"Sie nicht selbst mich bey den Erklärungen, die "Sie gegen mich gethan haben, mein Betragen "billigen müssen? Wenn Sie es nicht billigen, so "müssen unsere Gemüther so sonderbahr verschie- "den seyn, daß keine nähere Vereinigung zu wün- "schen ist zwischen Jhnen und
"Clarissa Harlowe."
"den 20sten May.
Dieses liebe Blat fand Dorcas bey nahe gantz entzwey gerissen. Vermuthlich ist das geschehen, als sie einmahl auf mich böse war. Der grös- seste Ruhm des schönen Geschlechts bestehet in Sanftmuth und Verleugnung: warum werden denn die lieben Kinder bisweilen so böse? Da sie sich vor der Hochzeit solche Freyheiten heraus nimmt, was werde ich künftig zu erwarten haben?
Was für ein Ding; eine böse Frau! Es ist (mit Erlaubniß der Schönen) verflucht unver- schämt, und eben so dumm als unverschämt, wenn eine Frau böse wird, und doch nicht den Vorsatz hat, sich auf ewig von ihrem Manne abzusondern, oder ihm auf eine gottlose Art Trotz zu bieten. Sie verlieren dadurch auf einmahl ihre bewegli- che und sanftmüthige Kunst anzuklagen, und uns die Sache recht vernünftig und mütterlich vorzu- stellen, die durch Seufzer, durch gebogene Kniee, durch gerungene Hände und durch Blicke nach dem Gesichte ihres Gebieters unsere Augen zu Thränen zwinget, und eine baldige und dauerhafte Versöh- nung zuwege bringet. Selbst alsdenn, wenn
der
„Sie nicht ſelbſt mich bey den Erklaͤrungen, die „Sie gegen mich gethan haben, mein Betragen „billigen muͤſſen? Wenn Sie es nicht billigen, ſo „muͤſſen unſere Gemuͤther ſo ſonderbahr verſchie- „den ſeyn, daß keine naͤhere Vereinigung zu wuͤn- „ſchen iſt zwiſchen Jhnen und
„Clariſſa Harlowe.„
„den 20ſten May.
Dieſes liebe Blat fand Dorcas bey nahe gantz entzwey geriſſen. Vermuthlich iſt das geſchehen, als ſie einmahl auf mich boͤſe war. Der groͤſ- ſeſte Ruhm des ſchoͤnen Geſchlechts beſtehet in Sanftmuth und Verleugnung: warum werden denn die lieben Kinder bisweilen ſo boͤſe? Da ſie ſich vor der Hochzeit ſolche Freyheiten heraus nimmt, was werde ich kuͤnftig zu erwarten haben?
Was fuͤr ein Ding; eine boͤſe Frau! Es iſt (mit Erlaubniß der Schoͤnen) verflucht unver- ſchaͤmt, und eben ſo dumm als unverſchaͤmt, wenn eine Frau boͤſe wird, und doch nicht den Vorſatz hat, ſich auf ewig von ihrem Manne abzuſondern, oder ihm auf eine gottloſe Art Trotz zu bieten. Sie verlieren dadurch auf einmahl ihre bewegli- che und ſanftmuͤthige Kunſt anzuklagen, und uns die Sache recht vernuͤnftig und muͤtterlich vorzu- ſtellen, die durch Seufzer, durch gebogene Kniee, durch gerungene Haͤnde und durch Blicke nach dem Geſichte ihres Gebieters unſere Augen zu Thraͤnen zwinget, und eine baldige und dauerhafte Verſoͤh- nung zuwege bringet. Selbſt alsdenn, wenn
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„Sie nicht ſelbſt mich bey den Erklaͤrungen, die
„Sie gegen mich gethan haben, mein Betragen
„billigen muͤſſen? Wenn Sie es nicht billigen, ſo
„muͤſſen unſere Gemuͤther ſo ſonderbahr verſchie-
„den ſeyn, daß keine naͤhere Vereinigung zu wuͤn-
„ſchen iſt zwiſchen Jhnen und
„Clariſſa Harlowe.„
„den 20ſten May.
Dieſes liebe Blat fand Dorcas bey nahe gantz
entzwey geriſſen. Vermuthlich iſt das geſchehen,
als ſie einmahl auf mich boͤſe war. Der groͤſ-
ſeſte Ruhm des ſchoͤnen Geſchlechts beſtehet in
Sanftmuth und Verleugnung: warum werden
denn die lieben Kinder bisweilen ſo boͤſe? Da ſie ſich
vor der Hochzeit ſolche Freyheiten heraus nimmt,
was werde ich kuͤnftig zu erwarten haben?
Was fuͤr ein Ding; eine boͤſe Frau! Es
iſt (mit Erlaubniß der Schoͤnen) verflucht unver-
ſchaͤmt, und eben ſo dumm als unverſchaͤmt, wenn
eine Frau boͤſe wird, und doch nicht den Vorſatz
hat, ſich auf ewig von ihrem Manne abzuſondern,
oder ihm auf eine gottloſe Art Trotz zu bieten.
Sie verlieren dadurch auf einmahl ihre bewegli-
che und ſanftmuͤthige Kunſt anzuklagen, und uns
die Sache recht vernuͤnftig und muͤtterlich vorzu-
ſtellen, die durch Seufzer, durch gebogene Kniee,
durch gerungene Haͤnde und durch Blicke nach dem
Geſichte ihres Gebieters unſere Augen zu Thraͤnen
zwinget, und eine baldige und dauerhafte Verſoͤh-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/266>, abgerufen am 16.02.2025.
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