sie den schrecklichen Uebeln entgehen könnte, die ihr sonst auszustehen seyn würden.
Die beyden Frauenspersonen predigten ihr Geduld und Ruhigseyn, und wollten gern, daß sie sich niederlegen sollte. Allein sie schlug es ab. Jedoch sank sie auf einen bequemen Stuhl. Denn sie zitterte so, daß sie nicht stehen konnte.
Unterdessen vermuthete ich, sie würde sich ge- nug erholet haben, die Gegenwart einer Person zu ertragen, die ich sie, weil mir daran gelegen war, zu ertragen nöthigen mußte. Und da ich besorgte, sie möchte bey ihren kläglichen Ausru- fungen etwas ausstoßen, das mich noch mehr verwirren dürfte: so kam ich wieder in das Zim- mer.
O! da ist er! sagte sie, und zog ihre Schür- ze über das Gesicht - Jch kann ihn nicht sehen! - Jch kann kein Auge vor ihm öffnen - - Weg! Weg! Mich nicht angerührt! -
Denn ich nahm ihre sträubende Hand und bat, sie möchte sich zufrieden geben. Jch versi- cherte, daß ich alles nach ihren selbstbeliebigen Bedingungen und Wünschen mit ihr gut machen wollte.
Niederträchtiger Kerl, sagte die hitzige Fräu- lein, ich habe keine andern Wünsche, als euch nie- mals mehr zu sehen! Warum muß ich mich so verfolgen und jagen lassen? Habt ihr mich nicht schon elend genug gemacht? Entblößt von allem Beystande, von aller Hülfe und von allen Freun- den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und
elend
ſie den ſchrecklichen Uebeln entgehen koͤnnte, die ihr ſonſt auszuſtehen ſeyn wuͤrden.
Die beyden Frauensperſonen predigten ihr Geduld und Ruhigſeyn, und wollten gern, daß ſie ſich niederlegen ſollte. Allein ſie ſchlug es ab. Jedoch ſank ſie auf einen bequemen Stuhl. Denn ſie zitterte ſo, daß ſie nicht ſtehen konnte.
Unterdeſſen vermuthete ich, ſie wuͤrde ſich ge- nug erholet haben, die Gegenwart einer Perſon zu ertragen, die ich ſie, weil mir daran gelegen war, zu ertragen noͤthigen mußte. Und da ich beſorgte, ſie moͤchte bey ihren klaͤglichen Ausru- fungen etwas ausſtoßen, das mich noch mehr verwirren duͤrfte: ſo kam ich wieder in das Zim- mer.
O! da iſt er! ſagte ſie, und zog ihre Schuͤr- ze uͤber das Geſicht ‒ Jch kann ihn nicht ſehen! ‒ Jch kann kein Auge vor ihm oͤffnen ‒ ‒ Weg! Weg! Mich nicht angeruͤhrt! ‒
Denn ich nahm ihre ſtraͤubende Hand und bat, ſie moͤchte ſich zufrieden geben. Jch verſi- cherte, daß ich alles nach ihren ſelbſtbeliebigen Bedingungen und Wuͤnſchen mit ihr gut machen wollte.
Niedertraͤchtiger Kerl, ſagte die hitzige Fraͤu- lein, ich habe keine andern Wuͤnſche, als euch nie- mals mehr zu ſehen! Warum muß ich mich ſo verfolgen und jagen laſſen? Habt ihr mich nicht ſchon elend genug gemacht? Entbloͤßt von allem Beyſtande, von aller Huͤlfe und von allen Freun- den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und
elend
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0244"n="238"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>ſie den ſchrecklichen Uebeln entgehen koͤnnte, die<lb/>
ihr ſonſt auszuſtehen ſeyn wuͤrden.</p><lb/><p>Die beyden Frauensperſonen predigten ihr<lb/>
Geduld und Ruhigſeyn, und wollten gern, daß<lb/>ſie ſich niederlegen ſollte. Allein ſie ſchlug es ab.<lb/>
Jedoch ſank ſie auf einen bequemen Stuhl. Denn<lb/>ſie zitterte ſo, daß ſie nicht ſtehen konnte.</p><lb/><p>Unterdeſſen vermuthete ich, ſie wuͤrde ſich ge-<lb/>
nug erholet haben, die Gegenwart einer Perſon<lb/>
zu ertragen, die ich ſie, weil mir daran gelegen<lb/>
war, zu ertragen noͤthigen mußte. Und da ich<lb/>
beſorgte, ſie moͤchte bey ihren klaͤglichen Ausru-<lb/>
fungen etwas ausſtoßen, das mich noch mehr<lb/>
verwirren duͤrfte: ſo kam ich wieder in das Zim-<lb/>
mer.</p><lb/><p>O! da iſt er! ſagte ſie, und zog ihre Schuͤr-<lb/>
ze uͤber das Geſicht ‒ Jch kann ihn nicht ſehen!<lb/>‒ Jch kann kein Auge vor ihm oͤffnen ‒‒ Weg!<lb/>
Weg! Mich nicht angeruͤhrt! ‒</p><lb/><p>Denn ich nahm ihre ſtraͤubende Hand und<lb/>
bat, ſie moͤchte ſich zufrieden geben. Jch verſi-<lb/>
cherte, daß ich alles nach ihren ſelbſtbeliebigen<lb/>
Bedingungen und Wuͤnſchen mit ihr gut machen<lb/>
wollte.</p><lb/><p>Niedertraͤchtiger Kerl, ſagte die hitzige Fraͤu-<lb/>
lein, ich habe keine andern Wuͤnſche, als euch nie-<lb/>
mals mehr zu ſehen! Warum muß ich mich ſo<lb/>
verfolgen und jagen laſſen? Habt ihr mich nicht<lb/>ſchon elend genug gemacht? Entbloͤßt von allem<lb/>
Beyſtande, von aller Huͤlfe und von allen Freun-<lb/>
den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">elend</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[238/0244]
ſie den ſchrecklichen Uebeln entgehen koͤnnte, die
ihr ſonſt auszuſtehen ſeyn wuͤrden.
Die beyden Frauensperſonen predigten ihr
Geduld und Ruhigſeyn, und wollten gern, daß
ſie ſich niederlegen ſollte. Allein ſie ſchlug es ab.
Jedoch ſank ſie auf einen bequemen Stuhl. Denn
ſie zitterte ſo, daß ſie nicht ſtehen konnte.
Unterdeſſen vermuthete ich, ſie wuͤrde ſich ge-
nug erholet haben, die Gegenwart einer Perſon
zu ertragen, die ich ſie, weil mir daran gelegen
war, zu ertragen noͤthigen mußte. Und da ich
beſorgte, ſie moͤchte bey ihren klaͤglichen Ausru-
fungen etwas ausſtoßen, das mich noch mehr
verwirren duͤrfte: ſo kam ich wieder in das Zim-
mer.
O! da iſt er! ſagte ſie, und zog ihre Schuͤr-
ze uͤber das Geſicht ‒ Jch kann ihn nicht ſehen!
‒ Jch kann kein Auge vor ihm oͤffnen ‒ ‒ Weg!
Weg! Mich nicht angeruͤhrt! ‒
Denn ich nahm ihre ſtraͤubende Hand und
bat, ſie moͤchte ſich zufrieden geben. Jch verſi-
cherte, daß ich alles nach ihren ſelbſtbeliebigen
Bedingungen und Wuͤnſchen mit ihr gut machen
wollte.
Niedertraͤchtiger Kerl, ſagte die hitzige Fraͤu-
lein, ich habe keine andern Wuͤnſche, als euch nie-
mals mehr zu ſehen! Warum muß ich mich ſo
verfolgen und jagen laſſen? Habt ihr mich nicht
ſchon elend genug gemacht? Entbloͤßt von allem
Beyſtande, von aller Huͤlfe und von allen Freun-
den bin ich es zufrieden, daß ich arm, niedrig und
elend
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/244>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.