Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



bewegen; wenn die Weibsleute zugegen gewesen
wären: ich wußte aber nicht anders, als daß sie
gegenwärtig seyn würden, da ich diese Abrede
nahm.

Eine runzlichte Stirn und ein steifer Wink
mit dem Kopfe war ein Befehl, unwillig zu
werden.

Die Fräulein hustete - - Daher wollte ich
anfangen zu reden, um ihr die vermeynte Ver-
wirrung zu ersparen. Allein dieß Frauenzimmer
weiß sich allemal in Geschwindigkeit zu finden,
wenn entweder ihre Ehre oder der ihr selbst be-
wußte Vorzug, der sie von allen mir jemals be-
kannten Weibspersonen unterscheidet, ein gegen-
wärtiges Gemüth erfordert.

Jch habe alles, sagte sie, was vorgefallen ist,
so wohl überleget, als ich im Stande gewesen
bin. Jch habe alles, was gesagt ist, und auch
meine unglücklichen Umstände, überleget. Jch
denke nichts Böses, ich wünsche auch keiner le-
bendigen Seele etwas Böses, Herr Tomlinson.
Jch habe mir allezeit ein Vergnügen daraus ge-
macht, so gar bisweilen von übelgearteten Ge-
müthern, wie der Erfolg gezeiget hat, lieber vor-
theilhafte als nachtheilige Schlüsse zu machen.
Die Tadelsucht ist nicht ein natürlicher Fehler
von mir: was ich auch für Fehler haben mag.
Aber nach den Umständen, worunter ich bin, nach
der Begegnung, die mir widerfahren ist, nach
der schimpflichen Begegnung von einem Meu-

schen,



bewegen; wenn die Weibsleute zugegen geweſen
waͤren: ich wußte aber nicht anders, als daß ſie
gegenwaͤrtig ſeyn wuͤrden, da ich dieſe Abrede
nahm.

Eine runzlichte Stirn und ein ſteifer Wink
mit dem Kopfe war ein Befehl, unwillig zu
werden.

Die Fraͤulein huſtete ‒ ‒ Daher wollte ich
anfangen zu reden, um ihr die vermeynte Ver-
wirrung zu erſparen. Allein dieß Frauenzimmer
weiß ſich allemal in Geſchwindigkeit zu finden,
wenn entweder ihre Ehre oder der ihr ſelbſt be-
wußte Vorzug, der ſie von allen mir jemals be-
kannten Weibsperſonen unterſcheidet, ein gegen-
waͤrtiges Gemuͤth erfordert.

Jch habe alles, ſagte ſie, was vorgefallen iſt,
ſo wohl uͤberleget, als ich im Stande geweſen
bin. Jch habe alles, was geſagt iſt, und auch
meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde, uͤberleget. Jch
denke nichts Boͤſes, ich wuͤnſche auch keiner le-
bendigen Seele etwas Boͤſes, Herr Tomlinſon.
Jch habe mir allezeit ein Vergnuͤgen daraus ge-
macht, ſo gar bisweilen von uͤbelgearteten Ge-
muͤthern, wie der Erfolg gezeiget hat, lieber vor-
theilhafte als nachtheilige Schluͤſſe zu machen.
Die Tadelſucht iſt nicht ein natuͤrlicher Fehler
von mir: was ich auch fuͤr Fehler haben mag.
Aber nach den Umſtaͤnden, worunter ich bin, nach
der Begegnung, die mir widerfahren iſt, nach
der ſchimpflichen Begegnung von einem Meu-

ſchen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="429"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bewegen; wenn die Weibsleute zugegen gewe&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;ren: ich wußte aber nicht anders, als daß &#x017F;ie<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, da ich die&#x017F;e Abrede<lb/>
nahm.</p><lb/>
          <p>Eine runzlichte Stirn und ein &#x017F;teifer Wink<lb/>
mit dem Kopfe war ein Befehl, <hi rendition="#fr">unwillig zu<lb/>
werden.</hi></p><lb/>
          <p>Die Fra&#x0364;ulein hu&#x017F;tete &#x2012; &#x2012; Daher wollte ich<lb/>
anfangen zu reden, um ihr die vermeynte Ver-<lb/>
wirrung zu er&#x017F;paren. Allein dieß Frauenzimmer<lb/>
weiß &#x017F;ich allemal in Ge&#x017F;chwindigkeit zu finden,<lb/>
wenn entweder ihre Ehre oder der ihr &#x017F;elb&#x017F;t be-<lb/>
wußte Vorzug, der &#x017F;ie von allen mir jemals be-<lb/>
kannten Weibsper&#x017F;onen unter&#x017F;cheidet, ein gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtiges Gemu&#x0364;th erfordert.</p><lb/>
          <p>Jch habe alles, &#x017F;agte &#x017F;ie, was vorgefallen i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o wohl u&#x0364;berleget, als ich im Stande gewe&#x017F;en<lb/>
bin. Jch habe alles, was ge&#x017F;agt i&#x017F;t, und auch<lb/>
meine unglu&#x0364;cklichen Um&#x017F;ta&#x0364;nde, u&#x0364;berleget. Jch<lb/>
denke nichts Bo&#x0364;&#x017F;es, ich wu&#x0364;n&#x017F;che auch keiner le-<lb/>
bendigen Seele etwas Bo&#x0364;&#x017F;es, Herr Tomlin&#x017F;on.<lb/>
Jch habe mir allezeit ein Vergnu&#x0364;gen daraus ge-<lb/>
macht, &#x017F;o gar bisweilen von u&#x0364;belgearteten Ge-<lb/>
mu&#x0364;thern, wie der Erfolg gezeiget hat, lieber vor-<lb/>
theilhafte als nachtheilige Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu machen.<lb/>
Die Tadel&#x017F;ucht i&#x017F;t nicht ein <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlicher</hi> Fehler<lb/>
von mir: was ich auch fu&#x0364;r Fehler haben mag.<lb/>
Aber nach den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, worunter ich bin, nach<lb/>
der Begegnung, die mir widerfahren i&#x017F;t, nach<lb/>
der &#x017F;chimpflichen Begegnung von einem Meu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[429/0435] bewegen; wenn die Weibsleute zugegen geweſen waͤren: ich wußte aber nicht anders, als daß ſie gegenwaͤrtig ſeyn wuͤrden, da ich dieſe Abrede nahm. Eine runzlichte Stirn und ein ſteifer Wink mit dem Kopfe war ein Befehl, unwillig zu werden. Die Fraͤulein huſtete ‒ ‒ Daher wollte ich anfangen zu reden, um ihr die vermeynte Ver- wirrung zu erſparen. Allein dieß Frauenzimmer weiß ſich allemal in Geſchwindigkeit zu finden, wenn entweder ihre Ehre oder der ihr ſelbſt be- wußte Vorzug, der ſie von allen mir jemals be- kannten Weibsperſonen unterſcheidet, ein gegen- waͤrtiges Gemuͤth erfordert. Jch habe alles, ſagte ſie, was vorgefallen iſt, ſo wohl uͤberleget, als ich im Stande geweſen bin. Jch habe alles, was geſagt iſt, und auch meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde, uͤberleget. Jch denke nichts Boͤſes, ich wuͤnſche auch keiner le- bendigen Seele etwas Boͤſes, Herr Tomlinſon. Jch habe mir allezeit ein Vergnuͤgen daraus ge- macht, ſo gar bisweilen von uͤbelgearteten Ge- muͤthern, wie der Erfolg gezeiget hat, lieber vor- theilhafte als nachtheilige Schluͤſſe zu machen. Die Tadelſucht iſt nicht ein natuͤrlicher Fehler von mir: was ich auch fuͤr Fehler haben mag. Aber nach den Umſtaͤnden, worunter ich bin, nach der Begegnung, die mir widerfahren iſt, nach der ſchimpflichen Begegnung von einem Meu- ſchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/435
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/435>, abgerufen am 23.11.2024.