Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



einer Tochter: eines Sohnes, der durch seine
eigne Heftigkeit, welcher sie vielleicht vorbeugen
können, auf ewig für sie und für die ganze Fa-
milie verlohren seyn kann.

Sie war stille. Sie weinte. Sie gestand,
daß sie die Stärke dieses Bewegungsgrundes
merkte.

Jch will diesem guten Kerl sein Glück machen,
dachte ich.

Capit. Erlauben sie mir, gnädige Fräu-
lein, ihnen zu sagen, daß es meinen Gedanken
nach nicht schwer seyn würde, ihren Onkel,
wenn sie darauf bestehen, dahin zu vermögen,
daß er in geheim zur Stadt komme, und sie mit
eigner Hand dem Herrn Lovelace gebe. - - Je-
doch ausgenommen, wenn ihr gegenwärtiges
Misverständniß ihm zu Ohren kommen sollte.

Cl. Aber, mein Herr, warum sollte ich mich
so sehr vor meinem Bruder fürchten? Mein
Bruder hat mich beleidiget, nicht ich ihn. Soll
ich vor meinem Bruder Schutz bey Herr Love-
lace suchen? Wer soll mich denn vor Herrn Lo-
velace schützen. - - Wird mir der eine wohl das
bieten, was mir der andere geboten hat? - - -
Der gottlose, undankbare Mensch! daß er einem
verlassenen Frauenzimmer, ohne Freunde, ohne
Schutz, das noch dazu durch ihn ihrer Freunde
beraubet ist, Schimpf anzuthun suchet - - Jch kann
unmöglich, ich kann unmöglich von ihm auf die Art
mehr denken, wie ich ehedem von ihm dachte. Er
hat nichts mit mir zu thun. Er mag mich verlassen.

Mein
C c 3



einer Tochter: eines Sohnes, der durch ſeine
eigne Heftigkeit, welcher ſie vielleicht vorbeugen
koͤnnen, auf ewig fuͤr ſie und fuͤr die ganze Fa-
milie verlohren ſeyn kann.

Sie war ſtille. Sie weinte. Sie geſtand,
daß ſie die Staͤrke dieſes Bewegungsgrundes
merkte.

Jch will dieſem guten Kerl ſein Gluͤck machen,
dachte ich.

Capit. Erlauben ſie mir, gnaͤdige Fraͤu-
lein, ihnen zu ſagen, daß es meinen Gedanken
nach nicht ſchwer ſeyn wuͤrde, ihren Onkel,
wenn ſie darauf beſtehen, dahin zu vermoͤgen,
daß er in geheim zur Stadt komme, und ſie mit
eigner Hand dem Herrn Lovelace gebe. ‒ ‒ Je-
doch ausgenommen, wenn ihr gegenwaͤrtiges
Misverſtaͤndniß ihm zu Ohren kommen ſollte.

Cl. Aber, mein Herr, warum ſollte ich mich
ſo ſehr vor meinem Bruder fuͤrchten? Mein
Bruder hat mich beleidiget, nicht ich ihn. Soll
ich vor meinem Bruder Schutz bey Herr Love-
lace ſuchen? Wer ſoll mich denn vor Herrn Lo-
velace ſchuͤtzen. ‒ ‒ Wird mir der eine wohl das
bieten, was mir der andere geboten hat? ‒ ‒ ‒
Der gottloſe, undankbare Menſch! daß er einem
verlaſſenen Frauenzimmer, ohne Freunde, ohne
Schutz, das noch dazu durch ihn ihrer Freunde
beraubet iſt, Schimpf anzuthun ſuchet ‒ ‒ Jch kann
unmoͤglich, ich kann unmoͤglich von ihm auf die Art
mehr denken, wie ich ehedem von ihm dachte. Er
hat nichts mit mir zu thun. Er mag mich verlaſſen.

Mein
C c 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0411" n="405"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
einer <hi rendition="#fr">Tochter:</hi> eines Sohnes, der durch &#x017F;eine<lb/>
eigne Heftigkeit, welcher &#x017F;ie vielleicht vorbeugen<lb/>
ko&#x0364;nnen, auf ewig fu&#x0364;r &#x017F;ie und fu&#x0364;r die ganze Fa-<lb/>
milie verlohren &#x017F;eyn kann.</p><lb/>
          <p>Sie war &#x017F;tille. Sie weinte. Sie ge&#x017F;tand,<lb/>
daß &#x017F;ie die Sta&#x0364;rke die&#x017F;es Bewegungsgrundes<lb/>
merkte.</p><lb/>
          <p>Jch will die&#x017F;em guten Kerl &#x017F;ein Glu&#x0364;ck machen,<lb/>
dachte ich.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Capit.</hi> Erlauben &#x017F;ie mir, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;u-<lb/>
lein, ihnen zu &#x017F;agen, daß es meinen Gedanken<lb/>
nach nicht &#x017F;chwer &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, ihren Onkel,<lb/>
wenn &#x017F;ie darauf be&#x017F;tehen, dahin zu vermo&#x0364;gen,<lb/>
daß er in geheim zur Stadt komme, und &#x017F;ie mit<lb/>
eigner Hand dem Herrn Lovelace gebe. &#x2012; &#x2012; Je-<lb/>
doch ausgenommen, wenn ihr gegenwa&#x0364;rtiges<lb/>
Misver&#x017F;ta&#x0364;ndniß ihm zu Ohren kommen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Cl.</hi> Aber, mein Herr, warum &#x017F;ollte ich mich<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr vor meinem <hi rendition="#fr">Bruder</hi> fu&#x0364;rchten? Mein<lb/>
Bruder hat <hi rendition="#fr">mich</hi> beleidiget, nicht ich <hi rendition="#fr">ihn.</hi> Soll<lb/>
ich vor meinem Bruder Schutz bey Herr Love-<lb/>
lace &#x017F;uchen? Wer &#x017F;oll mich denn vor Herrn Lo-<lb/>
velace &#x017F;chu&#x0364;tzen. &#x2012; &#x2012; Wird mir der eine wohl das<lb/>
bieten, was mir der andere geboten hat? &#x2012; &#x2012; &#x2012;<lb/>
Der gottlo&#x017F;e, undankbare Men&#x017F;ch! daß er einem<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;enen Frauenzimmer, ohne Freunde, ohne<lb/>
Schutz, das noch dazu durch ihn ihrer Freunde<lb/>
beraubet i&#x017F;t, Schimpf anzuthun &#x017F;uchet &#x2012; &#x2012; Jch kann<lb/>
unmo&#x0364;glich, ich kann unmo&#x0364;glich von ihm auf die Art<lb/>
mehr denken, wie ich ehedem von ihm dachte. Er<lb/>
hat nichts mit mir zu thun. Er mag mich verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Mein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0411] einer Tochter: eines Sohnes, der durch ſeine eigne Heftigkeit, welcher ſie vielleicht vorbeugen koͤnnen, auf ewig fuͤr ſie und fuͤr die ganze Fa- milie verlohren ſeyn kann. Sie war ſtille. Sie weinte. Sie geſtand, daß ſie die Staͤrke dieſes Bewegungsgrundes merkte. Jch will dieſem guten Kerl ſein Gluͤck machen, dachte ich. Capit. Erlauben ſie mir, gnaͤdige Fraͤu- lein, ihnen zu ſagen, daß es meinen Gedanken nach nicht ſchwer ſeyn wuͤrde, ihren Onkel, wenn ſie darauf beſtehen, dahin zu vermoͤgen, daß er in geheim zur Stadt komme, und ſie mit eigner Hand dem Herrn Lovelace gebe. ‒ ‒ Je- doch ausgenommen, wenn ihr gegenwaͤrtiges Misverſtaͤndniß ihm zu Ohren kommen ſollte. Cl. Aber, mein Herr, warum ſollte ich mich ſo ſehr vor meinem Bruder fuͤrchten? Mein Bruder hat mich beleidiget, nicht ich ihn. Soll ich vor meinem Bruder Schutz bey Herr Love- lace ſuchen? Wer ſoll mich denn vor Herrn Lo- velace ſchuͤtzen. ‒ ‒ Wird mir der eine wohl das bieten, was mir der andere geboten hat? ‒ ‒ ‒ Der gottloſe, undankbare Menſch! daß er einem verlaſſenen Frauenzimmer, ohne Freunde, ohne Schutz, das noch dazu durch ihn ihrer Freunde beraubet iſt, Schimpf anzuthun ſuchet ‒ ‒ Jch kann unmoͤglich, ich kann unmoͤglich von ihm auf die Art mehr denken, wie ich ehedem von ihm dachte. Er hat nichts mit mir zu thun. Er mag mich verlaſſen. Mein C c 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/411
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/411>, abgerufen am 23.11.2024.