"Man erbot sich hinzuschicken und fragen "zu lassen, ob nicht eine Hampsteader Kutsche "noch den Abend nach Hendon ginge. Es sey "nicht nöthig, versetzte sie: vielleicht träfe sie den "Wagen an." Das ist wieder eine Finte von ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem, hätte dergleichen etwas seit gestern frühe verabre- det werden können?
"Sie hatte, wie die Leute einander sagten, "etwas so außerordentlich edles in ihrer Bildung, "in ihrer Person und Aufführung, daß sie versi- "chert waren, sie müßte von Stande seyn. Da "sie aber niemand, weder von dem einen, noch "von dem andern Geschlechte, zur Bedienung bey "sich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen "nannte sie die gute Frau, ob sie gleich fremd "und ein Frauenzimmer war; aufgeschwollen "und roth waren: so hielten sie für gewiß, daß "es dabey auf eine Entlaufung entweder von El- "tern oder von Aufsehern hinauskäme. Denn "sie sahen sie für allzu jung und allzu jüngferlich "an, daß sie schon verheyrathet seyn sollte. Und "wäre sie verheyrathet: so würde kein Ehemann "eine so artige und junge Frau ohne Bedienung "und alleine lassen, noch ihr zu so vielem Kum- "mer Anlaß geben, als in ihrem Angesichte deut- "lich abgemahlet schiene. Außerdem, sagten sie, "sahe sie bisweilen so wild und verwirret aus, "daß ihnen bange war, sie möchte im Sinne ha- "ben, sich selbst davon zu helfen.
"Alle
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„Man erbot ſich hinzuſchicken und fragen „zu laſſen, ob nicht eine Hampſteader Kutſche „noch den Abend nach Hendon ginge. Es ſey „nicht noͤthig, verſetzte ſie: vielleicht traͤfe ſie den „Wagen an.„ Das iſt wieder eine Finte von ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem, haͤtte dergleichen etwas ſeit geſtern fruͤhe verabre- det werden koͤnnen?
„Sie hatte, wie die Leute einander ſagten, „etwas ſo außerordentlich edles in ihrer Bildung, „in ihrer Perſon und Auffuͤhrung, daß ſie verſi- „chert waren, ſie muͤßte von Stande ſeyn. Da „ſie aber niemand, weder von dem einen, noch „von dem andern Geſchlechte, zur Bedienung bey „ſich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen „nannte ſie die gute Frau, ob ſie gleich fremd „und ein Frauenzimmer war; aufgeſchwollen „und roth waren: ſo hielten ſie fuͤr gewiß, daß „es dabey auf eine Entlaufung entweder von El- „tern oder von Aufſehern hinauskaͤme. Denn „ſie ſahen ſie fuͤr allzu jung und allzu juͤngferlich „an, daß ſie ſchon verheyrathet ſeyn ſollte. Und „waͤre ſie verheyrathet: ſo wuͤrde kein Ehemann „eine ſo artige und junge Frau ohne Bedienung „und alleine laſſen, noch ihr zu ſo vielem Kum- „mer Anlaß geben, als in ihrem Angeſichte deut- „lich abgemahlet ſchiene. Außerdem, ſagten ſie, „ſahe ſie bisweilen ſo wild und verwirret aus, „daß ihnen bange war, ſie moͤchte im Sinne ha- „ben, ſich ſelbſt davon zu helfen.
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„Man erbot ſich hinzuſchicken und fragen
„zu laſſen, ob nicht eine Hampſteader Kutſche
„noch den Abend nach Hendon ginge. Es ſey
„nicht noͤthig, verſetzte ſie: vielleicht traͤfe ſie den
„Wagen an.„ Das iſt wieder eine Finte von
ihr; wie ich vermuthe: denn wie, oder mit wem,
haͤtte dergleichen etwas ſeit geſtern fruͤhe verabre-
det werden koͤnnen?
„Sie hatte, wie die Leute einander ſagten,
„etwas ſo außerordentlich edles in ihrer Bildung,
„in ihrer Perſon und Auffuͤhrung, daß ſie verſi-
„chert waren, ſie muͤßte von Stande ſeyn. Da
„ſie aber niemand, weder von dem einen, noch
„von dem andern Geſchlechte, zur Bedienung bey
„ſich hatte, und ihre Augen; ihre feine Augen
„nannte ſie die gute Frau, ob ſie gleich fremd
„und ein Frauenzimmer war; aufgeſchwollen
„und roth waren: ſo hielten ſie fuͤr gewiß, daß
„es dabey auf eine Entlaufung entweder von El-
„tern oder von Aufſehern hinauskaͤme. Denn
„ſie ſahen ſie fuͤr allzu jung und allzu juͤngferlich
„an, daß ſie ſchon verheyrathet ſeyn ſollte. Und
„waͤre ſie verheyrathet: ſo wuͤrde kein Ehemann
„eine ſo artige und junge Frau ohne Bedienung
„und alleine laſſen, noch ihr zu ſo vielem Kum-
„mer Anlaß geben, als in ihrem Angeſichte deut-
„lich abgemahlet ſchiene. Außerdem, ſagten ſie,
„ſahe ſie bisweilen ſo wild und verwirret aus,
„daß ihnen bange war, ſie moͤchte im Sinne ha-
„ben, ſich ſelbſt davon zu helfen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/205>, abgerufen am 17.09.2024.
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