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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Wieder eine neue Ursache, mich noch mehr
zu beschweren! Hätte ich nicht einen solchen
Schreibegeist: so würde ich beständig als unsin-
nig herumlausen.

Da ich noch einmal in ihre Kammer ging,
weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette
und alles und jedes, was von Aufputz und Ge-
räthe darinnen ist, übersahe: so warf ich mein Auge
auf die Schiebladen an ihrem Nachttische, und sahe
in einer von den halbausgezogenen Lädchen die Ecke
von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor-
ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr
die Ausschrift: Herrn Lovelace. Der Anblick
hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit-
terte dergestalt, daß ich kaum das Siegel öffnen
konnte.

Wie wenig männliches läßt mir diese ver-
dammte Liebe! - - Aber auch kein Mensch hat
jemals so geliebet, als ich liebe! Meine Liebe ist
so gar durch ihre schändliche Flucht und den Be-
trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank-
bare Seele, die von einer so brünstigen Liebe ent-
läuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum,
sich desto mehr erhebet, je mehr sie unterdrücket
und verachtet wird!

Jch will dir von diesem Briefe keine Ab-
schrift geben. Jch bin ihr nicht so vielen Dienst
schuldig.

Allein
J 2




Wieder eine neue Urſache, mich noch mehr
zu beſchweren! Haͤtte ich nicht einen ſolchen
Schreibegeiſt: ſo wuͤrde ich beſtaͤndig als unſin-
nig herumlauſen.

Da ich noch einmal in ihre Kammer ging,
weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette
und alles und jedes, was von Aufputz und Ge-
raͤthe darinnen iſt, uͤberſahe: ſo warf ich mein Auge
auf die Schiebladen an ihrem Nachttiſche, und ſahe
in einer von den halbausgezogenen Laͤdchen die Ecke
von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor-
ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr
die Auſſchrift: Herrn Lovelace. Der Anblick
hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit-
terte dergeſtalt, daß ich kaum das Siegel oͤffnen
konnte.

Wie wenig maͤnnliches laͤßt mir dieſe ver-
dammte Liebe! ‒ ‒ Aber auch kein Menſch hat
jemals ſo geliebet, als ich liebe! Meine Liebe iſt
ſo gar durch ihre ſchaͤndliche Flucht und den Be-
trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank-
bare Seele, die von einer ſo bruͤnſtigen Liebe ent-
laͤuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum,
ſich deſto mehr erhebet, je mehr ſie unterdruͤcket
und verachtet wird!

Jch will dir von dieſem Briefe keine Ab-
ſchrift geben. Jch bin ihr nicht ſo vielen Dienſt
ſchuldig.

Allein
J 2
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[131/0137] Wieder eine neue Urſache, mich noch mehr zu beſchweren! Haͤtte ich nicht einen ſolchen Schreibegeiſt: ſo wuͤrde ich beſtaͤndig als unſin- nig herumlauſen. Da ich noch einmal in ihre Kammer ging, weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette und alles und jedes, was von Aufputz und Ge- raͤthe darinnen iſt, uͤberſahe: ſo warf ich mein Auge auf die Schiebladen an ihrem Nachttiſche, und ſahe in einer von den halbausgezogenen Laͤdchen die Ecke von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor- ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr die Auſſchrift: Herrn Lovelace. Der Anblick hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit- terte dergeſtalt, daß ich kaum das Siegel oͤffnen konnte. Wie wenig maͤnnliches laͤßt mir dieſe ver- dammte Liebe! ‒ ‒ Aber auch kein Menſch hat jemals ſo geliebet, als ich liebe! Meine Liebe iſt ſo gar durch ihre ſchaͤndliche Flucht und den Be- trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank- bare Seele, die von einer ſo bruͤnſtigen Liebe ent- laͤuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum, ſich deſto mehr erhebet, je mehr ſie unterdruͤcket und verachtet wird! Jch will dir von dieſem Briefe keine Ab- ſchrift geben. Jch bin ihr nicht ſo vielen Dienſt ſchuldig. Allein J 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/137>, abgerufen am 22.11.2024.