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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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"wesen: wenn ich nur das gewesen wäre, oder
"wenn es mir gegeben wäre, nur das zu seyn,
"was ich nach meinem Wunsche scheinen wollte
"zu seyn!"

So weit hatte mein Gewissen mit meiner
Feder geschrieben: und siehe, wie feige mich diese
Feindinn gemacht hatte! - - Jch griff ihr an
die Kehle - - Da! - da, sagte ich, du schändli-
che und unverschämte! - Nimm das und das!
- - Wie oft habe ich dich gewarnet! - Nun hof-
fe ich mit dir fertig zu seyn, Nichtswürdige, die
sich mir immer zu ungelegner Zeit aufdringen
wollte!

Du thust kläglich und hebest mit gebrochner
Stimme dein verfluchtes Haupt in die Höhe.
Vergebens flehest du mich um Barmherzigkeit
an: da du mir in deinem Leben so wenig erzei-
get hast. - - Nimm das, als einen Gnaden-
Stoß! - - Nun wird deine Pein und meine
Pein von dir bald vorüber seyn. - - Da liege!
- - Wälze dich immerfort! - - Hätte ich dir
nicht den Todes - Stoß gegeben: so würdest du
mich aller meiner Freude beraubet haben. Du
hättest mich nicht bessern können: das ist offen-
bar am Tage. Du hättest mich nur in Verzwei-
felung stürzen können. Sahest du nicht, daß ich
zu weit gegangen war, wieder zurückzuziehen? -
Wälze dich immerfort, ich bitte dich noch einmal!
- - Schnappe immerhin nach Othem! - - Nun
schnappest du gewiß zum letztenmal. - - Wie
schwer stirbst du! - - Lebe wohl! - - Es ist

doch



„weſen: wenn ich nur das geweſen waͤre, oder
„wenn es mir gegeben waͤre, nur das zu ſeyn,
„was ich nach meinem Wunſche ſcheinen wollte
„zu ſeyn!“

So weit hatte mein Gewiſſen mit meiner
Feder geſchrieben: und ſiehe, wie feige mich dieſe
Feindinn gemacht hatte! ‒ ‒ Jch griff ihr an
die Kehle ‒ ‒ Da!da, ſagte ich, du ſchaͤndli-
che und unverſchaͤmte! ‒ Nimm das und das!
‒ ‒ Wie oft habe ich dich gewarnet! ‒ Nun hof-
fe ich mit dir fertig zu ſeyn, Nichtswuͤrdige, die
ſich mir immer zu ungelegner Zeit aufdringen
wollte!

Du thuſt klaͤglich und hebeſt mit gebrochner
Stimme dein verfluchtes Haupt in die Hoͤhe.
Vergebens fleheſt du mich um Barmherzigkeit
an: da du mir in deinem Leben ſo wenig erzei-
get haſt. ‒ ‒ Nimm das, als einen Gnaden-
Stoß! ‒ ‒ Nun wird deine Pein und meine
Pein von dir bald voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Da liege!
‒ ‒ Waͤlze dich immerfort! ‒ ‒ Haͤtte ich dir
nicht den Todes ‒ Stoß gegeben: ſo wuͤrdeſt du
mich aller meiner Freude beraubet haben. Du
haͤtteſt mich nicht beſſern koͤnnen: das iſt offen-
bar am Tage. Du haͤtteſt mich nur in Verzwei-
felung ſtuͤrzen koͤnnen. Saheſt du nicht, daß ich
zu weit gegangen war, wieder zuruͤckzuziehen? ‒
Waͤlze dich immerfort, ich bitte dich noch einmal!
‒ ‒ Schnappe immerhin nach Othem! ‒ ‒ Nun
ſchnappeſt du gewiß zum letztenmal. ‒ ‒ Wie
ſchwer ſtirbſt du! ‒ ‒ Lebe wohl! ‒ ‒ Es iſt

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[484/0490] „weſen: wenn ich nur das geweſen waͤre, oder „wenn es mir gegeben waͤre, nur das zu ſeyn, „was ich nach meinem Wunſche ſcheinen wollte „zu ſeyn!“ So weit hatte mein Gewiſſen mit meiner Feder geſchrieben: und ſiehe, wie feige mich dieſe Feindinn gemacht hatte! ‒ ‒ Jch griff ihr an die Kehle ‒ ‒ Da! ‒ da, ſagte ich, du ſchaͤndli- che und unverſchaͤmte! ‒ Nimm das und das! ‒ ‒ Wie oft habe ich dich gewarnet! ‒ Nun hof- fe ich mit dir fertig zu ſeyn, Nichtswuͤrdige, die ſich mir immer zu ungelegner Zeit aufdringen wollte! Du thuſt klaͤglich und hebeſt mit gebrochner Stimme dein verfluchtes Haupt in die Hoͤhe. Vergebens fleheſt du mich um Barmherzigkeit an: da du mir in deinem Leben ſo wenig erzei- get haſt. ‒ ‒ Nimm das, als einen Gnaden- Stoß! ‒ ‒ Nun wird deine Pein und meine Pein von dir bald voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Da liege! ‒ ‒ Waͤlze dich immerfort! ‒ ‒ Haͤtte ich dir nicht den Todes ‒ Stoß gegeben: ſo wuͤrdeſt du mich aller meiner Freude beraubet haben. Du haͤtteſt mich nicht beſſern koͤnnen: das iſt offen- bar am Tage. Du haͤtteſt mich nur in Verzwei- felung ſtuͤrzen koͤnnen. Saheſt du nicht, daß ich zu weit gegangen war, wieder zuruͤckzuziehen? ‒ Waͤlze dich immerfort, ich bitte dich noch einmal! ‒ ‒ Schnappe immerhin nach Othem! ‒ ‒ Nun ſchnappeſt du gewiß zum letztenmal. ‒ ‒ Wie ſchwer ſtirbſt du! ‒ ‒ Lebe wohl! ‒ ‒ Es iſt doch

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/490>, abgerufen am 24.11.2024.