kann ihn über dieses fast gar nicht los werden, wenn er des Abends bey mir ist, und wir nur mittelmäs- sig Freunde sind.
Um sieben Uhr kamen wir heute srüh in dem Spei- se-Zimmer zusammen. Er schien zu erwarten, daß ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine danckbare Weise empfangen sollte: und ich konnte bald in seinem verstörten Gesichte lesen, daß er sich in einer Hoffnung betrogen haben mußte.
Mein liebstes Kind, ist ihnen nicht wohl? - - Warum sehen sie mich so überaus ernsthaft an? Will ihre Kaltsinnigkeit sich noch nicht überwinden lassen? Wenn ich irgend worin weniger versprochen habe, als sie hoffeten - -
Jch sagte ihm: er habe mir wohlbedächtlich er- laubet, daß ich der Fräulein Howe seinen Aufsatz zuschicken dürfte, damit diese einige von ihren Freun- den darüber um Rath fragen könnte. Jch würde näch- stens Gelegenheit haben, ihr den Aufsatz zu über- senden. Jch bäte demnach, daß wir nicht davon reden möchten, bis ich Antwort von der Fräulein Howe erhalten hätte.
Ach GOtt! (sagte er) wenn nur die geringste Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufschub übrig ist! - - Jch schreibe jetzt eben an meinen Onckle, um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander stehen, und ich kann den Brief nicht so einrichten, wie mein Onckle und ich es wünschen, wenn ich nicht weiß, ob sie die zur Ehestiftung vorgeschlagene Be- dingungen billigen.
Jch
kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ- ſig Freunde ſind.
Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei- ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich in einer Hoffnung betrogen haben mußte.
Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒ ‒ Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an? Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen habe, als ſie hoffeten ‒ ‒
Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er- laubet, daß ich der Fraͤulein Howe ſeinen Aufſatz zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun- den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch- ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber- ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein Howe erhalten haͤtte.
Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig iſt! ‒ ‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle, um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten, wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be- dingungen billigen.
Jch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0099"n="93"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn<lb/>
er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ-<lb/>ſig Freunde ſind.</p><lb/><p>Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei-<lb/>ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß<lb/>
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine<lb/>
danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte<lb/>
bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich<lb/>
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.</p><lb/><p>Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒‒<lb/>
Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an?<lb/>
Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden<lb/>
laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen<lb/>
habe, als ſie hoffeten ‒‒</p><lb/><p>Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er-<lb/>
laubet, daß ich der Fraͤulein <hirendition="#fr">Howe</hi>ſeinen Aufſatz<lb/>
zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun-<lb/>
den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch-<lb/>ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber-<lb/>ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon<lb/>
reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein<lb/><hirendition="#fr">Howe</hi> erhalten haͤtte.</p><lb/><p>Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte<lb/>
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig<lb/>
iſt! ‒‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle,<lb/>
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander<lb/>ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten,<lb/>
wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht<lb/>
weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be-<lb/>
dingungen billigen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jch</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[93/0099]
kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn
er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ-
ſig Freunde ſind.
Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei-
ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine
danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte
bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.
Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒ ‒
Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an?
Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden
laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen
habe, als ſie hoffeten ‒ ‒
Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er-
laubet, daß ich der Fraͤulein Howe ſeinen Aufſatz
zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun-
den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch-
ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber-
ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon
reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein
Howe erhalten haͤtte.
Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig
iſt! ‒ ‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle,
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander
ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten,
wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht
weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be-
dingungen billigen.
Jch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/99>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.