auch unser Schicksal seyn werde. Diese trägt sehr vieles bey, dem Scheine der Traurigkeit ein glaubwürdiges Ansehen zu geben.
Wenn man es ernstlich überleget: so ist dieß dasjenige, was dem Wehklagen munterer Wit- wen, im Herzen frohlockender Erben, und der übrigen Leute, denen etwas vermacht ist, sie mö- gen Namen haben, wie sie wollen, auf eine Zeit- lang einen feinen Schein der Aufrichtigkeit gie- bet. Denn da diese Vorstellungen, welche je- den Menschen so nahe angehen, die innerliche Freude nieder halten: so müssen sie das Gesicht nothwendig traurig machen, und den angenom- menen trüben Geberden das Ansehn einer wirk- lichen Traurigkeit verschaffen.
Das mag seyn. Da du nun aber die Be- lohnung deines Wachens, deiner Angst und dei- ner beständig nahen Gegenwart bey ihm bekom- men hast: so schreibe mir, wie es damit beschaf- fen ist; schreibe mir, ob sie deine Unruhe ersetzet und deine Hoffnung erfüllet.
Was mich selbst anlanget: so siehst du wohl aus der Ernsthaftigkeit meiner Schreibart, wie diese Sache mich niederzuschlagen geholfen habe. Jedoch mein Zustand, der mich nöthigt, entwe- der geschwinde zu heyrathen oder eine gewaltsame Schwächung zu verüben, hat über den frohern Anschein für mich eine traurige Decke gezogen, und mehr, als die Begebenheit selbst dazu beyge- tragen, daß ich bey deinem gegenwärtigen freudi- gen Kummer einerley Gesinnung mit dir hege.
Lebe
auch unſer Schickſal ſeyn werde. Dieſe traͤgt ſehr vieles bey, dem Scheine der Traurigkeit ein glaubwuͤrdiges Anſehen zu geben.
Wenn man es ernſtlich uͤberleget: ſo iſt dieß dasjenige, was dem Wehklagen munterer Wit- wen, im Herzen frohlockender Erben, und der uͤbrigen Leute, denen etwas vermacht iſt, ſie moͤ- gen Namen haben, wie ſie wollen, auf eine Zeit- lang einen feinen Schein der Aufrichtigkeit gie- bet. Denn da dieſe Vorſtellungen, welche je- den Menſchen ſo nahe angehen, die innerliche Freude nieder halten: ſo muͤſſen ſie das Geſicht nothwendig traurig machen, und den angenom- menen truͤben Geberden das Anſehn einer wirk- lichen Traurigkeit verſchaffen.
Das mag ſeyn. Da du nun aber die Be- lohnung deines Wachens, deiner Angſt und dei- ner beſtaͤndig nahen Gegenwart bey ihm bekom- men haſt: ſo ſchreibe mir, wie es damit beſchaf- fen iſt; ſchreibe mir, ob ſie deine Unruhe erſetzet und deine Hoffnung erfuͤllet.
Was mich ſelbſt anlanget: ſo ſiehſt du wohl aus der Ernſthaftigkeit meiner Schreibart, wie dieſe Sache mich niederzuſchlagen geholfen habe. Jedoch mein Zuſtand, der mich noͤthigt, entwe- der geſchwinde zu heyrathen oder eine gewaltſame Schwaͤchung zu veruͤben, hat uͤber den frohern Anſchein fuͤr mich eine traurige Decke gezogen, und mehr, als die Begebenheit ſelbſt dazu beyge- tragen, daß ich bey deinem gegenwaͤrtigen freudi- gen Kummer einerley Geſinnung mit dir hege.
Lebe
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auch unſer Schickſal ſeyn werde. Dieſe traͤgt
ſehr vieles bey, dem Scheine der Traurigkeit ein
glaubwuͤrdiges Anſehen zu geben.
Wenn man es ernſtlich uͤberleget: ſo iſt dieß
dasjenige, was dem Wehklagen munterer Wit-
wen, im Herzen frohlockender Erben, und der
uͤbrigen Leute, denen etwas vermacht iſt, ſie moͤ-
gen Namen haben, wie ſie wollen, auf eine Zeit-
lang einen feinen Schein der Aufrichtigkeit gie-
bet. Denn da dieſe Vorſtellungen, welche je-
den Menſchen ſo nahe angehen, die innerliche
Freude nieder halten: ſo muͤſſen ſie das Geſicht
nothwendig traurig machen, und den angenom-
menen truͤben Geberden das Anſehn einer wirk-
lichen Traurigkeit verſchaffen.
Das mag ſeyn. Da du nun aber die Be-
lohnung deines Wachens, deiner Angſt und dei-
ner beſtaͤndig nahen Gegenwart bey ihm bekom-
men haſt: ſo ſchreibe mir, wie es damit beſchaf-
fen iſt; ſchreibe mir, ob ſie deine Unruhe erſetzet
und deine Hoffnung erfuͤllet.
Was mich ſelbſt anlanget: ſo ſiehſt du wohl
aus der Ernſthaftigkeit meiner Schreibart, wie
dieſe Sache mich niederzuſchlagen geholfen habe.
Jedoch mein Zuſtand, der mich noͤthigt, entwe-
der geſchwinde zu heyrathen oder eine gewaltſame
Schwaͤchung zu veruͤben, hat uͤber den frohern
Anſchein fuͤr mich eine traurige Decke gezogen,
und mehr, als die Begebenheit ſelbſt dazu beyge-
tragen, daß ich bey deinem gegenwaͤrtigen freudi-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/494>, abgerufen am 23.11.2024.
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