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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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Jch bat sie, daß sie reden, daß sie mich ansehen,
daß sie mich nur durch Einen günstigen Blick er-
freuen möchte.

Sie sagte mir: meine Klage über ihre Kalt-
sinnigkeit sey nicht ungegründet. Sie könnte
nichts edles in meinem Gemüthe wahrnehmen.
Alle Gefälligkeiten und Wohlthaten wären an mir
verlohren. Meine wunderliche Aufführung seit
Sonnabend Abends überzeugete sie hievon: und
sie könnte bis jetzund die Ursache noch nicht erra-
then, die mich bewogen hätte, so wunderlich zu seyn.
Alle gute Hoffnung, die sie von mir gefasset hätte,
sey nun zu Wasser geworden, und meine gantze
Weise gefiel ihr nicht.

Dieses war ein Stich in mein Hertz. Jch
glaube, daß die Wahrheit einem Schuldigen im-
mer empfindlicher ist, als eine falsche Anklage ei-
nem Unschuldigen.

Jch bath sie nur um Geduld, meine Verant-
wortung anzuhören, und zu vernehmen, was die
Ursache dieser Veränderung gewesen sey. Jch
gestand von neuen, daß ich ein hochmüthiges Hertz
habe, dem es unerträglich sey, von einem solchen
Frauenzimmer, das ich gern die Meinige nennen
wollte, nicht allen Menschen in der Welt vorgezo-
gen zu werden. Der Ehestand müsse von kei-
ner Seiten kaltsinnig oder gleichgültig angetreten
werden.

Sie fiel mir in die Rede: es ist eine Unver-
schämtheit, es ist ein Hochmuth, daß sie Zeichen der
Werthachtung erwarten, und sich doch nicht be-

mühen


Jch bat ſie, daß ſie reden, daß ſie mich anſehen,
daß ſie mich nur durch Einen guͤnſtigen Blick er-
freuen moͤchte.

Sie ſagte mir: meine Klage uͤber ihre Kalt-
ſinnigkeit ſey nicht ungegruͤndet. Sie koͤnnte
nichts edles in meinem Gemuͤthe wahrnehmen.
Alle Gefaͤlligkeiten und Wohlthaten waͤren an mir
verlohren. Meine wunderliche Auffuͤhrung ſeit
Sonnabend Abends uͤberzeugete ſie hievon: und
ſie koͤnnte bis jetzund die Urſache noch nicht erra-
then, die mich bewogen haͤtte, ſo wunderlich zu ſeyn.
Alle gute Hoffnung, die ſie von mir gefaſſet haͤtte,
ſey nun zu Waſſer geworden, und meine gantze
Weiſe gefiel ihr nicht.

Dieſes war ein Stich in mein Hertz. Jch
glaube, daß die Wahrheit einem Schuldigen im-
mer empfindlicher iſt, als eine falſche Anklage ei-
nem Unſchuldigen.

Jch bath ſie nur um Geduld, meine Verant-
wortung anzuhoͤren, und zu vernehmen, was die
Urſache dieſer Veraͤnderung geweſen ſey. Jch
geſtand von neuen, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz
habe, dem es unertraͤglich ſey, von einem ſolchen
Frauenzimmer, das ich gern die Meinige nennen
wollte, nicht allen Menſchen in der Welt vorgezo-
gen zu werden. Der Eheſtand muͤſſe von kei-
ner Seiten kaltſinnig oder gleichguͤltig angetreten
werden.

Sie fiel mir in die Rede: es iſt eine Unver-
ſchaͤmtheit, es iſt ein Hochmuth, daß ſie Zeichen der
Werthachtung erwarten, und ſich doch nicht be-

muͤhen
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[240/0246] Jch bat ſie, daß ſie reden, daß ſie mich anſehen, daß ſie mich nur durch Einen guͤnſtigen Blick er- freuen moͤchte. Sie ſagte mir: meine Klage uͤber ihre Kalt- ſinnigkeit ſey nicht ungegruͤndet. Sie koͤnnte nichts edles in meinem Gemuͤthe wahrnehmen. Alle Gefaͤlligkeiten und Wohlthaten waͤren an mir verlohren. Meine wunderliche Auffuͤhrung ſeit Sonnabend Abends uͤberzeugete ſie hievon: und ſie koͤnnte bis jetzund die Urſache noch nicht erra- then, die mich bewogen haͤtte, ſo wunderlich zu ſeyn. Alle gute Hoffnung, die ſie von mir gefaſſet haͤtte, ſey nun zu Waſſer geworden, und meine gantze Weiſe gefiel ihr nicht. Dieſes war ein Stich in mein Hertz. Jch glaube, daß die Wahrheit einem Schuldigen im- mer empfindlicher iſt, als eine falſche Anklage ei- nem Unſchuldigen. Jch bath ſie nur um Geduld, meine Verant- wortung anzuhoͤren, und zu vernehmen, was die Urſache dieſer Veraͤnderung geweſen ſey. Jch geſtand von neuen, daß ich ein hochmuͤthiges Hertz habe, dem es unertraͤglich ſey, von einem ſolchen Frauenzimmer, das ich gern die Meinige nennen wollte, nicht allen Menſchen in der Welt vorgezo- gen zu werden. Der Eheſtand muͤſſe von kei- ner Seiten kaltſinnig oder gleichguͤltig angetreten werden. Sie fiel mir in die Rede: es iſt eine Unver- ſchaͤmtheit, es iſt ein Hochmuth, daß ſie Zeichen der Werthachtung erwarten, und ſich doch nicht be- muͤhen

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/246>, abgerufen am 23.11.2024.