Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



bin, daß es ihre eigne Schuld seyn wird, wo sie
unglücklich ist: so habe ich gar nicht überlegt, was
vermuthlich mein eignes Verhängniß seyn
könne.

Fräulein Howe misgönnet uns zwar das
beste von dem schönen Geschlechte, und sagt, das
schlechteste sey noch zu gut für uns (*): allein ich
habe allezeit in den Gedanken gestanden, daß die
Frau eines Freygeistes in der Lebensart rein,
ohne Tadel und unbefleckt seyn müsse. Zu wel-
chem Ende hat ein solcher Mann ein freyes Le-
ben geführet, anders als die Welt kennen zu ler-
nen und sich das zu Nutze zu machen? - - Und
recht ernsthaft zu seyn, es würde zum Unglück
für das gemeine Wesen gereichen: wenn beyde
Häupter einer Familie böse seyn sollten. Von
solchen zwo Personen könnte ja ein ganzes Ge-
schlecht von Buben, von Lovelacen und Belfor-
den, wenn du es so haben willst, erzeuget wer-
den, die großes Unheil in der Welt anrichten
möchten.

Du siehst im Grunde, daß ich kein ganz
verruchter Kerl bin, und daß ich noch
etwas anständiges und ernsthaftes an mir habe.
Dieß kann vielleicht mit dem Alter bey mir zu-
nehmen; und wenn meine Fähigkeit, geschäfftig
und wirkfam zu seyn, schwächer zu werden an-
fängt: so mag ich mich wohl noch einmal mit dem
Prediger niedersetzen und mein ganzes vorgegan-

genes
(*) Siehe in dem XI. Briefe dieses Theils den Brief
der Fräulein Howe nicht weit vom Ende.



bin, daß es ihre eigne Schuld ſeyn wird, wo ſie
ungluͤcklich iſt: ſo habe ich gar nicht uͤberlegt, was
vermuthlich mein eignes Verhaͤngniß ſeyn
koͤnne.

Fraͤulein Howe misgoͤnnet uns zwar das
beſte von dem ſchoͤnen Geſchlechte, und ſagt, das
ſchlechteſte ſey noch zu gut fuͤr uns (*): allein ich
habe allezeit in den Gedanken geſtanden, daß die
Frau eines Freygeiſtes in der Lebensart rein,
ohne Tadel und unbefleckt ſeyn muͤſſe. Zu wel-
chem Ende hat ein ſolcher Mann ein freyes Le-
ben gefuͤhret, anders als die Welt kennen zu ler-
nen und ſich das zu Nutze zu machen? ‒ ‒ Und
recht ernſthaft zu ſeyn, es wuͤrde zum Ungluͤck
fuͤr das gemeine Weſen gereichen: wenn beyde
Haͤupter einer Familie boͤſe ſeyn ſollten. Von
ſolchen zwo Perſonen koͤnnte ja ein ganzes Ge-
ſchlecht von Buben, von Lovelacen und Belfor-
den, wenn du es ſo haben willſt, erzeuget wer-
den, die großes Unheil in der Welt anrichten
moͤchten.

Du ſiehſt im Grunde, daß ich kein ganz
verruchter Kerl bin, und daß ich noch
etwas anſtaͤndiges und ernſthaftes an mir habe.
Dieß kann vielleicht mit dem Alter bey mir zu-
nehmen; und wenn meine Faͤhigkeit, geſchaͤfftig
und wirkfam zu ſeyn, ſchwaͤcher zu werden an-
faͤngt: ſo mag ich mich wohl noch einmal mit dem
Prediger niederſetzen und mein ganzes vorgegan-

genes
(*) Siehe in dem XI. Briefe dieſes Theils den Brief
der Fraͤulein Howe nicht weit vom Ende.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0558" n="552"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bin, daß es ihre eigne Schuld &#x017F;eyn wird, wo &#x017F;ie<lb/>
unglu&#x0364;cklich i&#x017F;t: &#x017F;o habe ich gar nicht u&#x0364;berlegt, was<lb/>
vermuthlich <hi rendition="#fr">mein eignes Verha&#x0364;ngniß</hi> &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nne.</p><lb/>
          <p>Fra&#x0364;ulein Howe misgo&#x0364;nnet uns zwar das<lb/>
be&#x017F;te von dem &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;chlechte, und &#x017F;agt, das<lb/>
&#x017F;chlechte&#x017F;te &#x017F;ey noch zu gut fu&#x0364;r uns <note place="foot" n="(*)">Siehe in dem <hi rendition="#aq">XI.</hi> Briefe die&#x017F;es Theils den Brief<lb/>
der Fra&#x0364;ulein Howe nicht weit vom Ende.</note>: allein ich<lb/>
habe allezeit in den Gedanken ge&#x017F;tanden, daß die<lb/>
Frau eines <hi rendition="#fr">Freygei&#x017F;tes in der Lebensart</hi> rein,<lb/>
ohne Tadel und unbefleckt &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Zu wel-<lb/>
chem Ende hat ein &#x017F;olcher Mann ein freyes Le-<lb/>
ben gefu&#x0364;hret, anders als die Welt kennen zu ler-<lb/>
nen und &#x017F;ich das zu Nutze zu machen? &#x2012; &#x2012; Und<lb/><hi rendition="#fr">recht</hi> ern&#x017F;thaft zu &#x017F;eyn, es wu&#x0364;rde zum Unglu&#x0364;ck<lb/>
fu&#x0364;r das gemeine We&#x017F;en gereichen: wenn beyde<lb/>
Ha&#x0364;upter einer Familie bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;eyn &#x017F;ollten. Von<lb/>
&#x017F;olchen zwo Per&#x017F;onen ko&#x0364;nnte ja ein ganzes Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht von Buben, von Lovelacen und Belfor-<lb/>
den, wenn du es &#x017F;o haben will&#x017F;t, erzeuget wer-<lb/>
den, die großes Unheil in der Welt anrichten<lb/>
mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Du &#x017F;ieh&#x017F;t im Grunde, daß ich kein ganz<lb/>
verruchter Kerl bin, und daß ich noch<lb/>
etwas an&#x017F;ta&#x0364;ndiges und ern&#x017F;thaftes an mir habe.<lb/>
Dieß kann vielleicht mit dem Alter bey mir zu-<lb/>
nehmen; und wenn meine Fa&#x0364;higkeit, ge&#x017F;cha&#x0364;fftig<lb/>
und wirkfam zu &#x017F;eyn, &#x017F;chwa&#x0364;cher zu werden an-<lb/>
fa&#x0364;ngt: &#x017F;o mag ich mich wohl noch einmal mit dem<lb/>
Prediger nieder&#x017F;etzen und mein ganzes vorgegan-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">genes</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[552/0558] bin, daß es ihre eigne Schuld ſeyn wird, wo ſie ungluͤcklich iſt: ſo habe ich gar nicht uͤberlegt, was vermuthlich mein eignes Verhaͤngniß ſeyn koͤnne. Fraͤulein Howe misgoͤnnet uns zwar das beſte von dem ſchoͤnen Geſchlechte, und ſagt, das ſchlechteſte ſey noch zu gut fuͤr uns (*): allein ich habe allezeit in den Gedanken geſtanden, daß die Frau eines Freygeiſtes in der Lebensart rein, ohne Tadel und unbefleckt ſeyn muͤſſe. Zu wel- chem Ende hat ein ſolcher Mann ein freyes Le- ben gefuͤhret, anders als die Welt kennen zu ler- nen und ſich das zu Nutze zu machen? ‒ ‒ Und recht ernſthaft zu ſeyn, es wuͤrde zum Ungluͤck fuͤr das gemeine Weſen gereichen: wenn beyde Haͤupter einer Familie boͤſe ſeyn ſollten. Von ſolchen zwo Perſonen koͤnnte ja ein ganzes Ge- ſchlecht von Buben, von Lovelacen und Belfor- den, wenn du es ſo haben willſt, erzeuget wer- den, die großes Unheil in der Welt anrichten moͤchten. Du ſiehſt im Grunde, daß ich kein ganz verruchter Kerl bin, und daß ich noch etwas anſtaͤndiges und ernſthaftes an mir habe. Dieß kann vielleicht mit dem Alter bey mir zu- nehmen; und wenn meine Faͤhigkeit, geſchaͤfftig und wirkfam zu ſeyn, ſchwaͤcher zu werden an- faͤngt: ſo mag ich mich wohl noch einmal mit dem Prediger niederſetzen und mein ganzes vorgegan- genes (*) Siehe in dem XI. Briefe dieſes Theils den Brief der Fraͤulein Howe nicht weit vom Ende.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/558
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/558>, abgerufen am 23.11.2024.