war, willens gewesen, der Fr. Mooren Haus zu verlassen. Jch wollte nichts mehr wünschen, als daß sie es möchte versucht haben.
Jungfer Rawlins, an die sie sich desfalls ge- wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es scheinet.
Frau Moore stellte ihr ebenfalls die Schwie- rigkeiten vor, die sie nach ihrer Meynung antref- fen würde, ohne mein Wissen ungehindert fortzu- kommen: ob sie ihr gleich nicht bekannte, daß mein Wilhelm in ihrem Hause schliefe, oder viel- mehr aufsäße und Liebeshändel triebe. Die gute Frau versicherte sie, daß sie nirgends sicherer, als bey ihr, seyn könnte, bis sie schlüßig geworden wäre, wohin sie sich begeben wollte. Und die Fräulein selbst besann sich, daß, wenn sie fortgin- ge, der Brief verlohren gehen möchte, den sie von ihrer theuren Freundinn, der Fräulein Howe, er- wartete: Dieser sollte ihr aber, nach ihrem eignen Geständnisse, bey ihren künftigen Unternehmun- gen zu einer Richtschnur dienen.
Sie mußte gewiß auch begierig seyn, zu er- fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem Onkel zu sagen hätte: so verächtlich sie auch ge- stern einem Manne von seinem Ansehen begegnet hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken soll- te, nicht gänzlich beschlossen haben, sich dem Be- suche von zweyen der vornehmsten Frauenzimmer aus meiner Familie selbst zu entziehen, und vor ihrer aller Augen völlig mit mir zu brechen. - - Wohin hätte sie auch, außer dem, gehen kön-
nen?
war, willens geweſen, der Fr. Mooren Haus zu verlaſſen. Jch wollte nichts mehr wuͤnſchen, als daß ſie es moͤchte verſucht haben.
Jungfer Rawlins, an die ſie ſich desfalls ge- wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es ſcheinet.
Frau Moore ſtellte ihr ebenfalls die Schwie- rigkeiten vor, die ſie nach ihrer Meynung antref- fen wuͤrde, ohne mein Wiſſen ungehindert fortzu- kommen: ob ſie ihr gleich nicht bekannte, daß mein Wilhelm in ihrem Hauſe ſchliefe, oder viel- mehr aufſaͤße und Liebeshaͤndel triebe. Die gute Frau verſicherte ſie, daß ſie nirgends ſicherer, als bey ihr, ſeyn koͤnnte, bis ſie ſchluͤßig geworden waͤre, wohin ſie ſich begeben wollte. Und die Fraͤulein ſelbſt beſann ſich, daß, wenn ſie fortgin- ge, der Brief verlohren gehen moͤchte, den ſie von ihrer theuren Freundinn, der Fraͤulein Howe, er- wartete: Dieſer ſollte ihr aber, nach ihrem eignen Geſtaͤndniſſe, bey ihren kuͤnftigen Unternehmun- gen zu einer Richtſchnur dienen.
Sie mußte gewiß auch begierig ſeyn, zu er- fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem Onkel zu ſagen haͤtte: ſo veraͤchtlich ſie auch ge- ſtern einem Manne von ſeinem Anſehen begegnet hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken ſoll- te, nicht gaͤnzlich beſchloſſen haben, ſich dem Be- ſuche von zweyen der vornehmſten Frauenzimmer aus meiner Familie ſelbſt zu entziehen, und vor ihrer aller Augen voͤllig mit mir zu brechen. ‒ ‒ Wohin haͤtte ſie auch, außer dem, gehen koͤn-
nen?
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war, willens geweſen, der Fr. Mooren Haus zu
verlaſſen. Jch wollte nichts mehr wuͤnſchen, als
daß ſie es moͤchte verſucht haben.
Jungfer Rawlins, an die ſie ſich desfalls ge-
wandt hatte, hat es ihr widerrathen, wie es
ſcheinet.
Frau Moore ſtellte ihr ebenfalls die Schwie-
rigkeiten vor, die ſie nach ihrer Meynung antref-
fen wuͤrde, ohne mein Wiſſen ungehindert fortzu-
kommen: ob ſie ihr gleich nicht bekannte, daß
mein Wilhelm in ihrem Hauſe ſchliefe, oder viel-
mehr aufſaͤße und Liebeshaͤndel triebe. Die gute
Frau verſicherte ſie, daß ſie nirgends ſicherer, als
bey ihr, ſeyn koͤnnte, bis ſie ſchluͤßig geworden
waͤre, wohin ſie ſich begeben wollte. Und die
Fraͤulein ſelbſt beſann ſich, daß, wenn ſie fortgin-
ge, der Brief verlohren gehen moͤchte, den ſie von
ihrer theuren Freundinn, der Fraͤulein Howe, er-
wartete: Dieſer ſollte ihr aber, nach ihrem eignen
Geſtaͤndniſſe, bey ihren kuͤnftigen Unternehmun-
gen zu einer Richtſchnur dienen.
Sie mußte gewiß auch begierig ſeyn, zu er-
fahren, was ihres Onkels Freund ihr von ihrem
Onkel zu ſagen haͤtte: ſo veraͤchtlich ſie auch ge-
ſtern einem Manne von ſeinem Anſehen begegnet
hatte. Sie konnte ebenfalls, wie ich denken ſoll-
te, nicht gaͤnzlich beſchloſſen haben, ſich dem Be-
ſuche von zweyen der vornehmſten Frauenzimmer
aus meiner Familie ſelbſt zu entziehen, und vor
ihrer aller Augen voͤllig mit mir zu brechen. ‒ ‒
Wohin haͤtte ſie auch, außer dem, gehen koͤn-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/388>, abgerufen am 24.11.2024.
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