Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



der mit größerer und unwidersprechlicherer Be-
redtsamkeit das Wort für sie führet, als alle
Menschen in der Welt für sie reden können.
Und war sie nicht von mir loßgekommen? - -
Wie habe ich aber meine erste Absicht, sie (*) und
in ihr die Tugend der Allertugendhaftesten unter
dem schönen Geschlechte auf die Probe zu stellen,
ausgeführet? - - Einfältiger Bube, wolltest du
wohl verlangen, daß ich eine Probe, die zur Ehre
eines Geschlechtes gereicht, das wir alle so herz-
lich lieben, aufgeben sollte?

So haben sie denn, mein Herr, keine Gedan-
ken - - keine Gedanken - - er sahe noch im-
mer trauriger aus
- - diese wundernswürdige
Fräulein zu heyrathen?

Ja, einfältiger Knabe, ich habe allerdings
die Gedanken. Aber ich muß erst, meinen
Stolz zu vergnügen, ihren Stolz herunterbrin-
gen. Jch muß sehen, daß sie mich stark genug
liebet, mir um mein selbst willen zu vergeben.
Hat sie sich nicht kurz zuvor beklaget, daß sie nicht
in ihres Vaters Hause geblieben wäre: da doch
dir Folge davon, wenn sie geblieben wäre,
nothwendig diese würde gewesen seyn, daß sie des
verhaßten Solmes Weib geworden wäre? Sie-
hest du denn nicht, daß, wenn sie sich nun, die
Meinige zu werden, bewegen läßt, bloß die Aus-
söhnung
mit ihren verfluchten Anverwand-
ten,
wie es allemal bey ihr gewesen ist, nicht

Liebe
(*) Siehe den III Th. den XVII. Brief S. 177 u. f.



der mit groͤßerer und unwiderſprechlicherer Be-
redtſamkeit das Wort fuͤr ſie fuͤhret, als alle
Menſchen in der Welt fuͤr ſie reden koͤnnen.
Und war ſie nicht von mir loßgekommen? ‒ ‒
Wie habe ich aber meine erſte Abſicht, ſie (*) und
in ihr die Tugend der Allertugendhafteſten unter
dem ſchoͤnen Geſchlechte auf die Probe zu ſtellen,
ausgefuͤhret? ‒ ‒ Einfaͤltiger Bube, wollteſt du
wohl verlangen, daß ich eine Probe, die zur Ehre
eines Geſchlechtes gereicht, das wir alle ſo herz-
lich lieben, aufgeben ſollte?

So haben ſie denn, mein Herr, keine Gedan-
ken ‒ ‒ keine Gedanken ‒ ‒ er ſahe noch im-
mer trauriger aus
‒ ‒ dieſe wundernswuͤrdige
Fraͤulein zu heyrathen?

Ja, einfaͤltiger Knabe, ich habe allerdings
die Gedanken. Aber ich muß erſt, meinen
Stolz zu vergnuͤgen, ihren Stolz herunterbrin-
gen. Jch muß ſehen, daß ſie mich ſtark genug
liebet, mir um mein ſelbſt willen zu vergeben.
Hat ſie ſich nicht kurz zuvor beklaget, daß ſie nicht
in ihres Vaters Hauſe geblieben waͤre: da doch
dir Folge davon, wenn ſie geblieben waͤre,
nothwendig dieſe wuͤrde geweſen ſeyn, daß ſie des
verhaßten Solmes Weib geworden waͤre? Sie-
heſt du denn nicht, daß, wenn ſie ſich nun, die
Meinige zu werden, bewegen laͤßt, bloß die Aus-
ſoͤhnung
mit ihren verfluchten Anverwand-
ten,
wie es allemal bey ihr geweſen iſt, nicht

Liebe
(*) Siehe den III Th. den XVII. Brief S. 177 u. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0454" n="448"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der mit gro&#x0364;ßerer und unwider&#x017F;prechlicherer Be-<lb/>
redt&#x017F;amkeit das Wort fu&#x0364;r &#x017F;ie fu&#x0364;hret, als alle<lb/>
Men&#x017F;chen in der Welt fu&#x0364;r &#x017F;ie reden ko&#x0364;nnen.<lb/>
Und war &#x017F;ie nicht von mir loßgekommen? &#x2012; &#x2012;<lb/>
Wie habe ich aber meine er&#x017F;te Ab&#x017F;icht, &#x017F;ie <note place="foot" n="(*)">Siehe den <hi rendition="#aq">III</hi> Th. den <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Brief S. 177 u. f.</note> und<lb/>
in <hi rendition="#fr">ihr</hi> die Tugend der Allertugendhafte&#x017F;ten unter<lb/>
dem &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;chlechte auf die Probe zu &#x017F;tellen,<lb/>
ausgefu&#x0364;hret? &#x2012; &#x2012; Einfa&#x0364;ltiger Bube, wollte&#x017F;t du<lb/>
wohl verlangen, daß ich eine Probe, die zur Ehre<lb/>
eines Ge&#x017F;chlechtes gereicht, das wir alle &#x017F;o herz-<lb/>
lich lieben, aufgeben &#x017F;ollte?</p><lb/>
          <p>So haben &#x017F;ie denn, mein Herr, keine Gedan-<lb/>
ken &#x2012; &#x2012; keine Gedanken &#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">er &#x017F;ahe noch im-<lb/>
mer trauriger aus</hi> &#x2012; &#x2012; die&#x017F;e wundernswu&#x0364;rdige<lb/>
Fra&#x0364;ulein zu heyrathen?</p><lb/>
          <p>Ja, einfa&#x0364;ltiger Knabe, ich habe allerdings<lb/>
die Gedanken. Aber ich muß er&#x017F;t, <hi rendition="#fr">meinen</hi><lb/>
Stolz zu vergnu&#x0364;gen, <hi rendition="#fr">ihren</hi> Stolz herunterbrin-<lb/>
gen. Jch muß &#x017F;ehen, daß &#x017F;ie mich &#x017F;tark genug<lb/>
liebet, mir um <hi rendition="#fr">mein &#x017F;elb&#x017F;t</hi> willen zu vergeben.<lb/>
Hat &#x017F;ie &#x017F;ich nicht kurz zuvor beklaget, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
in ihres Vaters Hau&#x017F;e geblieben wa&#x0364;re: da doch<lb/>
dir Folge davon, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">geblieben wa&#x0364;re,</hi><lb/>
nothwendig die&#x017F;e wu&#x0364;rde gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, daß &#x017F;ie des<lb/>
verhaßten Solmes Weib geworden wa&#x0364;re? Sie-<lb/>
he&#x017F;t du denn nicht, daß, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nun, die<lb/>
Meinige zu werden, bewegen la&#x0364;ßt, bloß die <hi rendition="#fr">Aus-<lb/>
&#x017F;o&#x0364;hnung</hi> mit ihren <hi rendition="#fr">verfluchten Anverwand-<lb/>
ten,</hi> wie es <hi rendition="#fr">allemal</hi> bey ihr gewe&#x017F;en i&#x017F;t, nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Liebe</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0454] der mit groͤßerer und unwiderſprechlicherer Be- redtſamkeit das Wort fuͤr ſie fuͤhret, als alle Menſchen in der Welt fuͤr ſie reden koͤnnen. Und war ſie nicht von mir loßgekommen? ‒ ‒ Wie habe ich aber meine erſte Abſicht, ſie (*) und in ihr die Tugend der Allertugendhafteſten unter dem ſchoͤnen Geſchlechte auf die Probe zu ſtellen, ausgefuͤhret? ‒ ‒ Einfaͤltiger Bube, wollteſt du wohl verlangen, daß ich eine Probe, die zur Ehre eines Geſchlechtes gereicht, das wir alle ſo herz- lich lieben, aufgeben ſollte? So haben ſie denn, mein Herr, keine Gedan- ken ‒ ‒ keine Gedanken ‒ ‒ er ſahe noch im- mer trauriger aus ‒ ‒ dieſe wundernswuͤrdige Fraͤulein zu heyrathen? Ja, einfaͤltiger Knabe, ich habe allerdings die Gedanken. Aber ich muß erſt, meinen Stolz zu vergnuͤgen, ihren Stolz herunterbrin- gen. Jch muß ſehen, daß ſie mich ſtark genug liebet, mir um mein ſelbſt willen zu vergeben. Hat ſie ſich nicht kurz zuvor beklaget, daß ſie nicht in ihres Vaters Hauſe geblieben waͤre: da doch dir Folge davon, wenn ſie geblieben waͤre, nothwendig dieſe wuͤrde geweſen ſeyn, daß ſie des verhaßten Solmes Weib geworden waͤre? Sie- heſt du denn nicht, daß, wenn ſie ſich nun, die Meinige zu werden, bewegen laͤßt, bloß die Aus- ſoͤhnung mit ihren verfluchten Anverwand- ten, wie es allemal bey ihr geweſen iſt, nicht Liebe (*) Siehe den III Th. den XVII. Brief S. 177 u. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/454
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/454>, abgerufen am 23.11.2024.