O Bruder, Bruder! Der Versuch in ver- wichner Nacht hat mich zum Thoren, hat mich ganz untüchtig gemacht! Wie kann das liebe Kind sagen, daß ich sie in ihren eignen Augen verächtlich gemacht habe, da ihr Verhalten bey einer solchen Bestürzung, und ihr empfindlicher Zorn, unter solchen Umständen sie in meinen Au- gen so weit erhöhet hat?
Woher aber dieser wunderliche Mischmasch? - - Kommt er daher, daß ich hier? daß ich nicht bey Fr. Sinclair bin? - Allein wenn das Haus ansteckend ist: wie ist meine Geliebte von der Seuche frey geblieben?
Doch nicht mehr in diesem Zuge! - Jch will sehen, wie sie sich aufführen wird, wenn ich zurück- komme - Jnzwischen fange ich gleichwohl schon itzo an, eine kleine Unbeständigkeit, ein kleines Zurückziehen zu besorgen. Denn es ist mir eben der Zweifel eingefallen, ob ich um ihrer selbst willen zu wünschen habe, daß sie mir leicht, oder schwerlich vergebe?
Jch bin auf dem Zug, den gewünschten Trau- schein zu erhalten.
Jch habe nun alles zwischen meiner Gelieb- ten und mir völlig überleget, und meine Verwir- rung ist vorüber. Was mich zu einer geschwin- dern Entschließung gebracht, ist dieses, daß ich ausgefunden zu haben glaube, was ihre Absicht bey der Entfernung sey, worinn sie mich eine ganze
Woche
O Bruder, Bruder! Der Verſuch in ver- wichner Nacht hat mich zum Thoren, hat mich ganz untuͤchtig gemacht! Wie kann das liebe Kind ſagen, daß ich ſie in ihren eignen Augen veraͤchtlich gemacht habe, da ihr Verhalten bey einer ſolchen Beſtuͤrzung, und ihr empfindlicher Zorn, unter ſolchen Umſtaͤnden ſie in meinen Au- gen ſo weit erhoͤhet hat?
Woher aber dieſer wunderliche Miſchmaſch? ‒ ‒ Kommt er daher, daß ich hier? daß ich nicht bey Fr. Sinclair bin? ‒ Allein wenn das Haus anſteckend iſt: wie iſt meine Geliebte von der Seuche frey geblieben?
Doch nicht mehr in dieſem Zuge! ‒ Jch will ſehen, wie ſie ſich auffuͤhren wird, wenn ich zuruͤck- komme ‒ Jnzwiſchen fange ich gleichwohl ſchon itzo an, eine kleine Unbeſtaͤndigkeit, ein kleines Zuruͤckziehen zu beſorgen. Denn es iſt mir eben der Zweifel eingefallen, ob ich um ihrer ſelbſt willen zu wuͤnſchen habe, daß ſie mir leicht, oder ſchwerlich vergebe?
Jch bin auf dem Zug, den gewuͤnſchten Trau- ſchein zu erhalten.
Jch habe nun alles zwiſchen meiner Gelieb- ten und mir voͤllig uͤberleget, und meine Verwir- rung iſt voruͤber. Was mich zu einer geſchwin- dern Entſchließung gebracht, iſt dieſes, daß ich ausgefunden zu haben glaube, was ihre Abſicht bey der Entfernung ſey, worinn ſie mich eine ganze
Woche
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O Bruder, Bruder! Der Verſuch in ver-
wichner Nacht hat mich zum Thoren, hat mich
ganz untuͤchtig gemacht! Wie kann das liebe
Kind ſagen, daß ich ſie in ihren eignen Augen
veraͤchtlich gemacht habe, da ihr Verhalten bey
einer ſolchen Beſtuͤrzung, und ihr empfindlicher
Zorn, unter ſolchen Umſtaͤnden ſie in meinen Au-
gen ſo weit erhoͤhet hat?
Woher aber dieſer wunderliche Miſchmaſch?
‒ ‒ Kommt er daher, daß ich hier? daß ich nicht
bey Fr. Sinclair bin? ‒ Allein wenn das
Haus anſteckend iſt: wie iſt meine Geliebte von
der Seuche frey geblieben?
Doch nicht mehr in dieſem Zuge! ‒ Jch will
ſehen, wie ſie ſich auffuͤhren wird, wenn ich zuruͤck-
komme ‒ Jnzwiſchen fange ich gleichwohl ſchon
itzo an, eine kleine Unbeſtaͤndigkeit, ein kleines
Zuruͤckziehen zu beſorgen. Denn es iſt mir eben
der Zweifel eingefallen, ob ich um ihrer ſelbſt
willen zu wuͤnſchen habe, daß ſie mir leicht, oder
ſchwerlich vergebe?
Jch bin auf dem Zug, den gewuͤnſchten Trau-
ſchein zu erhalten.
Jch habe nun alles zwiſchen meiner Gelieb-
ten und mir voͤllig uͤberleget, und meine Verwir-
rung iſt voruͤber. Was mich zu einer geſchwin-
dern Entſchließung gebracht, iſt dieſes, daß ich
ausgefunden zu haben glaube, was ihre Abſicht
bey der Entfernung ſey, worinn ſie mich eine ganze
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/115>, abgerufen am 22.11.2024.
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