am meisten gefürchtet hätte, und welches zu ver- meiden sie ihr Leben würde hingegeben haben: so dächte sie bey ihrem vorigen und liebsten An- schlage am glücklichsten zu fahren; wenn die Fräulein Howe einen anständigen und geheimen Ort finden könnte, wohin sie ihre Zuflucht neh- men möchte, bis ihr Vetter Morden ankom- men könnte. Käme er aber nicht bald; und fände sie eine Schwierigkeit, einen sichern Aufenthalt zu erlangen; es möchte nun ihr Bru- der oder sonst jemand hinderlich seyn; vermuth- lich meynte sie mich: so könnte sie doch noch viel- leicht in die weite Welt gehen. Denn die Wahr- heit zu sagen, wäre es ihr unmöglich daran zu gedenken, daß sie wieder zu ihres Vaters Hause zurückkehren sollte. Jhres Bruders Wuth, ih- rer Schwester Vorwürfe, ihres Vaters Zorn, ihrer Mutter Sorgen, die sie noch weit mehr rühreten, und ihr eignes Bewußtseyn bey dem allen, würde ihr unerträglich seyn.
O Bruder, ich bin sterbenskrank, ich verge- he, ich sterbe vor dem ersten Briefe von Fräulein Howe! Jch möchte binden, knebeln, plündern, rauben und alles thun, nur nicht morden, daß ich ihn auffangen könnte.
So fest entschlossen sie inzwischen zu seyn schiene: so merkte ich doch offenbar, daß sie noch einige Zärtlichkeit für mich hatte.
Sie weinte oft bey ihrer Unterredung und seufzete noch öfterer. Sie sahe mich zweymal mit einem Auge an, das unstreitig von Gütig-
keit
am meiſten gefuͤrchtet haͤtte, und welches zu ver- meiden ſie ihr Leben wuͤrde hingegeben haben: ſo daͤchte ſie bey ihrem vorigen und liebſten An- ſchlage am gluͤcklichſten zu fahren; wenn die Fraͤulein Howe einen anſtaͤndigen und geheimen Ort finden koͤnnte, wohin ſie ihre Zuflucht neh- men moͤchte, bis ihr Vetter Morden ankom- men koͤnnte. Kaͤme er aber nicht bald; und faͤnde ſie eine Schwierigkeit, einen ſichern Aufenthalt zu erlangen; es moͤchte nun ihr Bru- der oder ſonſt jemand hinderlich ſeyn; vermuth- lich meynte ſie mich: ſo koͤnnte ſie doch noch viel- leicht in die weite Welt gehen. Denn die Wahr- heit zu ſagen, waͤre es ihr unmoͤglich daran zu gedenken, daß ſie wieder zu ihres Vaters Hauſe zuruͤckkehren ſollte. Jhres Bruders Wuth, ih- rer Schweſter Vorwuͤrfe, ihres Vaters Zorn, ihrer Mutter Sorgen, die ſie noch weit mehr ruͤhreten, und ihr eignes Bewußtſeyn bey dem allen, wuͤrde ihr unertraͤglich ſeyn.
O Bruder, ich bin ſterbenskrank, ich verge- he, ich ſterbe vor dem erſten Briefe von Fraͤulein Howe! Jch moͤchte binden, knebeln, pluͤndern, rauben und alles thun, nur nicht morden, daß ich ihn auffangen koͤnnte.
So feſt entſchloſſen ſie inzwiſchen zu ſeyn ſchiene: ſo merkte ich doch offenbar, daß ſie noch einige Zaͤrtlichkeit fuͤr mich hatte.
Sie weinte oft bey ihrer Unterredung und ſeufzete noch oͤfterer. Sie ſahe mich zweymal mit einem Auge an, das unſtreitig von Guͤtig-
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am meiſten gefuͤrchtet haͤtte, und welches zu ver-
meiden ſie ihr Leben wuͤrde hingegeben haben:
ſo daͤchte ſie bey ihrem vorigen und liebſten An-
ſchlage am gluͤcklichſten zu fahren; wenn die
Fraͤulein Howe einen anſtaͤndigen und geheimen
Ort finden koͤnnte, wohin ſie ihre Zuflucht neh-
men moͤchte, bis ihr Vetter Morden ankom-
men koͤnnte. Kaͤme er aber nicht bald;
und faͤnde ſie eine Schwierigkeit, einen ſichern
Aufenthalt zu erlangen; es moͤchte nun ihr Bru-
der oder ſonſt jemand hinderlich ſeyn; vermuth-
lich meynte ſie mich: ſo koͤnnte ſie doch noch viel-
leicht in die weite Welt gehen. Denn die Wahr-
heit zu ſagen, waͤre es ihr unmoͤglich daran zu
gedenken, daß ſie wieder zu ihres Vaters Hauſe
zuruͤckkehren ſollte. Jhres Bruders Wuth, ih-
rer Schweſter Vorwuͤrfe, ihres Vaters Zorn,
ihrer Mutter Sorgen, die ſie noch weit mehr
ruͤhreten, und ihr eignes Bewußtſeyn bey dem
allen, wuͤrde ihr unertraͤglich ſeyn.
O Bruder, ich bin ſterbenskrank, ich verge-
he, ich ſterbe vor dem erſten Briefe von Fraͤulein
Howe! Jch moͤchte binden, knebeln, pluͤndern,
rauben und alles thun, nur nicht morden, daß ich
ihn auffangen koͤnnte.
So feſt entſchloſſen ſie inzwiſchen zu ſeyn
ſchiene: ſo merkte ich doch offenbar, daß ſie noch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/500>, abgerufen am 23.11.2024.
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