von seiner Gemahlin zu erbrechen. Als ich nach Hause kam, wollte sie weder mit mir speisen, noch mich sonst sprechen. Sie hat den Brief er- öffnet: sie erkennet sich also selbst, so hochmüthig und mürrisch sie auch ist, für meine Gemahlin.
Jch freue mich, daß der Brief eingelaufen ist, ehe wir uns völlig vertragen haben: sonst könn- te sie es für eine List halten, dadurch ich die Sa- che von neuen zu verzögern suchte. Nun können wir den alten und neuen Streit auf einmahl ab- thun: und das ist vortheilhaft für mich. Wie sehr ist ihr liebes hochmüthiges Hertz gedemüthi- get, wenn ich daran zurück gedencke, wie ich sie zuerst kennen lernete! Jetzt ist sie so demüthig, daß sie einen Verzug von mir befürchten kann, und sich darüber grämet.
Jch kam zu dem Mittags-Essen nach Hause. Sie schickte mir den Brief zu, und bat um Ver- gebung, daß sie ihn erbrochen hätte. Sie hätte es gethan, ehe sie die Aufschrift gelesen hätte. Mädchens-Stoltz! Belford. Erst besinnet sie sich: hernach gehet sie einen Schritt zurück.
Jch bat mir Erlaubniß aus, sogleich wegen des Briefes mit ihr zu reden: allein sie will es mir nicht eher erlauben, als morgen früh. Jch muß sie noch so weit bringen, ehe unsere Comö- die zum Ende gehet, daß sie mir bekennet, sie kön- ne mich nicht zu oft sprechen.
Meine Ungeduld war bey einer so unerwar- teten Gelegenheit allzu groß. Jch schrieb an sie: "ich wäre wegen des Zufalles auf das äußerste
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Vierter Theil. S
von ſeiner Gemahlin zu erbrechen. Als ich nach Hauſe kam, wollte ſie weder mit mir ſpeiſen, noch mich ſonſt ſprechen. Sie hat den Brief er- oͤffnet: ſie erkennet ſich alſo ſelbſt, ſo hochmuͤthig und muͤrriſch ſie auch iſt, fuͤr meine Gemahlin.
Jch freue mich, daß der Brief eingelaufen iſt, ehe wir uns voͤllig vertragen haben: ſonſt koͤnn- te ſie es fuͤr eine Liſt halten, dadurch ich die Sa- che von neuen zu verzoͤgern ſuchte. Nun koͤnnen wir den alten und neuen Streit auf einmahl ab- thun: und das iſt vortheilhaft fuͤr mich. Wie ſehr iſt ihr liebes hochmuͤthiges Hertz gedemuͤthi- get, wenn ich daran zuruͤck gedencke, wie ich ſie zuerſt kennen lernete! Jetzt iſt ſie ſo demuͤthig, daß ſie einen Verzug von mir befuͤrchten kann, und ſich daruͤber graͤmet.
Jch kam zu dem Mittags-Eſſen nach Hauſe. Sie ſchickte mir den Brief zu, und bat um Ver- gebung, daß ſie ihn erbrochen haͤtte. Sie haͤtte es gethan, ehe ſie die Aufſchrift geleſen haͤtte. Maͤdchens-Stoltz! Belford. Erſt beſinnet ſie ſich: hernach gehet ſie einen Schritt zuruͤck.
Jch bat mir Erlaubniß aus, ſogleich wegen des Briefes mit ihr zu reden: allein ſie will es mir nicht eher erlauben, als morgen fruͤh. Jch muß ſie noch ſo weit bringen, ehe unſere Comoͤ- die zum Ende gehet, daß ſie mir bekennet, ſie koͤn- ne mich nicht zu oft ſprechen.
Meine Ungeduld war bey einer ſo unerwar- teten Gelegenheit allzu groß. Jch ſchrieb an ſie: „ich waͤre wegen des Zufalles auf das aͤußerſte
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von ſeiner Gemahlin zu erbrechen. Als ich
nach Hauſe kam, wollte ſie weder mit mir ſpeiſen,
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oͤffnet: ſie erkennet ſich alſo ſelbſt, ſo hochmuͤthig
und muͤrriſch ſie auch iſt, fuͤr meine Gemahlin.
Jch freue mich, daß der Brief eingelaufen iſt,
ehe wir uns voͤllig vertragen haben: ſonſt koͤnn-
te ſie es fuͤr eine Liſt halten, dadurch ich die Sa-
che von neuen zu verzoͤgern ſuchte. Nun koͤnnen
wir den alten und neuen Streit auf einmahl ab-
thun: und das iſt vortheilhaft fuͤr mich. Wie
ſehr iſt ihr liebes hochmuͤthiges Hertz gedemuͤthi-
get, wenn ich daran zuruͤck gedencke, wie ich ſie
zuerſt kennen lernete! Jetzt iſt ſie ſo demuͤthig,
daß ſie einen Verzug von mir befuͤrchten kann,
und ſich daruͤber graͤmet.
Jch kam zu dem Mittags-Eſſen nach Hauſe.
Sie ſchickte mir den Brief zu, und bat um Ver-
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Maͤdchens-Stoltz! Belford. Erſt beſinnet ſie
ſich: hernach gehet ſie einen Schritt zuruͤck.
Jch bat mir Erlaubniß aus, ſogleich wegen
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die zum Ende gehet, daß ſie mir bekennet, ſie koͤn-
ne mich nicht zu oft ſprechen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/279>, abgerufen am 16.02.2025.
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