Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



ben würden: wenn sie nicht mit andern unter-
mischt an uns kämen. Jch will noch nachdrück-
licher reden. Jch habe Eltern gesehen; vielleicht
ist meinen eignen eben das begegnet; welche sich
gerade an denen Eigenschaften ihrer Kinder, so
lange sie jung waren, ergetzten, deren natürliche
Folgen, weil man denselben zu viel nachgesehen
und sie selbst befördert hatte, bey zunehmenden
Jahren die Kinder zu einer herznagenden Quaal
der Eltern machten. Wenn ich dieß zu meinem
gegenwärtigen Zwecke anwenden will: so muß ich
dir sagen, daß ich dieß reizende Kind zwar ihrer
wachsamen Klugheit wegen liebe; aber doch, wie
mich deucht, nicht gern wünschen wollte, daß sie
vermöge dieser Klugheit, welche gleichwohl nö-
thig ist, sie über die Anschläge aller Uebrigen in
der Welt hinauszusetzen, auch für meine An-
schläge
zu weise seyn möchte.

Meine Rache, meine geschworne Rache,
behält nichts desto weniger, ich mag sie anbeten,
so sehr ich will, die Oberhand in meinem Herzen.
- - Die Fräulein Howe schreibt, meine Liebe sey
eine Herodesmäßige Liebe. (*) Bey meiner
Seele, das Mägdchen ist eine Wahrsagerinn!
- - Es geht mir fast nahe zu sagen, daß ich an
der Tyranney über das, was ich liebe, ein Ver-
gnügen finde. Du magst es ein unedles Ver-
gnügen nennen; wenn du willst: gleichwohl füh-
len es auch sanftmüthigere Herzen, als meines
ist. Die Frauenzimmer fühlen es gegen ein

Frauen-
(*) Siehe den XI. Brief dieses Theils.



ben wuͤrden: wenn ſie nicht mit andern unter-
miſcht an uns kaͤmen. Jch will noch nachdruͤck-
licher reden. Jch habe Eltern geſehen; vielleicht
iſt meinen eignen eben das begegnet; welche ſich
gerade an denen Eigenſchaften ihrer Kinder, ſo
lange ſie jung waren, ergetzten, deren natuͤrliche
Folgen, weil man denſelben zu viel nachgeſehen
und ſie ſelbſt befoͤrdert hatte, bey zunehmenden
Jahren die Kinder zu einer herznagenden Quaal
der Eltern machten. Wenn ich dieß zu meinem
gegenwaͤrtigen Zwecke anwenden will: ſo muß ich
dir ſagen, daß ich dieß reizende Kind zwar ihrer
wachſamen Klugheit wegen liebe; aber doch, wie
mich deucht, nicht gern wuͤnſchen wollte, daß ſie
vermoͤge dieſer Klugheit, welche gleichwohl noͤ-
thig iſt, ſie uͤber die Anſchlaͤge aller Uebrigen in
der Welt hinauszuſetzen, auch fuͤr meine An-
ſchlaͤge
zu weiſe ſeyn moͤchte.

Meine Rache, meine geſchworne Rache,
behaͤlt nichts deſto weniger, ich mag ſie anbeten,
ſo ſehr ich will, die Oberhand in meinem Herzen.
‒ ‒ Die Fraͤulein Howe ſchreibt, meine Liebe ſey
eine Herodesmaͤßige Liebe. (*) Bey meiner
Seele, das Maͤgdchen iſt eine Wahrſagerinn!
‒ ‒ Es geht mir faſt nahe zu ſagen, daß ich an
der Tyranney uͤber das, was ich liebe, ein Ver-
gnuͤgen finde. Du magſt es ein unedles Ver-
gnuͤgen nennen; wenn du willſt: gleichwohl fuͤh-
len es auch ſanftmuͤthigere Herzen, als meines
iſt. Die Frauenzimmer fuͤhlen es gegen ein

Frauen-
(*) Siehe den XI. Brief dieſes Theils.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0293" n="287"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ben wu&#x0364;rden: wenn &#x017F;ie nicht mit andern unter-<lb/>
mi&#x017F;cht an uns ka&#x0364;men. Jch will noch nachdru&#x0364;ck-<lb/>
licher reden. Jch habe Eltern ge&#x017F;ehen; vielleicht<lb/>
i&#x017F;t meinen eignen eben das begegnet; welche &#x017F;ich<lb/>
gerade an denen Eigen&#x017F;chaften ihrer Kinder, &#x017F;o<lb/>
lange &#x017F;ie jung waren, ergetzten, deren natu&#x0364;rliche<lb/>
Folgen, weil man den&#x017F;elben zu viel nachge&#x017F;ehen<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t befo&#x0364;rdert hatte, bey zunehmenden<lb/>
Jahren die Kinder zu einer herznagenden Quaal<lb/>
der Eltern machten. Wenn ich dieß zu meinem<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen Zwecke anwenden will: &#x017F;o muß ich<lb/>
dir &#x017F;agen, daß ich dieß reizende Kind zwar ihrer<lb/>
wach&#x017F;amen Klugheit wegen liebe; aber doch, wie<lb/>
mich deucht, nicht gern wu&#x0364;n&#x017F;chen wollte, daß &#x017F;ie<lb/>
vermo&#x0364;ge die&#x017F;er Klugheit, welche gleichwohl no&#x0364;-<lb/>
thig i&#x017F;t, &#x017F;ie u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">An&#x017F;chla&#x0364;ge</hi> aller Uebrigen in<lb/>
der Welt hinauszu&#x017F;etzen, auch fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">meine An-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ge</hi> zu wei&#x017F;e &#x017F;eyn mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Meine Rache, meine <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chworne</hi> Rache,<lb/>
beha&#x0364;lt nichts de&#x017F;to weniger, ich mag &#x017F;ie anbeten,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr ich will, die Oberhand in meinem Herzen.<lb/>
&#x2012; &#x2012; Die Fra&#x0364;ulein Howe &#x017F;chreibt, meine Liebe &#x017F;ey<lb/>
eine <hi rendition="#fr">Herodesma&#x0364;ßige</hi> Liebe. <note place="foot" n="(*)">Siehe den <hi rendition="#aq">XI.</hi> Brief die&#x017F;es Theils.</note> Bey meiner<lb/>
Seele, das Ma&#x0364;gdchen i&#x017F;t eine Wahr&#x017F;agerinn!<lb/>
&#x2012; &#x2012; Es geht mir fa&#x017F;t nahe zu &#x017F;agen, daß ich an<lb/>
der Tyranney u&#x0364;ber das, was ich liebe, ein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen finde. Du mag&#x017F;t es ein unedles Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen nennen; wenn du will&#x017F;t: gleichwohl fu&#x0364;h-<lb/>
len es auch &#x017F;anftmu&#x0364;thigere Herzen, als meines<lb/>
i&#x017F;t. Die Frauenzimmer fu&#x0364;hlen es gegen ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Frauen-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0293] ben wuͤrden: wenn ſie nicht mit andern unter- miſcht an uns kaͤmen. Jch will noch nachdruͤck- licher reden. Jch habe Eltern geſehen; vielleicht iſt meinen eignen eben das begegnet; welche ſich gerade an denen Eigenſchaften ihrer Kinder, ſo lange ſie jung waren, ergetzten, deren natuͤrliche Folgen, weil man denſelben zu viel nachgeſehen und ſie ſelbſt befoͤrdert hatte, bey zunehmenden Jahren die Kinder zu einer herznagenden Quaal der Eltern machten. Wenn ich dieß zu meinem gegenwaͤrtigen Zwecke anwenden will: ſo muß ich dir ſagen, daß ich dieß reizende Kind zwar ihrer wachſamen Klugheit wegen liebe; aber doch, wie mich deucht, nicht gern wuͤnſchen wollte, daß ſie vermoͤge dieſer Klugheit, welche gleichwohl noͤ- thig iſt, ſie uͤber die Anſchlaͤge aller Uebrigen in der Welt hinauszuſetzen, auch fuͤr meine An- ſchlaͤge zu weiſe ſeyn moͤchte. Meine Rache, meine geſchworne Rache, behaͤlt nichts deſto weniger, ich mag ſie anbeten, ſo ſehr ich will, die Oberhand in meinem Herzen. ‒ ‒ Die Fraͤulein Howe ſchreibt, meine Liebe ſey eine Herodesmaͤßige Liebe. (*) Bey meiner Seele, das Maͤgdchen iſt eine Wahrſagerinn! ‒ ‒ Es geht mir faſt nahe zu ſagen, daß ich an der Tyranney uͤber das, was ich liebe, ein Ver- gnuͤgen finde. Du magſt es ein unedles Ver- gnuͤgen nennen; wenn du willſt: gleichwohl fuͤh- len es auch ſanftmuͤthigere Herzen, als meines iſt. Die Frauenzimmer fuͤhlen es gegen ein Frauen- (*) Siehe den XI. Brief dieſes Theils.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/293
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/293>, abgerufen am 24.11.2024.