Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die Furcht ertragen, die dieser Gedancke nothwendig er- wecket? Das ist meine, das ist Jhre Clärchen!
Sie schreibet: er und seine Freunde liegen ihr beständig an, daß sie ihn heyrathen möge. Sie muß gewiß Ursachen haben, daß sie sich an uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller- hand Anmerckungen gemacht, um es in unsern Au- gen noch schwärtzer vorzustellen. Wie weit verliert sich endlich ein verführtes Hertz von der rechten Bahn, wenn es einen sündlichen Schritt gewaget hat? - - - Ueber dieses alles wird jetzt nur durch Fremde bey uns angefraget, damit der Eigensinn und Stoltz unserer Tochter ja nicht gekräncket werden möge, und sie immer sagen könne, sie habe sich nicht an uns gewandt!
Ein vor allemahl, so ist jetzt gantz die unrechte Zeit, wenn ich auch geneigt wäre, mich ihrer anzu- nehmen. Jetzt, sage ich, nachdem mein Bruder Harlowe das Gesuch des Herrn Hickmans abge- wiesen hat, (wie er uns gestern Abend erzählete) und dieses von jedermann gebilliget ist: jetzt, da mein Bruder Anton eben aus Verdruß über sie sich ent- schlossen hat, sein grosses Vermögen an eine andere Familie zu bringen. Und bey dem allen wird sie noch ohne Zweifel erwarten, in den Besitz ihres Gu- tes gesetzt, und für ihre Sünde des Ungehorsams belohnt zu werden. Sie erbietet sich noch immer zu Bedingungen, die schon ehemahls verworffen sind: (nicht aus meiner Schuld! dessen giebt mir mein Gewissen Zeugniß.)
Sie
Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die Furcht ertragen, die dieſer Gedancke nothwendig er- wecket? Das iſt meine, das iſt Jhre Claͤrchen!
Sie ſchreibet: er und ſeine Freunde liegen ihr beſtaͤndig an, daß ſie ihn heyrathen moͤge. Sie muß gewiß Urſachen haben, daß ſie ſich an uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller- hand Anmerckungen gemacht, um es in unſern Au- gen noch ſchwaͤrtzer vorzuſtellen. Wie weit verliert ſich endlich ein verfuͤhrtes Hertz von der rechten Bahn, wenn es einen ſuͤndlichen Schritt gewaget hat? ‒ ‒ ‒ Ueber dieſes alles wird jetzt nur durch Fremde bey uns angefraget, damit der Eigenſinn und Stoltz unſerer Tochter ja nicht gekraͤncket werden moͤge, und ſie immer ſagen koͤnne, ſie habe ſich nicht an uns gewandt!
Ein vor allemahl, ſo iſt jetzt gantz die unrechte Zeit, wenn ich auch geneigt waͤre, mich ihrer anzu- nehmen. Jetzt, ſage ich, nachdem mein Bruder Harlowe das Geſuch des Herrn Hickmans abge- wieſen hat, (wie er uns geſtern Abend erzaͤhlete) und dieſes von jedermann gebilliget iſt: jetzt, da mein Bruder Anton eben aus Verdruß uͤber ſie ſich ent- ſchloſſen hat, ſein groſſes Vermoͤgen an eine andere Familie zu bringen. Und bey dem allen wird ſie noch ohne Zweifel erwarten, in den Beſitz ihres Gu- tes geſetzt, und fuͤr ihre Suͤnde des Ungehorſams belohnt zu werden. Sie erbietet ſich noch immer zu Bedingungen, die ſchon ehemahls verworffen ſind: (nicht aus meiner Schuld! deſſen giebt mir mein Gewiſſen Zeugniß.)
Sie
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Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die
Furcht ertragen, die dieſer Gedancke nothwendig er-
wecket? Das iſt meine, das iſt Jhre Claͤrchen!
Sie ſchreibet: er und ſeine Freunde liegen
ihr beſtaͤndig an, daß ſie ihn heyrathen moͤge.
Sie muß gewiß Urſachen haben, daß ſie ſich an
uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller-
hand Anmerckungen gemacht, um es in unſern Au-
gen noch ſchwaͤrtzer vorzuſtellen. Wie weit verliert
ſich endlich ein verfuͤhrtes Hertz von der rechten Bahn,
wenn es einen ſuͤndlichen Schritt gewaget hat? ‒ ‒ ‒
Ueber dieſes alles wird jetzt nur durch Fremde bey
uns angefraget, damit der Eigenſinn und Stoltz
unſerer Tochter ja nicht gekraͤncket werden moͤge,
und ſie immer ſagen koͤnne, ſie habe ſich nicht an
uns gewandt!
Ein vor allemahl, ſo iſt jetzt gantz die unrechte
Zeit, wenn ich auch geneigt waͤre, mich ihrer anzu-
nehmen. Jetzt, ſage ich, nachdem mein Bruder
Harlowe das Geſuch des Herrn Hickmans abge-
wieſen hat, (wie er uns geſtern Abend erzaͤhlete) und
dieſes von jedermann gebilliget iſt: jetzt, da mein
Bruder Anton eben aus Verdruß uͤber ſie ſich ent-
ſchloſſen hat, ſein groſſes Vermoͤgen an eine andere
Familie zu bringen. Und bey dem allen wird ſie
noch ohne Zweifel erwarten, in den Beſitz ihres Gu-
tes geſetzt, und fuͤr ihre Suͤnde des Ungehorſams
belohnt zu werden. Sie erbietet ſich noch immer zu
Bedingungen, die ſchon ehemahls verworffen ſind:
(nicht aus meiner Schuld! deſſen giebt mir mein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/60>, abgerufen am 30.01.2025.
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