſam aller Gefahr uͤberlaſſen: iſt ſie denn
nicht ein lediges Frauenzimmer? Muß ich dir
noch erſt ſagen, Bruder, daß Leute von unſerm
Schlage, und zwar die beſten unter denſelben;
die aͤrgſten machen ſich aus nichts etwas; es fuͤr
eine große Gnade und Gewogenheit gegen die
verheyratheten Maͤnner anſehen, wenn ſie ihnen
ihre Weiber laſſen und mit ihren Schweſtern,
Toͤchtern, anvertrauten Minderjaͤhrigen und Ba-

ſen
(*) Siehe Th. III. S. 160.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0058" n="52"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Meine go&#x0364;ttliche Clari&#x017F;&#x017F;a hat mich in Verwir-<lb/>
rung ge&#x017F;etzet, und aus meiner Rolle gebracht.<lb/>
Einmal hoffte ich &#x017F;ie durch <hi rendition="#fr">eingejagte Furcht,</hi><lb/>
ein andermal durch <hi rendition="#fr">Liebe,</hi> durch eine <hi rendition="#fr">Liebe, die<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig ihre Ge&#x017F;talt vera&#x0364;ndert,</hi> wie ich mich<lb/>
ausgedru&#x0364;ckt habe <note place="foot" n="(*)">Siehe Th. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 160.</note>, zu u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen. Nun<lb/>
habe ich nur noch den <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch, &#x017F;ie zu u&#x0364;ber-<lb/>
rumpeln,</hi> den andern beyden Mitteln an die<lb/>
Seite zu &#x017F;etzen, und muß &#x017F;ehen, was durch alle<lb/>
drey auszurichten &#x017F;teht.</p><lb/>
          <p>Und in we&#x017F;&#x017F;en Eigenthum, ich bitte dich, wer-<lb/>
de ich einen Eingriff thun: wenn ich meinen Ab-<lb/>
&#x017F;ichten der Liebe und Rache nachgehe? Haben<lb/>
nicht diejenigen, welche ein Recht auf &#x017F;ie haben,<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;es Rechts begeben? Haben &#x017F;ie die&#x017F;elbe<lb/>
nicht freywillig der Gefahr bloßge&#x017F;tellet: da &#x017F;ie<lb/>
doch wi&#x017F;&#x017F;en mußten, daß ein &#x017F;olches Frauenzim-<lb/>
mer von allen, die nur eine bequeme Gelegenheit,<lb/>
&#x017F;ich an &#x017F;ie zu machen, haben ko&#x0364;nnten, fu&#x0364;r eine<lb/>
preisgegebne und erlaubte Beute wu&#x0364;rde ange&#x017F;ehen<lb/>
werden? Aber ge&#x017F;etzt auch, jene ha&#x0364;tten &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x017F;o grau&#x017F;am aller Gefahr u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en: i&#x017F;t &#x017F;ie denn<lb/>
nicht ein lediges Frauenzimmer? Muß ich dir<lb/>
noch er&#x017F;t &#x017F;agen, Bruder, daß Leute von un&#x017F;erm<lb/>
Schlage, und zwar die be&#x017F;ten unter den&#x017F;elben;<lb/>
die a&#x0364;rg&#x017F;ten machen &#x017F;ich aus nichts etwas; es fu&#x0364;r<lb/>
eine große Gnade und Gewogenheit gegen die<lb/>
verheyratheten Ma&#x0364;nner an&#x017F;ehen, wenn &#x017F;ie ihnen<lb/>
ihre Weiber la&#x017F;&#x017F;en und mit ihren Schwe&#x017F;tern,<lb/>
To&#x0364;chtern, anvertrauten Minderja&#x0364;hrigen und Ba-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;en</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0058] Meine goͤttliche Clariſſa hat mich in Verwir- rung geſetzet, und aus meiner Rolle gebracht. Einmal hoffte ich ſie durch eingejagte Furcht, ein andermal durch Liebe, durch eine Liebe, die beſtaͤndig ihre Geſtalt veraͤndert, wie ich mich ausgedruͤckt habe (*), zu uͤberwaͤltigen. Nun habe ich nur noch den Verſuch, ſie zu uͤber- rumpeln, den andern beyden Mitteln an die Seite zu ſetzen, und muß ſehen, was durch alle drey auszurichten ſteht. Und in weſſen Eigenthum, ich bitte dich, wer- de ich einen Eingriff thun: wenn ich meinen Ab- ſichten der Liebe und Rache nachgehe? Haben nicht diejenigen, welche ein Recht auf ſie haben, ſich dieſes Rechts begeben? Haben ſie dieſelbe nicht freywillig der Gefahr bloßgeſtellet: da ſie doch wiſſen mußten, daß ein ſolches Frauenzim- mer von allen, die nur eine bequeme Gelegenheit, ſich an ſie zu machen, haben koͤnnten, fuͤr eine preisgegebne und erlaubte Beute wuͤrde angeſehen werden? Aber geſetzt auch, jene haͤtten ſie nicht ſo grauſam aller Gefahr uͤberlaſſen: iſt ſie denn nicht ein lediges Frauenzimmer? Muß ich dir noch erſt ſagen, Bruder, daß Leute von unſerm Schlage, und zwar die beſten unter denſelben; die aͤrgſten machen ſich aus nichts etwas; es fuͤr eine große Gnade und Gewogenheit gegen die verheyratheten Maͤnner anſehen, wenn ſie ihnen ihre Weiber laſſen und mit ihren Schweſtern, Toͤchtern, anvertrauten Minderjaͤhrigen und Ba- ſen (*) Siehe Th. III. S. 160.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/58
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/58>, abgerufen am 23.11.2024.