Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Der zwölfte Brief
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

Da mein letztes von nichts, als guter Hoffnung,
geredet hat: so werden Sie über den Jnn-
halt des gegenwärtigen in Bestürzung gerathen.
O meine allerliebste Freundinn, der Kerl hat sich
endlich offenbar als einen Bösewicht bewiesen!
Jch habe mich verwichne Nacht nur mit der
äußersten Mühe von der schändlichsten Enteh-
rung gerettet. Er drang mir ein Versprechen
ab, daß ich ihm vergeben und ihn den folgenden
Tag eben so wieder sehen wollte, als wenn nichts
vorgefallen wäre. Aber wie konnte ich ihn den
Tag darauf wieder sehen, wenn es nur möglich
war, zu fliehen und einem so elenden Kerl zu ent-
kommen, der eine versteckte Charte gespielet hat-
te, das Haus in Feuer zu setzen und durch ein
solches Schrecken mich beynahe nackend in seine
Arme zu jagen? Dieß habe ich nur allzu viele
Ursache zu glauben.

Jch bin entkommen, der Himmel sey geprie-
sen! und habe nun keinen andern Kummer, als
daß ich die einzige Hoffnung, welche mir einen
solchen Gemahl erträglich gemacht haben könnte,
die Aussöhnung mit meinen Freunden, die meiu

Onkel




Der zwoͤlfte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

Da mein letztes von nichts, als guter Hoffnung,
geredet hat: ſo werden Sie uͤber den Jnn-
halt des gegenwaͤrtigen in Beſtuͤrzung gerathen.
O meine allerliebſte Freundinn, der Kerl hat ſich
endlich offenbar als einen Boͤſewicht bewieſen!
Jch habe mich verwichne Nacht nur mit der
aͤußerſten Muͤhe von der ſchaͤndlichſten Enteh-
rung gerettet. Er drang mir ein Verſprechen
ab, daß ich ihm vergeben und ihn den folgenden
Tag eben ſo wieder ſehen wollte, als wenn nichts
vorgefallen waͤre. Aber wie konnte ich ihn den
Tag darauf wieder ſehen, wenn es nur moͤglich
war, zu fliehen und einem ſo elenden Kerl zu ent-
kommen, der eine verſteckte Charte geſpielet hat-
te, das Haus in Feuer zu ſetzen und durch ein
ſolches Schrecken mich beynahe nackend in ſeine
Arme zu jagen? Dieß habe ich nur allzu viele
Urſache zu glauben.

Jch bin entkommen, der Himmel ſey geprie-
ſen! und habe nun keinen andern Kummer, als
daß ich die einzige Hoffnung, welche mir einen
ſolchen Gemahl ertraͤglich gemacht haben koͤnnte,
die Ausſoͤhnung mit meinen Freunden, die meiu

Onkel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0176" n="170"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der zwo&#x0364;lfte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe an Fra&#x0364;ulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Donner&#x017F;tags, Abends, den 8. Jun.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>a mein letztes von nichts, als guter Hoffnung,<lb/>
geredet hat: &#x017F;o werden Sie u&#x0364;ber den Jnn-<lb/>
halt des gegenwa&#x0364;rtigen in Be&#x017F;tu&#x0364;rzung gerathen.<lb/>
O meine allerlieb&#x017F;te Freundinn, der Kerl hat &#x017F;ich<lb/>
endlich offenbar als einen Bo&#x0364;&#x017F;ewicht bewie&#x017F;en!<lb/>
Jch habe mich verwichne Nacht nur mit der<lb/>
a&#x0364;ußer&#x017F;ten Mu&#x0364;he von der &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten Enteh-<lb/>
rung gerettet. Er drang mir ein Ver&#x017F;prechen<lb/>
ab, daß ich ihm vergeben und ihn den folgenden<lb/>
Tag eben &#x017F;o wieder &#x017F;ehen wollte, als wenn nichts<lb/>
vorgefallen wa&#x0364;re. Aber wie konnte ich ihn den<lb/>
Tag darauf wieder &#x017F;ehen, wenn es nur mo&#x0364;glich<lb/>
war, zu fliehen und einem &#x017F;o elenden Kerl zu ent-<lb/>
kommen, der eine ver&#x017F;teckte Charte ge&#x017F;pielet hat-<lb/>
te, das Haus in Feuer zu &#x017F;etzen und durch ein<lb/>
&#x017F;olches Schrecken mich beynahe nackend in &#x017F;eine<lb/>
Arme zu jagen? Dieß habe ich nur allzu viele<lb/>
Ur&#x017F;ache zu glauben.</p><lb/>
          <p>Jch bin entkommen, der Himmel &#x017F;ey geprie-<lb/>
&#x017F;en! und habe nun keinen andern Kummer, als<lb/>
daß ich die einzige Hoffnung, welche mir einen<lb/>
&#x017F;olchen Gemahl ertra&#x0364;glich gemacht haben ko&#x0364;nnte,<lb/>
die Aus&#x017F;o&#x0364;hnung mit meinen Freunden, die meiu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Onkel</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] Der zwoͤlfte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. Donnerſtags, Abends, den 8. Jun. Da mein letztes von nichts, als guter Hoffnung, geredet hat: ſo werden Sie uͤber den Jnn- halt des gegenwaͤrtigen in Beſtuͤrzung gerathen. O meine allerliebſte Freundinn, der Kerl hat ſich endlich offenbar als einen Boͤſewicht bewieſen! Jch habe mich verwichne Nacht nur mit der aͤußerſten Muͤhe von der ſchaͤndlichſten Enteh- rung gerettet. Er drang mir ein Verſprechen ab, daß ich ihm vergeben und ihn den folgenden Tag eben ſo wieder ſehen wollte, als wenn nichts vorgefallen waͤre. Aber wie konnte ich ihn den Tag darauf wieder ſehen, wenn es nur moͤglich war, zu fliehen und einem ſo elenden Kerl zu ent- kommen, der eine verſteckte Charte geſpielet hat- te, das Haus in Feuer zu ſetzen und durch ein ſolches Schrecken mich beynahe nackend in ſeine Arme zu jagen? Dieß habe ich nur allzu viele Urſache zu glauben. Jch bin entkommen, der Himmel ſey geprie- ſen! und habe nun keinen andern Kummer, als daß ich die einzige Hoffnung, welche mir einen ſolchen Gemahl ertraͤglich gemacht haben koͤnnte, die Ausſoͤhnung mit meinen Freunden, die meiu Onkel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/176
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/176>, abgerufen am 23.11.2024.