Frohlocken als mit Schaam auf alle gegenwär- tige Frauenzimmer um sich herumsahe, meine Neubegierde nicht gereitzet hätte. Jch ward da- durch begierig zu wissen, ob sie einem geheimen Freunde nicht eben die Gefälligkeit erzeigen dürf- te. Es ist wahr, ich mußte mich bey meiner Eh- re verpflichten, das Geheimniß bey mir zu be- halten. Allein niemals habe ich nach der Zeit das Turteltäubchen zu Gesichte bekommen, ohne an die gezweyte Zahl für sie zu gedenken, und dem eingenommenen Ehemann für die gute Unter- weisung seiner Frauen in meinem Herzen Dank zu sagen.
Aus dem, was ich berühret habe, wirst du sehen, daß ich die Einwendung meiner Geliebten gegen öffentliche Liebesbezeigungen billige. Das hoffe ich, ist alles, was die kaltsinnige Schöne unter der Reinigkeit im Ehestande ver- stehet.
Alles vorhergehende wird doch zu dem Schlu- ße führen, daß ich in den verstrichnen Tagen zwar nicht bloß ein unschlüßiger Zauderer, kein Hickmann, aber doch auch nicht vollkommen ge- schäftig, kein Lovelace, gewesen bin.
Die werthe Schöne sieht sich itzt als meine künftige Gemahlinn an. Jhr Herz, das hiedurch erleichtert ist, wird nicht länger stolz seyn, und nunmehr, wie ich hoffe, sich nicht wider eine jede Handlung einer ihr nicht misfälligen Mannsper- son auflehnen. Jedoch muß sie so viel an sich halten, als nöthig seyn wird, die vorige Unbieg-
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Frohlocken als mit Schaam auf alle gegenwaͤr- tige Frauenzimmer um ſich herumſahe, meine Neubegierde nicht gereitzet haͤtte. Jch ward da- durch begierig zu wiſſen, ob ſie einem geheimen Freunde nicht eben die Gefaͤlligkeit erzeigen duͤrf- te. Es iſt wahr, ich mußte mich bey meiner Eh- re verpflichten, das Geheimniß bey mir zu be- halten. Allein niemals habe ich nach der Zeit das Turteltaͤubchen zu Geſichte bekommen, ohne an die gezweyte Zahl fuͤr ſie zu gedenken, und dem eingenommenen Ehemann fuͤr die gute Unter- weiſung ſeiner Frauen in meinem Herzen Dank zu ſagen.
Aus dem, was ich beruͤhret habe, wirſt du ſehen, daß ich die Einwendung meiner Geliebten gegen oͤffentliche Liebesbezeigungen billige. Das hoffe ich, iſt alles, was die kaltſinnige Schoͤne unter der Reinigkeit im Eheſtande ver- ſtehet.
Alles vorhergehende wird doch zu dem Schlu- ße fuͤhren, daß ich in den verſtrichnen Tagen zwar nicht bloß ein unſchluͤßiger Zauderer, kein Hickmann, aber doch auch nicht vollkommen ge- ſchaͤftig, kein Lovelace, geweſen bin.
Die werthe Schoͤne ſieht ſich itzt als meine kuͤnftige Gemahlinn an. Jhr Herz, das hiedurch erleichtert iſt, wird nicht laͤnger ſtolz ſeyn, und nunmehr, wie ich hoffe, ſich nicht wider eine jede Handlung einer ihr nicht misfaͤlligen Mannsper- ſon auflehnen. Jedoch muß ſie ſo viel an ſich halten, als noͤthig ſeyn wird, die vorige Unbieg-
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[5/0011]
Frohlocken als mit Schaam auf alle gegenwaͤr-
tige Frauenzimmer um ſich herumſahe, meine
Neubegierde nicht gereitzet haͤtte. Jch ward da-
durch begierig zu wiſſen, ob ſie einem geheimen
Freunde nicht eben die Gefaͤlligkeit erzeigen duͤrf-
te. Es iſt wahr, ich mußte mich bey meiner Eh-
re verpflichten, das Geheimniß bey mir zu be-
halten. Allein niemals habe ich nach der Zeit
das Turteltaͤubchen zu Geſichte bekommen, ohne
an die gezweyte Zahl fuͤr ſie zu gedenken, und dem
eingenommenen Ehemann fuͤr die gute Unter-
weiſung ſeiner Frauen in meinem Herzen Dank
zu ſagen.
Aus dem, was ich beruͤhret habe, wirſt du
ſehen, daß ich die Einwendung meiner Geliebten
gegen oͤffentliche Liebesbezeigungen billige. Das
hoffe ich, iſt alles, was die kaltſinnige Schoͤne
unter der Reinigkeit im Eheſtande ver-
ſtehet.
Alles vorhergehende wird doch zu dem Schlu-
ße fuͤhren, daß ich in den verſtrichnen Tagen
zwar nicht bloß ein unſchluͤßiger Zauderer, kein
Hickmann, aber doch auch nicht vollkommen ge-
ſchaͤftig, kein Lovelace, geweſen bin.
Die werthe Schoͤne ſieht ſich itzt als meine
kuͤnftige Gemahlinn an. Jhr Herz, das hiedurch
erleichtert iſt, wird nicht laͤnger ſtolz ſeyn, und
nunmehr, wie ich hoffe, ſich nicht wider eine jede
Handlung einer ihr nicht misfaͤlligen Mannsper-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/11>, abgerufen am 21.11.2024.
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