wofern die Liebe zwischen diesen beyden Mädchen so feurig ist, als sie vorgeben?
Nun frage ich dich, da ich die Fräulein Howe nur noch ein wenig länger regieren lassen werde, ob du nicht in dem eingeschlossenen Brie- fe einen neuen Beweis findest, daß sehr viele von den Schwierigkeiten, die ich bey ihrem herz- lieben Schwesterchen angetroffen habe, diesem ungestümen Mädchen zuzuschreiben sind? - - Jch leugne nicht, die Luft war hier von Natur ver- zweifelt scharf und wintermäßig. Es war kein Wunder, wenn ein wenig kalt Wasser in den Weg gegossen wurde, daß es den Augenblick ge- froren war, und ein armer ehrlicher Wanders- mann es beynahe unmöglich fand fortzukommen: indem ihm der eine Fuß eben so geschwinde wie- der zurückglitte, als der andere vorwärts ging, und er Gefahr laufen mußte, Arme und Beine, oder den Hals zu brechen. Aber ich halte es doch für unmöglich, daß Sie, die noch in den Lehrjahren steht und vorher niemals von der Mutter weggekommen ist, mich so bey der Nase herumgeführt haben sollte, wenn sie nicht von ei- nem männlichen Frauenzimmer, welches vorher beynahe selbst durch ihr eignes Beyspiel gezeiget hatte, daß sie besser Regeln geben, als ausüben könnte, ihre Rüstung bekommen hätte. Allein dieß, glaube ich, habe ich schon mehr, als einmal, vorher gesagt.
Jch bin nicht geneigt, mir selbst Vorwürfe zu machen, da mir die grausame Schöne entlau-
fen
wofern die Liebe zwiſchen dieſen beyden Maͤdchen ſo feurig iſt, als ſie vorgeben?
Nun frage ich dich, da ich die Fraͤulein Howe nur noch ein wenig laͤnger regieren laſſen werde, ob du nicht in dem eingeſchloſſenen Brie- fe einen neuen Beweis findeſt, daß ſehr viele von den Schwierigkeiten, die ich bey ihrem herz- lieben Schweſterchen angetroffen habe, dieſem ungeſtuͤmen Maͤdchen zuzuſchreiben ſind? ‒ ‒ Jch leugne nicht, die Luft war hier von Natur ver- zweifelt ſcharf und wintermaͤßig. Es war kein Wunder, wenn ein wenig kalt Waſſer in den Weg gegoſſen wurde, daß es den Augenblick ge- froren war, und ein armer ehrlicher Wanders- mann es beynahe unmoͤglich fand fortzukommen: indem ihm der eine Fuß eben ſo geſchwinde wie- der zuruͤckglitte, als der andere vorwaͤrts ging, und er Gefahr laufen mußte, Arme und Beine, oder den Hals zu brechen. Aber ich halte es doch fuͤr unmoͤglich, daß Sie, die noch in den Lehrjahren ſteht und vorher niemals von der Mutter weggekommen iſt, mich ſo bey der Naſe herumgefuͤhrt haben ſollte, wenn ſie nicht von ei- nem maͤnnlichen Frauenzimmer, welches vorher beynahe ſelbſt durch ihr eignes Beyſpiel gezeiget hatte, daß ſie beſſer Regeln geben, als ausuͤben koͤnnte, ihre Ruͤſtung bekommen haͤtte. Allein dieß, glaube ich, habe ich ſchon mehr, als einmal, vorher geſagt.
Jch bin nicht geneigt, mir ſelbſt Vorwuͤrfe zu machen, da mir die grauſame Schoͤne entlau-
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wofern die Liebe zwiſchen dieſen beyden Maͤdchen
ſo feurig iſt, als ſie vorgeben?
Nun frage ich dich, da ich die Fraͤulein
Howe nur noch ein wenig laͤnger regieren laſſen
werde, ob du nicht in dem eingeſchloſſenen Brie-
fe einen neuen Beweis findeſt, daß ſehr viele
von den Schwierigkeiten, die ich bey ihrem herz-
lieben Schweſterchen angetroffen habe, dieſem
ungeſtuͤmen Maͤdchen zuzuſchreiben ſind? ‒ ‒ Jch
leugne nicht, die Luft war hier von Natur ver-
zweifelt ſcharf und wintermaͤßig. Es war kein
Wunder, wenn ein wenig kalt Waſſer in den
Weg gegoſſen wurde, daß es den Augenblick ge-
froren war, und ein armer ehrlicher Wanders-
mann es beynahe unmoͤglich fand fortzukommen:
indem ihm der eine Fuß eben ſo geſchwinde wie-
der zuruͤckglitte, als der andere vorwaͤrts ging,
und er Gefahr laufen mußte, Arme und Beine,
oder den Hals zu brechen. Aber ich halte es
doch fuͤr unmoͤglich, daß Sie, die noch in den
Lehrjahren ſteht und vorher niemals von der
Mutter weggekommen iſt, mich ſo bey der Naſe
herumgefuͤhrt haben ſollte, wenn ſie nicht von ei-
nem maͤnnlichen Frauenzimmer, welches vorher
beynahe ſelbſt durch ihr eignes Beyſpiel gezeiget
hatte, daß ſie beſſer Regeln geben, als ausuͤben
koͤnnte, ihre Ruͤſtung bekommen haͤtte. Allein
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Jch bin nicht geneigt, mir ſelbſt Vorwuͤrfe
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/174>, abgerufen am 12.12.2024.
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