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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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War das nicht ein kühnes Vorgeben, Bru-
der?

Jn Wahrheit, ein sehr außerordentlicher
Fall! sprach das unverheyrathete Frauenzimmer.
Sie machte sich mehrentheils mit ihrem Fecher
etwas zu thun: jedoch kam sie auch ein mit ih-
rem gut, aber, mit ihrem ausforschenden Jch
bitte, mein Herr!
und ihrem zurückhaltenden
Genug mein Herr! Sie fiel von einer Frage
auf die andere. Bisweilen war ihr der Sitz
nicht bequem, aus Furcht, ich möchte aus allzu
geringer Bedenklichkeit ihre übermäßige Scham-
haftigkeit beleidigen: und gleichwohl war es
schwer, ihre mehr als übermäßige Neubegierde
zu stillen.

"Die Eifersucht meiner Geliebten, die von
"selbst den Frauenzimmern tausend Dinge, die
"sich sonst nicht erklären lassen, begreiflich macht,
"und der Vorwurf einer halben Verrückung,
"welche durch den gottlosen Fluch ihres Vaters,
"und durch die vorhergehenden Verfolgungen
"von ihrer ganzen Familie bey ihr entstanden
"wäre, waren dasjenige, wobey ich mich vornehm-
"lich aufhielte, damit ich den künftigen Fällen
"vorbeugen möchte.

Kurz; "ich bekannte wider mich selbst das
"meiste von denen Beleidigungen, welche mir die
"Fräulein, wie ich nicht zweifeln durfte, vor ih-
"ren Ohren vorhalten konnte. Da eine jede
"Sache eine gute und eine schlimme Seite hat:
"so suchte ich den schlimmsten Theilen von unse-

"rer
Fünfter Theil. R



War das nicht ein kuͤhnes Vorgeben, Bru-
der?

Jn Wahrheit, ein ſehr außerordentlicher
Fall! ſprach das unverheyrathete Frauenzimmer.
Sie machte ſich mehrentheils mit ihrem Fecher
etwas zu thun: jedoch kam ſie auch ein mit ih-
rem gut, aber, mit ihrem ausforſchenden Jch
bitte, mein Herr!
und ihrem zuruͤckhaltenden
Genug mein Herr! Sie fiel von einer Frage
auf die andere. Bisweilen war ihr der Sitz
nicht bequem, aus Furcht, ich moͤchte aus allzu
geringer Bedenklichkeit ihre uͤbermaͤßige Scham-
haftigkeit beleidigen: und gleichwohl war es
ſchwer, ihre mehr als uͤbermaͤßige Neubegierde
zu ſtillen.

„Die Eiferſucht meiner Geliebten, die von
„ſelbſt den Frauenzimmern tauſend Dinge, die
„ſich ſonſt nicht erklaͤren laſſen, begreiflich macht,
„und der Vorwurf einer halben Verruͤckung,
„welche durch den gottloſen Fluch ihres Vaters,
„und durch die vorhergehenden Verfolgungen
„von ihrer ganzen Familie bey ihr entſtanden
„waͤre, waren dasjenige, wobey ich mich vornehm-
„lich aufhielte, damit ich den kuͤnftigen Faͤllen
„vorbeugen moͤchte.

Kurz; „ich bekannte wider mich ſelbſt das
„meiſte von denen Beleidigungen, welche mir die
„Fraͤulein, wie ich nicht zweifeln durfte, vor ih-
„ren Ohren vorhalten konnte. Da eine jede
„Sache eine gute und eine ſchlimme Seite hat:
„ſo ſuchte ich den ſchlimmſten Theilen von unſe-

„rer
Fuͤnfter Theil. R
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[257/0263] War das nicht ein kuͤhnes Vorgeben, Bru- der? Jn Wahrheit, ein ſehr außerordentlicher Fall! ſprach das unverheyrathete Frauenzimmer. Sie machte ſich mehrentheils mit ihrem Fecher etwas zu thun: jedoch kam ſie auch ein mit ih- rem gut, aber, mit ihrem ausforſchenden Jch bitte, mein Herr! und ihrem zuruͤckhaltenden Genug mein Herr! Sie fiel von einer Frage auf die andere. Bisweilen war ihr der Sitz nicht bequem, aus Furcht, ich moͤchte aus allzu geringer Bedenklichkeit ihre uͤbermaͤßige Scham- haftigkeit beleidigen: und gleichwohl war es ſchwer, ihre mehr als uͤbermaͤßige Neubegierde zu ſtillen. „Die Eiferſucht meiner Geliebten, die von „ſelbſt den Frauenzimmern tauſend Dinge, die „ſich ſonſt nicht erklaͤren laſſen, begreiflich macht, „und der Vorwurf einer halben Verruͤckung, „welche durch den gottloſen Fluch ihres Vaters, „und durch die vorhergehenden Verfolgungen „von ihrer ganzen Familie bey ihr entſtanden „waͤre, waren dasjenige, wobey ich mich vornehm- „lich aufhielte, damit ich den kuͤnftigen Faͤllen „vorbeugen moͤchte. Kurz; „ich bekannte wider mich ſelbſt das „meiſte von denen Beleidigungen, welche mir die „Fraͤulein, wie ich nicht zweifeln durfte, vor ih- „ren Ohren vorhalten konnte. Da eine jede „Sache eine gute und eine ſchlimme Seite hat: „ſo ſuchte ich den ſchlimmſten Theilen von unſe- „rer Fuͤnfter Theil. R

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/263>, abgerufen am 24.11.2024.