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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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den vermuthet hätten, als dabey zu finden seyn kann,
oder aus Eigensinn an ihrer, oder herrschsüchtiger
Hartnäckigkeit
an seiner Seite, sich nicht wohl verhal-
ten hätten, und ein Theil mit dem andern betrogen
wäre: was für eine treffliche Gelegenheit würde
nach diesem Vorschlage ein jedes haben, einen ver-
lohrnen guten Ruf bey dem nächsten Vorfall wieder
zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer
Unterschied, Bruder, bey einer und eben derselben
Person, ob sie irgendwo zu Hause gehört, oder nur
zum Besuche ist!

Und, o Bruder, mit was für Freude, mit was
für entzückender Lust würden die Freunde der Ab-
wechselung,
oder die Veränderlichen, wenn dir das
Wort besser gefällt, die Wochen, die Tage, die Stun-
den zählen, nachdem die jährige Verbindlichkeit zu
ihrem erwünschten Wechsel nahete!

Was die Milzsucht oder melancholische Be-
schwerden betrifft: so würde man von keiner solchen
Krankheit wissen oder hören. Die Zunft der Aerzte
würde in der That dabey leiden, und zwar ganz al-
lein. Denn es würden zu neuer Gesundheit bestän-
dig frische Lebensgeister, als die Folgen von süssem
Blute und süssen Säften, einfließen: da Seel und
Leib immer mit einander zufrieden seyn würden. Die
Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent-
springet, unsere höchste Freude unter allen, würde
alles gesund und lebendig erhalten.

Allein, damit niemand leiden möchte, könnten
nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden:
weil nach den Pfarrern viel Nachfragens seyn wür-
de. Außer dem, da sie an dem gemeinen Wohl Theil
haben würden, müßten sie in der That verdrießliche
Leute seyn: wenn sie sich selbst dem gemeinen Besten
vorziehen wollten.

Ein jeder würde wenigstens ein Dutzentmal
verheyrathet werden. So wohl Männer als Wei-

ber



den vermuthet haͤtten, als dabey zu finden ſeyn kann,
oder aus Eigenſinn an ihrer, oder herrſchſuͤchtiger
Hartnaͤckigkeit
an ſeiner Seite, ſich nicht wohl verhal-
ten haͤtten, und ein Theil mit dem andern betrogen
waͤre: was fuͤr eine treffliche Gelegenheit wuͤrde
nach dieſem Vorſchlage ein jedes haben, einen ver-
lohrnen guten Ruf bey dem naͤchſten Vorfall wieder
zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer
Unterſchied, Bruder, bey einer und eben derſelben
Perſon, ob ſie irgendwo zu Hauſe gehoͤrt, oder nur
zum Beſuche iſt!

Und, o Bruder, mit was fuͤr Freude, mit was
fuͤr entzuͤckender Luſt wuͤrden die Freunde der Ab-
wechſelung,
oder die Veraͤnderlichen, wenn dir das
Wort beſſer gefaͤllt, die Wochen, die Tage, die Stun-
den zaͤhlen, nachdem die jaͤhrige Verbindlichkeit zu
ihrem erwuͤnſchten Wechſel nahete!

Was die Milzſucht oder melancholiſche Be-
ſchwerden betrifft: ſo wuͤrde man von keiner ſolchen
Krankheit wiſſen oder hoͤren. Die Zunft der Aerzte
wuͤrde in der That dabey leiden, und zwar ganz al-
lein. Denn es wuͤrden zu neuer Geſundheit beſtaͤn-
dig friſche Lebensgeiſter, als die Folgen von ſuͤſſem
Blute und ſuͤſſen Saͤften, einfließen: da Seel und
Leib immer mit einander zufrieden ſeyn wuͤrden. Die
Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent-
ſpringet, unſere hoͤchſte Freude unter allen, wuͤrde
alles geſund und lebendig erhalten.

Allein, damit niemand leiden moͤchte, koͤnnten
nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden:
weil nach den Pfarrern viel Nachfragens ſeyn wuͤr-
de. Außer dem, da ſie an dem gemeinen Wohl Theil
haben wuͤrden, muͤßten ſie in der That verdrießliche
Leute ſeyn: wenn ſie ſich ſelbſt dem gemeinen Beſten
vorziehen wollten.

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verheyrathet werden. So wohl Maͤnner als Wei-

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[562/0568] den vermuthet haͤtten, als dabey zu finden ſeyn kann, oder aus Eigenſinn an ihrer, oder herrſchſuͤchtiger Hartnaͤckigkeit an ſeiner Seite, ſich nicht wohl verhal- ten haͤtten, und ein Theil mit dem andern betrogen waͤre: was fuͤr eine treffliche Gelegenheit wuͤrde nach dieſem Vorſchlage ein jedes haben, einen ver- lohrnen guten Ruf bey dem naͤchſten Vorfall wieder zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer Unterſchied, Bruder, bey einer und eben derſelben Perſon, ob ſie irgendwo zu Hauſe gehoͤrt, oder nur zum Beſuche iſt! Und, o Bruder, mit was fuͤr Freude, mit was fuͤr entzuͤckender Luſt wuͤrden die Freunde der Ab- wechſelung, oder die Veraͤnderlichen, wenn dir das Wort beſſer gefaͤllt, die Wochen, die Tage, die Stun- den zaͤhlen, nachdem die jaͤhrige Verbindlichkeit zu ihrem erwuͤnſchten Wechſel nahete! Was die Milzſucht oder melancholiſche Be- ſchwerden betrifft: ſo wuͤrde man von keiner ſolchen Krankheit wiſſen oder hoͤren. Die Zunft der Aerzte wuͤrde in der That dabey leiden, und zwar ganz al- lein. Denn es wuͤrden zu neuer Geſundheit beſtaͤn- dig friſche Lebensgeiſter, als die Folgen von ſuͤſſem Blute und ſuͤſſen Saͤften, einfließen: da Seel und Leib immer mit einander zufrieden ſeyn wuͤrden. Die Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent- ſpringet, unſere hoͤchſte Freude unter allen, wuͤrde alles geſund und lebendig erhalten. Allein, damit niemand leiden moͤchte, koͤnnten nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden: weil nach den Pfarrern viel Nachfragens ſeyn wuͤr- de. Außer dem, da ſie an dem gemeinen Wohl Theil haben wuͤrden, muͤßten ſie in der That verdrießliche Leute ſeyn: wenn ſie ſich ſelbſt dem gemeinen Beſten vorziehen wollten. Ein jeder wuͤrde wenigſtens ein Dutzentmal verheyrathet werden. So wohl Maͤnner als Wei- ber

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/568>, abgerufen am 27.07.2024.