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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Schreiben Sie, meine geliebteste Freundinn,
diese Anschläge weder einer Verzweifelung noch
dem romanenmäßigen Wesen zu, das sich über-
haupt bey unserm Geschlechte, wie wir selbst ver-
muthet haben, von dem funfzehnten bis zum zwey
und zwanzigsten Jahr findet. Belieben Sie
nur meine unglückliche Umstände von der Seite
zu betrachten, von der sie wirklich allen bedächt-
lichen Personen, denen sie bekannt sind, in die
Augen leuchten müssen. Fürs erste wird der
Kerl, der die Dreistigkeit gehabt hat, mich als
sein Eigenthum anzusehen und sich zu bemühen,
daß er mich dazu machen möchte, mich von einem
Orte zum andern jagen, und allenthalben nach mir,
als einer Verlaufenen, sorschen. Er weiß, daß
er es frey thun kann: denn wer will mich gegen
ihn schützen?

Hiernächst soll mein Gut, das beneidete Gut,
die erste Quelle von allem meinem Unglücke, nie-
mals durch den Weg Rechtens mein werden.
Was hilft es, mich rühmen zu können, daß ich
mehr im Vermögen habe, als ich gebrauchen
kann oder zu gebrauchen wünsche?
Jst mein
Vermögen geringe: so werde ich von der Ver-
antwortung frey seyn, die ich haben würde, wenn
ich es nicht recht gebrauchte; welches sehr wenige
thun. Jch werde keinen Gemahl haben, auf
auf dessen Vortheile ich so sorgfältig sehen müßte,
daß ich gehindert würde, andern mehr als Ge-
rechtigkeit widerfahren zu lassen, damit ich ihm
nicht weniger thun möchte. - Daher bin ich

schon


Schreiben Sie, meine geliebteſte Freundinn,
dieſe Anſchlaͤge weder einer Verzweifelung noch
dem romanenmaͤßigen Weſen zu, das ſich uͤber-
haupt bey unſerm Geſchlechte, wie wir ſelbſt ver-
muthet haben, von dem funfzehnten bis zum zwey
und zwanzigſten Jahr findet. Belieben Sie
nur meine ungluͤckliche Umſtaͤnde von der Seite
zu betrachten, von der ſie wirklich allen bedaͤcht-
lichen Perſonen, denen ſie bekannt ſind, in die
Augen leuchten muͤſſen. Fuͤrs erſte wird der
Kerl, der die Dreiſtigkeit gehabt hat, mich als
ſein Eigenthum anzuſehen und ſich zu bemuͤhen,
daß er mich dazu machen moͤchte, mich von einem
Orte zum andern jagen, und allenthalben nach mir,
als einer Verlaufenen, ſorſchen. Er weiß, daß
er es frey thun kann: denn wer will mich gegen
ihn ſchuͤtzen?

Hiernaͤchſt ſoll mein Gut, das beneidete Gut,
die erſte Quelle von allem meinem Ungluͤcke, nie-
mals durch den Weg Rechtens mein werden.
Was hilft es, mich ruͤhmen zu koͤnnen, daß ich
mehr im Vermoͤgen habe, als ich gebrauchen
kann oder zu gebrauchen wuͤnſche?
Jſt mein
Vermoͤgen geringe: ſo werde ich von der Ver-
antwortung frey ſeyn, die ich haben wuͤrde, wenn
ich es nicht recht gebrauchte; welches ſehr wenige
thun. Jch werde keinen Gemahl haben, auf
auf deſſen Vortheile ich ſo ſorgfaͤltig ſehen muͤßte,
daß ich gehindert wuͤrde, andern mehr als Ge-
rechtigkeit widerfahren zu laſſen, damit ich ihm
nicht weniger thun moͤchte. ‒ Daher bin ich

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[172/0178] Schreiben Sie, meine geliebteſte Freundinn, dieſe Anſchlaͤge weder einer Verzweifelung noch dem romanenmaͤßigen Weſen zu, das ſich uͤber- haupt bey unſerm Geſchlechte, wie wir ſelbſt ver- muthet haben, von dem funfzehnten bis zum zwey und zwanzigſten Jahr findet. Belieben Sie nur meine ungluͤckliche Umſtaͤnde von der Seite zu betrachten, von der ſie wirklich allen bedaͤcht- lichen Perſonen, denen ſie bekannt ſind, in die Augen leuchten muͤſſen. Fuͤrs erſte wird der Kerl, der die Dreiſtigkeit gehabt hat, mich als ſein Eigenthum anzuſehen und ſich zu bemuͤhen, daß er mich dazu machen moͤchte, mich von einem Orte zum andern jagen, und allenthalben nach mir, als einer Verlaufenen, ſorſchen. Er weiß, daß er es frey thun kann: denn wer will mich gegen ihn ſchuͤtzen? Hiernaͤchſt ſoll mein Gut, das beneidete Gut, die erſte Quelle von allem meinem Ungluͤcke, nie- mals durch den Weg Rechtens mein werden. Was hilft es, mich ruͤhmen zu koͤnnen, daß ich mehr im Vermoͤgen habe, als ich gebrauchen kann oder zu gebrauchen wuͤnſche? Jſt mein Vermoͤgen geringe: ſo werde ich von der Ver- antwortung frey ſeyn, die ich haben wuͤrde, wenn ich es nicht recht gebrauchte; welches ſehr wenige thun. Jch werde keinen Gemahl haben, auf auf deſſen Vortheile ich ſo ſorgfaͤltig ſehen muͤßte, daß ich gehindert wuͤrde, andern mehr als Ge- rechtigkeit widerfahren zu laſſen, damit ich ihm nicht weniger thun moͤchte. ‒ Daher bin ich ſchon

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/178>, abgerufen am 22.11.2024.