zeugung gefehlet habe, zurücksehen: so werde ich weit glücklicher seyn, als wenn ich alles hätte, was die Welt für schätzbar hält.
Das edelgesinnte Kind setzte die Unterredung fort: denn ich konnte nicht sprechen.
Wenn mir Kraft verliehen wird, die Finster- niß, welche itzt nur allzu oft mein Gemüth bene- belt, zu vertreiben: so hoffe ich wird diese inner- liche Rechtfertigung meiner selbst mich über alles Unglück, daß mich überfallen kann, erheben.
Jhre ganze Person ward nach ihrer Gesin- nung gebildet. Sie kam mir größer vor, als vorher. O wie erhöhete die Gottheit, welche in ihr wohnet, sie nicht allein über mich, sondern über sie selbst.
Göttliche Fräulein! So nannte ich sie und so dachte ich auch. Jch erkannte, daß ihr Ge- müth weit über mich erhaben wäre, und wollte weiter reden - - Aber sie fiel mir ins Wort. - - Alle menschliche Hoheit, sprach sie, ist nur ver- gleichungsweise anzunehmen. Mein Gemüth, glaube ich, ist in der That über das ihrige erha- ben: da das ihrige durch böse Uebungen und Ge- wohnheiten erniedriget ist. Allein ich hätte nicht gewußt, daß es so wäre: wenn sie sich nicht Mühe gegeben hätten, mich von der niedrigern Beschaffenheit des ihrigen zu überführen.
Wie groß, wie erhaben und groß ist dieses Frauenzimmer! - - Bey meiner Seele, ich kann, um ihrer Tugenden willen, ihr nicht ver- geben - - Es läßt sich das Bewußtseyn der un-
endlich
zeugung gefehlet habe, zuruͤckſehen: ſo werde ich weit gluͤcklicher ſeyn, als wenn ich alles haͤtte, was die Welt fuͤr ſchaͤtzbar haͤlt.
Das edelgeſinnte Kind ſetzte die Unterredung fort: denn ich konnte nicht ſprechen.
Wenn mir Kraft verliehen wird, die Finſter- niß, welche itzt nur allzu oft mein Gemuͤth bene- belt, zu vertreiben: ſo hoffe ich wird dieſe inner- liche Rechtfertigung meiner ſelbſt mich uͤber alles Ungluͤck, daß mich uͤberfallen kann, erheben.
Jhre ganze Perſon ward nach ihrer Geſin- nung gebildet. Sie kam mir groͤßer vor, als vorher. O wie erhoͤhete die Gottheit, welche in ihr wohnet, ſie nicht allein uͤber mich, ſondern uͤber ſie ſelbſt.
Goͤttliche Fraͤulein! So nannte ich ſie und ſo dachte ich auch. Jch erkannte, daß ihr Ge- muͤth weit uͤber mich erhaben waͤre, und wollte weiter reden ‒ ‒ Aber ſie fiel mir ins Wort. ‒ ‒ Alle menſchliche Hoheit, ſprach ſie, iſt nur ver- gleichungsweiſe anzunehmen. Mein Gemuͤth, glaube ich, iſt in der That uͤber das ihrige erha- ben: da das ihrige durch boͤſe Uebungen und Ge- wohnheiten erniedriget iſt. Allein ich haͤtte nicht gewußt, daß es ſo waͤre: wenn ſie ſich nicht Muͤhe gegeben haͤtten, mich von der niedrigern Beſchaffenheit des ihrigen zu uͤberfuͤhren.
Wie groß, wie erhaben und groß iſt dieſes Frauenzimmer! ‒ ‒ Bey meiner Seele, ich kann, um ihrer Tugenden willen, ihr nicht ver- geben ‒ ‒ Es laͤßt ſich das Bewußtſeyn der un-
endlich
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zeugung gefehlet habe, zuruͤckſehen: ſo werde ich
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die Welt fuͤr ſchaͤtzbar haͤlt.
Das edelgeſinnte Kind ſetzte die Unterredung
fort: denn ich konnte nicht ſprechen.
Wenn mir Kraft verliehen wird, die Finſter-
niß, welche itzt nur allzu oft mein Gemuͤth bene-
belt, zu vertreiben: ſo hoffe ich wird dieſe inner-
liche Rechtfertigung meiner ſelbſt mich uͤber alles
Ungluͤck, daß mich uͤberfallen kann, erheben.
Jhre ganze Perſon ward nach ihrer Geſin-
nung gebildet. Sie kam mir groͤßer vor, als
vorher. O wie erhoͤhete die Gottheit, welche in
ihr wohnet, ſie nicht allein uͤber mich, ſondern
uͤber ſie ſelbſt.
Goͤttliche Fraͤulein! So nannte ich ſie und
ſo dachte ich auch. Jch erkannte, daß ihr Ge-
muͤth weit uͤber mich erhaben waͤre, und wollte
weiter reden ‒ ‒ Aber ſie fiel mir ins Wort. ‒ ‒
Alle menſchliche Hoheit, ſprach ſie, iſt nur ver-
gleichungsweiſe anzunehmen. Mein Gemuͤth,
glaube ich, iſt in der That uͤber das ihrige erha-
ben: da das ihrige durch boͤſe Uebungen und Ge-
wohnheiten erniedriget iſt. Allein ich haͤtte nicht
gewußt, daß es ſo waͤre: wenn ſie ſich nicht
Muͤhe gegeben haͤtten, mich von der niedrigern
Beſchaffenheit des ihrigen zu uͤberfuͤhren.
Wie groß, wie erhaben und groß iſt dieſes
Frauenzimmer! ‒ ‒ Bey meiner Seele, ich
kann, um ihrer Tugenden willen, ihr nicht ver-
geben ‒ ‒ Es laͤßt ſich das Bewußtſeyn der un-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/506>, abgerufen am 23.11.2024.
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