Wieder eine neue Ursache, mich noch mehr zu beschweren! Hätte ich nicht einen solchen Schreibegeist: so würde ich beständig als unsin- nig herumlausen.
Da ich noch einmal in ihre Kammer ging, weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette und alles und jedes, was von Aufputz und Ge- räthe darinnen ist, übersahe: so warf ich mein Auge auf die Schiebladen an ihrem Nachttische, und sahe in einer von den halbausgezogenen Lädchen die Ecke von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor- ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr die Ausschrift: Herrn Lovelace. Der Anblick hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit- terte dergestalt, daß ich kaum das Siegel öffnen konnte.
Wie wenig männliches läßt mir diese ver- dammte Liebe! - - Aber auch kein Mensch hat jemals so geliebet, als ich liebe! Meine Liebe ist so gar durch ihre schändliche Flucht und den Be- trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank- bare Seele, die von einer so brünstigen Liebe ent- läuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum, sich desto mehr erhebet, je mehr sie unterdrücket und verachtet wird!
Jch will dir von diesem Briefe keine Ab- schrift geben. Jch bin ihr nicht so vielen Dienst schuldig.
Allein
J 2
Wieder eine neue Urſache, mich noch mehr zu beſchweren! Haͤtte ich nicht einen ſolchen Schreibegeiſt: ſo wuͤrde ich beſtaͤndig als unſin- nig herumlauſen.
Da ich noch einmal in ihre Kammer ging, weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette und alles und jedes, was von Aufputz und Ge- raͤthe darinnen iſt, uͤberſahe: ſo warf ich mein Auge auf die Schiebladen an ihrem Nachttiſche, und ſahe in einer von den halbausgezogenen Laͤdchen die Ecke von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor- ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr die Auſſchrift: Herrn Lovelace. Der Anblick hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit- terte dergeſtalt, daß ich kaum das Siegel oͤffnen konnte.
Wie wenig maͤnnliches laͤßt mir dieſe ver- dammte Liebe! ‒ ‒ Aber auch kein Menſch hat jemals ſo geliebet, als ich liebe! Meine Liebe iſt ſo gar durch ihre ſchaͤndliche Flucht und den Be- trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank- bare Seele, die von einer ſo bruͤnſtigen Liebe ent- laͤuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum, ſich deſto mehr erhebet, je mehr ſie unterdruͤcket und verachtet wird!
Jch will dir von dieſem Briefe keine Ab- ſchrift geben. Jch bin ihr nicht ſo vielen Dienſt ſchuldig.
Allein
J 2
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Wieder eine neue Urſache, mich noch mehr
zu beſchweren! Haͤtte ich nicht einen ſolchen
Schreibegeiſt: ſo wuͤrde ich beſtaͤndig als unſin-
nig herumlauſen.
Da ich noch einmal in ihre Kammer ging,
weil es ihre war, und mit Seufzen das Bette
und alles und jedes, was von Aufputz und Ge-
raͤthe darinnen iſt, uͤberſahe: ſo warf ich mein Auge
auf die Schiebladen an ihrem Nachttiſche, und ſahe
in einer von den halbausgezogenen Laͤdchen die Ecke
von einem Briefe, wie ich befand, eben hervor-
ragen. Jch riß ihn heraus und fand von ihr
die Auſſchrift: Herrn Lovelace. Der Anblick
hievon machte mir ein Herzklopfen und ich zit-
terte dergeſtalt, daß ich kaum das Siegel oͤffnen
konnte.
Wie wenig maͤnnliches laͤßt mir dieſe ver-
dammte Liebe! ‒ ‒ Aber auch kein Menſch hat
jemals ſo geliebet, als ich liebe! Meine Liebe iſt
ſo gar durch ihre ſchaͤndliche Flucht und den Be-
trug in meiner Hoffnung vermehret. Undank-
bare Seele, die von einer ſo bruͤnſtigen Liebe ent-
laͤuft! von einer Liebe, die wie der Palmbaum,
ſich deſto mehr erhebet, je mehr ſie unterdruͤcket
und verachtet wird!
Jch will dir von dieſem Briefe keine Ab-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/137>, abgerufen am 22.11.2024.
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