etwas unanständiges zu begehen oder mir irgend eine Freyheit heraus zu nehmen, welche nicht selbst Personen von zärtlicher Gemüthsart wür- den vergeben haben, wenn sie unvermuthet in ei- nem so reizenden Stande angetroffen worden. - - Jch stellte vor, daß ihr Schrecken und die Furcht vor dem Feuer ein liebkosendes Bezeigen und ei- ne Zärtlichkeit gegen ihre Person erfordert hätte, da sie beynahe in Ohnmacht gefallen wäre. Jch stellte endlich vor, daß der glückliche Tag, auf welchen ich gehoffet, so nahe gewesen, daß ich hät- te vermuthen dürfen, als ein verlobter Liebhaber angesehen zu werden. Und hiebey erwähnte ich zugleich, daß diese Entschuldigung auch für die Weibsleute in jenem Hause anzuführen wäre: als welche, da sie uns für wirklich vermählet ge- halten, sich desto weniger hätten befugt achten dürfen, bey einer so bedenklichen Gelegenheit sich einzumengen. - - Das war ein kühner Vorwand, Bruder, zur Rechtfertigung der Weibsleute.
Jhr Auge, worinn nichts als Verachtung herrschte, war mit dem heftigsten Unwillen ange- füllet, und ein Augenstrahl über den andern schoß, wie ein Blitz, auf mich zu. Alle Züge in ihrem anmuthreichen Gesichte hatten Seel und Leben in sich. Jedoch sprach sie nicht. Vielleicht moch- te sie denken, Bruder, daß diese Vertheidigung der Weibsleute den Grund zeigte, warum ich die List gebraucht hatte, sie bey denselben für ver- heyrathet auszugeben, als ich sie zuerst dorthin brachte.
Capit.
C c 5
etwas unanſtaͤndiges zu begehen oder mir irgend eine Freyheit heraus zu nehmen, welche nicht ſelbſt Perſonen von zaͤrtlicher Gemuͤthsart wuͤr- den vergeben haben, wenn ſie unvermuthet in ei- nem ſo reizenden Stande angetroffen worden. ‒ ‒ Jch ſtellte vor, daß ihr Schrecken und die Furcht vor dem Feuer ein liebkoſendes Bezeigen und ei- ne Zaͤrtlichkeit gegen ihre Perſon erfordert haͤtte, da ſie beynahe in Ohnmacht gefallen waͤre. Jch ſtellte endlich vor, daß der gluͤckliche Tag, auf welchen ich gehoffet, ſo nahe geweſen, daß ich haͤt- te vermuthen duͤrfen, als ein verlobter Liebhaber angeſehen zu werden. Und hiebey erwaͤhnte ich zugleich, daß dieſe Entſchuldigung auch fuͤr die Weibsleute in jenem Hauſe anzufuͤhren waͤre: als welche, da ſie uns fuͤr wirklich vermaͤhlet ge- halten, ſich deſto weniger haͤtten befugt achten duͤrfen, bey einer ſo bedenklichen Gelegenheit ſich einzumengen. ‒ ‒ Das war ein kuͤhner Vorwand, Bruder, zur Rechtfertigung der Weibsleute.
Jhr Auge, worinn nichts als Verachtung herrſchte, war mit dem heftigſten Unwillen ange- fuͤllet, und ein Augenſtrahl uͤber den andern ſchoß, wie ein Blitz, auf mich zu. Alle Zuͤge in ihrem anmuthreichen Geſichte hatten Seel und Leben in ſich. Jedoch ſprach ſie nicht. Vielleicht moch- te ſie denken, Bruder, daß dieſe Vertheidigung der Weibsleute den Grund zeigte, warum ich die Liſt gebraucht hatte, ſie bey denſelben fuͤr ver- heyrathet auszugeben, als ich ſie zuerſt dorthin brachte.
Capit.
C c 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0415"n="409"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
etwas unanſtaͤndiges zu begehen oder mir irgend<lb/>
eine Freyheit heraus zu nehmen, welche nicht<lb/>ſelbſt Perſonen von zaͤrtlicher Gemuͤthsart wuͤr-<lb/>
den vergeben haben, wenn ſie unvermuthet in ei-<lb/>
nem ſo reizenden Stande angetroffen worden. ‒‒<lb/>
Jch ſtellte vor, daß ihr Schrecken und die Furcht<lb/>
vor dem Feuer ein liebkoſendes Bezeigen und ei-<lb/>
ne Zaͤrtlichkeit gegen ihre Perſon erfordert haͤtte,<lb/>
da ſie beynahe in Ohnmacht gefallen waͤre. Jch<lb/>ſtellte endlich vor, daß der gluͤckliche Tag, auf<lb/>
welchen ich gehoffet, ſo nahe geweſen, daß ich haͤt-<lb/>
te vermuthen duͤrfen, als ein verlobter Liebhaber<lb/>
angeſehen zu werden. Und hiebey erwaͤhnte ich<lb/>
zugleich, daß dieſe Entſchuldigung auch fuͤr die<lb/>
Weibsleute in jenem Hauſe anzufuͤhren waͤre:<lb/>
als welche, da ſie uns fuͤr wirklich vermaͤhlet ge-<lb/>
halten, ſich deſto weniger haͤtten befugt achten<lb/>
duͤrfen, bey einer ſo bedenklichen Gelegenheit ſich<lb/>
einzumengen. ‒‒ Das war ein kuͤhner Vorwand,<lb/>
Bruder, zur Rechtfertigung der Weibsleute.</p><lb/><p>Jhr Auge, worinn nichts als Verachtung<lb/>
herrſchte, war mit dem heftigſten Unwillen ange-<lb/>
fuͤllet, und ein Augenſtrahl uͤber den andern ſchoß,<lb/>
wie ein Blitz, auf mich zu. Alle Zuͤge in ihrem<lb/>
anmuthreichen Geſichte hatten Seel und Leben in<lb/>ſich. Jedoch ſprach ſie nicht. Vielleicht moch-<lb/>
te ſie denken, Bruder, daß dieſe <hirendition="#fr">Vertheidigung<lb/>
der Weibsleute</hi> den Grund zeigte, warum ich<lb/>
die Liſt gebraucht hatte, ſie bey denſelben fuͤr ver-<lb/>
heyrathet auszugeben, als ich ſie <hirendition="#fr">zuerſt dorthin<lb/>
brachte.</hi></p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">C c 5</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Capit.</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[409/0415]
etwas unanſtaͤndiges zu begehen oder mir irgend
eine Freyheit heraus zu nehmen, welche nicht
ſelbſt Perſonen von zaͤrtlicher Gemuͤthsart wuͤr-
den vergeben haben, wenn ſie unvermuthet in ei-
nem ſo reizenden Stande angetroffen worden. ‒ ‒
Jch ſtellte vor, daß ihr Schrecken und die Furcht
vor dem Feuer ein liebkoſendes Bezeigen und ei-
ne Zaͤrtlichkeit gegen ihre Perſon erfordert haͤtte,
da ſie beynahe in Ohnmacht gefallen waͤre. Jch
ſtellte endlich vor, daß der gluͤckliche Tag, auf
welchen ich gehoffet, ſo nahe geweſen, daß ich haͤt-
te vermuthen duͤrfen, als ein verlobter Liebhaber
angeſehen zu werden. Und hiebey erwaͤhnte ich
zugleich, daß dieſe Entſchuldigung auch fuͤr die
Weibsleute in jenem Hauſe anzufuͤhren waͤre:
als welche, da ſie uns fuͤr wirklich vermaͤhlet ge-
halten, ſich deſto weniger haͤtten befugt achten
duͤrfen, bey einer ſo bedenklichen Gelegenheit ſich
einzumengen. ‒ ‒ Das war ein kuͤhner Vorwand,
Bruder, zur Rechtfertigung der Weibsleute.
Jhr Auge, worinn nichts als Verachtung
herrſchte, war mit dem heftigſten Unwillen ange-
fuͤllet, und ein Augenſtrahl uͤber den andern ſchoß,
wie ein Blitz, auf mich zu. Alle Zuͤge in ihrem
anmuthreichen Geſichte hatten Seel und Leben in
ſich. Jedoch ſprach ſie nicht. Vielleicht moch-
te ſie denken, Bruder, daß dieſe Vertheidigung
der Weibsleute den Grund zeigte, warum ich
die Liſt gebraucht hatte, ſie bey denſelben fuͤr ver-
heyrathet auszugeben, als ich ſie zuerſt dorthin
brachte.
Capit.
C c 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/415>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.