Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



deine Betrachtungen anzustellen, wie sie mich zu
ihrem Unglücke liebe
und wider alle Wahr-
scheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte,

weit geneigter gewesen seyn würdest, eine zu stren-
ge Tugend und übertriebene Bedenklichkeit an
ihr zu tadeln. Und ich muß es dir sagen, hätte
sie mich so geliebt, wie ich es wünschte: so hätte
sie sich unmöglich so sehr vor meinen Absichten
fürchten können; so hätte sie nicht so bereit seyn
können, als sie allemal gewesen ist, die Vorschlä-
ge der Fräulein Howe zu einer sorgfältigen Be-
hutsamkeit bey sich gelten zu lassen. Das ist
nicht möglich: ob auch gleich der gemeine Ruf
von mir nicht für mich bey ihr gewesen.

Aber in deinen Gedanken macht das Leichte
und Ungezwungene, in meinen Anschlägen mich
tadelnswürdig. Und das ist doch eben ihr Haupt-
vorzug. Jch brauche keine Maschinen zu be-
wegen. Jch suche keinen unnatürlichen Schwung.
Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma-
che mir die Natur, wohin sie sich lenket, zu Nu-
tze. Meine Erfindungen sind so leicht und un-
gekünstelt, daß, wenn sie bekannt werden; du,
so gar du, dir einbildest, du hättest auf eben die
Gedanken kommen können. Ja in der That
scheinest du zu gestehen, daß die Geringschätzung,
womit du sie ansiehest, bloß der frühzeitigen Er-
öffnung, die ich dir von denselben und von mei-
nen Absichten dabey gemacht habe, zuzuschreiben
sey, so kurzsichtig und undankbar als du bist.

Jedoch



deine Betrachtungen anzuſtellen, wie ſie mich zu
ihrem Ungluͤcke liebe
und wider alle Wahr-
ſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte,

weit geneigter geweſen ſeyn wuͤrdeſt, eine zu ſtren-
ge Tugend und uͤbertriebene Bedenklichkeit an
ihr zu tadeln. Und ich muß es dir ſagen, haͤtte
ſie mich ſo geliebt, wie ich es wuͤnſchte: ſo haͤtte
ſie ſich unmoͤglich ſo ſehr vor meinen Abſichten
fuͤrchten koͤnnen; ſo haͤtte ſie nicht ſo bereit ſeyn
koͤnnen, als ſie allemal geweſen iſt, die Vorſchlaͤ-
ge der Fraͤulein Howe zu einer ſorgfaͤltigen Be-
hutſamkeit bey ſich gelten zu laſſen. Das iſt
nicht moͤglich: ob auch gleich der gemeine Ruf
von mir nicht fuͤr mich bey ihr geweſen.

Aber in deinen Gedanken macht das Leichte
und Ungezwungene, in meinen Anſchlaͤgen mich
tadelnswuͤrdig. Und das iſt doch eben ihr Haupt-
vorzug. Jch brauche keine Maſchinen zu be-
wegen. Jch ſuche keinen unnatuͤrlichen Schwung.
Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma-
che mir die Natur, wohin ſie ſich lenket, zu Nu-
tze. Meine Erfindungen ſind ſo leicht und un-
gekuͤnſtelt, daß, wenn ſie bekannt werden; du,
ſo gar du, dir einbildeſt, du haͤtteſt auf eben die
Gedanken kommen koͤnnen. Ja in der That
ſcheineſt du zu geſtehen, daß die Geringſchaͤtzung,
womit du ſie anſieheſt, bloß der fruͤhzeitigen Er-
oͤffnung, die ich dir von denſelben und von mei-
nen Abſichten dabey gemacht habe, zuzuſchreiben
ſey, ſo kurzſichtig und undankbar als du biſt.

Jedoch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="48"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
deine Betrachtungen anzu&#x017F;tellen, wie <hi rendition="#fr">&#x017F;ie mich zu<lb/>
ihrem Unglu&#x0364;cke liebe</hi> und <hi rendition="#fr">wider alle Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte,</hi><lb/>
weit geneigter gewe&#x017F;en &#x017F;eyn wu&#x0364;rde&#x017F;t, eine zu &#x017F;tren-<lb/>
ge Tugend und u&#x0364;bertriebene Bedenklichkeit an<lb/>
ihr zu tadeln. Und ich muß es dir &#x017F;agen, ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ie mich &#x017F;o geliebt, wie ich es wu&#x0364;n&#x017F;chte: &#x017F;o ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich unmo&#x0364;glich &#x017F;o &#x017F;ehr vor meinen Ab&#x017F;ichten<lb/>
fu&#x0364;rchten ko&#x0364;nnen; &#x017F;o ha&#x0364;tte &#x017F;ie nicht &#x017F;o bereit &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnen, als &#x017F;ie allemal gewe&#x017F;en i&#x017F;t, die Vor&#x017F;chla&#x0364;-<lb/>
ge der Fra&#x0364;ulein Howe zu einer &#x017F;orgfa&#x0364;ltigen Be-<lb/>
hut&#x017F;amkeit bey &#x017F;ich gelten zu la&#x017F;&#x017F;en. Das i&#x017F;t<lb/>
nicht mo&#x0364;glich: ob auch gleich der gemeine Ruf<lb/>
von mir nicht fu&#x0364;r mich bey ihr gewe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Aber in deinen Gedanken macht das Leichte<lb/>
und Ungezwungene, in meinen An&#x017F;chla&#x0364;gen mich<lb/>
tadelnswu&#x0364;rdig. Und das i&#x017F;t doch eben ihr Haupt-<lb/>
vorzug. Jch brauche keine Ma&#x017F;chinen zu be-<lb/>
wegen. Jch &#x017F;uche keinen unnatu&#x0364;rlichen Schwung.<lb/>
Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma-<lb/>
che mir die Natur, wohin &#x017F;ie &#x017F;ich lenket, zu Nu-<lb/>
tze. Meine Erfindungen &#x017F;ind &#x017F;o leicht und un-<lb/>
geku&#x0364;n&#x017F;telt, daß, wenn &#x017F;ie bekannt werden; du,<lb/>
&#x017F;o gar du, dir einbilde&#x017F;t, du ha&#x0364;tte&#x017F;t auf eben die<lb/>
Gedanken kommen ko&#x0364;nnen. Ja in der That<lb/>
&#x017F;cheine&#x017F;t du zu ge&#x017F;tehen, daß die Gering&#x017F;cha&#x0364;tzung,<lb/>
womit du &#x017F;ie an&#x017F;iehe&#x017F;t, bloß der fru&#x0364;hzeitigen Er-<lb/>
o&#x0364;ffnung, die ich dir von den&#x017F;elben und von mei-<lb/>
nen Ab&#x017F;ichten dabey gemacht habe, zuzu&#x017F;chreiben<lb/>
&#x017F;ey, &#x017F;o kurz&#x017F;ichtig und undankbar als du bi&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jedoch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0054] deine Betrachtungen anzuſtellen, wie ſie mich zu ihrem Ungluͤcke liebe und wider alle Wahr- ſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte, weit geneigter geweſen ſeyn wuͤrdeſt, eine zu ſtren- ge Tugend und uͤbertriebene Bedenklichkeit an ihr zu tadeln. Und ich muß es dir ſagen, haͤtte ſie mich ſo geliebt, wie ich es wuͤnſchte: ſo haͤtte ſie ſich unmoͤglich ſo ſehr vor meinen Abſichten fuͤrchten koͤnnen; ſo haͤtte ſie nicht ſo bereit ſeyn koͤnnen, als ſie allemal geweſen iſt, die Vorſchlaͤ- ge der Fraͤulein Howe zu einer ſorgfaͤltigen Be- hutſamkeit bey ſich gelten zu laſſen. Das iſt nicht moͤglich: ob auch gleich der gemeine Ruf von mir nicht fuͤr mich bey ihr geweſen. Aber in deinen Gedanken macht das Leichte und Ungezwungene, in meinen Anſchlaͤgen mich tadelnswuͤrdig. Und das iſt doch eben ihr Haupt- vorzug. Jch brauche keine Maſchinen zu be- wegen. Jch ſuche keinen unnatuͤrlichen Schwung. Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma- che mir die Natur, wohin ſie ſich lenket, zu Nu- tze. Meine Erfindungen ſind ſo leicht und un- gekuͤnſtelt, daß, wenn ſie bekannt werden; du, ſo gar du, dir einbildeſt, du haͤtteſt auf eben die Gedanken kommen koͤnnen. Ja in der That ſcheineſt du zu geſtehen, daß die Geringſchaͤtzung, womit du ſie anſieheſt, bloß der fruͤhzeitigen Er- oͤffnung, die ich dir von denſelben und von mei- nen Abſichten dabey gemacht habe, zuzuſchreiben ſey, ſo kurzſichtig und undankbar als du biſt. Jedoch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/54
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/54>, abgerufen am 22.11.2024.