vermischet. Und das mußte seyn. Jch freuete mich bey dem allen über dieses elende Zeichen der Liebe - - Niemand fürchtet sich vor einem, den er nicht achtet.
Jch hatte schon im Munde, zu sagen, daß Weiber-Zungen alle Freyheit zu schwatzen hät- ten. Allein mein Gewissen wollte mir nicht zu- lassen, sie ein Weib zu nennen, oder eine so ge- meine Redensart gegen sie zu gebrauchen. Jch konnte nichts mehr thun, als durch meine Be- wegungen toben, meine Augen aufheben, meine Hände ausbreiten, mein Gesicht zerreiben, meine Perucke zerren und wie ein Narr aussehen. Jn Wahrheit hatte ich einen guten Ansatz rasend zu werden. Wäre ich allein gewesen: so würde ich es geworden seyn, und sie sollte die Folgen davon empfunden haben.
Der Capitain schlug sich für mich ins Mit- tel: jedoch sehr gelinde, und so furchtsam als ein Mensch, der nicht vollkommen versichert wäre, ob er selbst frey gesprochen würde. Er drang von neuem auf einige derer Vorstellungen, die wir schon gethan hatten - - und sprach ganz lei- se - - Der arme Cavallier! sagte er. Wer sollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! - - Jn der That, gnädige Fräulein, bey allen seinen Fehlern ist doch leicht zu sehen, was sie für Ge- walt über ihn haben.
Cl. Es ist mir gar kein Vergnügen, mein Herr, jemand unglücklich zu machen - - auch so gar ihn nicht, da er mich doch in das äußerste
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vermiſchet. Und das mußte ſeyn. Jch freuete mich bey dem allen uͤber dieſes elende Zeichen der Liebe ‒ ‒ Niemand fuͤrchtet ſich vor einem, den er nicht achtet.
Jch hatte ſchon im Munde, zu ſagen, daß Weiber-Zungen alle Freyheit zu ſchwatzen haͤt- ten. Allein mein Gewiſſen wollte mir nicht zu- laſſen, ſie ein Weib zu nennen, oder eine ſo ge- meine Redensart gegen ſie zu gebrauchen. Jch konnte nichts mehr thun, als durch meine Be- wegungen toben, meine Augen aufheben, meine Haͤnde ausbreiten, mein Geſicht zerreiben, meine Perucke zerren und wie ein Narr ausſehen. Jn Wahrheit hatte ich einen guten Anſatz raſend zu werden. Waͤre ich allein geweſen: ſo wuͤrde ich es geworden ſeyn, und ſie ſollte die Folgen davon empfunden haben.
Der Capitain ſchlug ſich fuͤr mich ins Mit- tel: jedoch ſehr gelinde, und ſo furchtſam als ein Menſch, der nicht vollkommen verſichert waͤre, ob er ſelbſt frey geſprochen wuͤrde. Er drang von neuem auf einige derer Vorſtellungen, die wir ſchon gethan hatten ‒ ‒ und ſprach ganz lei- ſe ‒ ‒ Der arme Cavallier! ſagte er. Wer ſollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! ‒ ‒ Jn der That, gnaͤdige Fraͤulein, bey allen ſeinen Fehlern iſt doch leicht zu ſehen, was ſie fuͤr Ge- walt uͤber ihn haben.
Cl. Es iſt mir gar kein Vergnuͤgen, mein Herr, jemand ungluͤcklich zu machen ‒ ‒ auch ſo gar ihn nicht, da er mich doch in das aͤußerſte
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vermiſchet. Und das mußte ſeyn. Jch freuete
mich bey dem allen uͤber dieſes elende Zeichen der
Liebe ‒ ‒ Niemand fuͤrchtet ſich vor einem, den
er nicht achtet.
Jch hatte ſchon im Munde, zu ſagen, daß
Weiber-Zungen alle Freyheit zu ſchwatzen haͤt-
ten. Allein mein Gewiſſen wollte mir nicht zu-
laſſen, ſie ein Weib zu nennen, oder eine ſo ge-
meine Redensart gegen ſie zu gebrauchen. Jch
konnte nichts mehr thun, als durch meine Be-
wegungen toben, meine Augen aufheben, meine
Haͤnde ausbreiten, mein Geſicht zerreiben, meine
Perucke zerren und wie ein Narr ausſehen. Jn
Wahrheit hatte ich einen guten Anſatz raſend zu
werden. Waͤre ich allein geweſen: ſo wuͤrde ich
es geworden ſeyn, und ſie ſollte die Folgen davon
empfunden haben.
Der Capitain ſchlug ſich fuͤr mich ins Mit-
tel: jedoch ſehr gelinde, und ſo furchtſam als ein
Menſch, der nicht vollkommen verſichert waͤre,
ob er ſelbſt frey geſprochen wuͤrde. Er drang
von neuem auf einige derer Vorſtellungen, die
wir ſchon gethan hatten ‒ ‒ und ſprach ganz lei-
ſe ‒ ‒ Der arme Cavallier! ſagte er. Wer
ſollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! ‒ ‒
Jn der That, gnaͤdige Fraͤulein, bey allen ſeinen
Fehlern iſt doch leicht zu ſehen, was ſie fuͤr Ge-
walt uͤber ihn haben.
Cl. Es iſt mir gar kein Vergnuͤgen, mein
Herr, jemand ungluͤcklich zu machen ‒ ‒ auch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/443>, abgerufen am 23.11.2024.
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