noch einige Werthachtung für mich haben, so las- sen sie mich weggehen.
Die Nacht, die Mitternacht ist die eintzige Zeit, in der ich siegen kann. Ueberfall, Schre- cken, alles muß angewandt werden, wenn mein Sturm nicht abgeschlagen werden soll: Die Frauensleute hier in dem Hause mögen sagen, was sie wollen. Jch müßte meinen Vorsatz fahren lassen. Dieses war nicht das erstemahl, da ich vorhatte, sie auf die Probe zu setzen, ob sie ver- geben könnte.
Jch küssete ihre Hand so, als wenn meine Lip- pen daran kleben bleiben sollten. So gehen sie denn weg, allerliebstes Kind, und ewig liebes Kind. Jch war zwar sehr verdrießlich, als ich zu ihnen kam: denn es ist mir unerträglich, daß sie so fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl ihr Wille ist, so gehen sie hinauf. Fällen sie ein solches Urtheil über mich, wie es sich für ihr edles Hertz schicket, und wie ich es verdiene. Darf ich nicht hoffen, sie morgen in einer solchen Fassung zu sehen, die sich zu unsern jetzigen Umständen und zu dem, was wir hoffen, besser schicket? Jch führte sie mit diesen Worten an die Thür, und verließ sie. Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun- ter, sondern verschloß mich in meine Stube, weil ich mich schämete, daß ihr vornehmes und liebens- würdiges Gesicht, und ihre wachsame Tugend, ei- nen solchen Sieg über mich erhalten hatte, nach- dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun- din, die sie selbst durch ihre Nachrichten veranlas-
set
noch einige Werthachtung fuͤr mich haben, ſo laſ- ſen ſie mich weggehen.
Die Nacht, die Mitternacht iſt die eintzige Zeit, in der ich ſiegen kann. Ueberfall, Schre- cken, alles muß angewandt werden, wenn mein Sturm nicht abgeſchlagen werden ſoll: Die Frauensleute hier in dem Hauſe moͤgen ſagen, was ſie wollen. Jch muͤßte meinen Vorſatz fahren laſſen. Dieſes war nicht das erſtemahl, da ich vorhatte, ſie auf die Probe zu ſetzen, ob ſie ver- geben koͤnnte.
Jch kuͤſſete ihre Hand ſo, als wenn meine Lip- pen daran kleben bleiben ſollten. So gehen ſie denn weg, allerliebſtes Kind, und ewig liebes Kind. Jch war zwar ſehr verdrießlich, als ich zu ihnen kam: denn es iſt mir unertraͤglich, daß ſie ſo fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl ihr Wille iſt, ſo gehen ſie hinauf. Faͤllen ſie ein ſolches Urtheil uͤber mich, wie es ſich fuͤr ihr edles Hertz ſchicket, und wie ich es verdiene. Darf ich nicht hoffen, ſie morgen in einer ſolchen Faſſung zu ſehen, die ſich zu unſern jetzigen Umſtaͤnden und zu dem, was wir hoffen, beſſer ſchicket? Jch fuͤhrte ſie mit dieſen Worten an die Thuͤr, und verließ ſie. Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun- ter, ſondern verſchloß mich in meine Stube, weil ich mich ſchaͤmete, daß ihr vornehmes und liebens- wuͤrdiges Geſicht, und ihre wachſame Tugend, ei- nen ſolchen Sieg uͤber mich erhalten hatte, nach- dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun- din, die ſie ſelbſt durch ihre Nachrichten veranlaſ-
ſet
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0228"n="222"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
noch einige Werthachtung fuͤr mich haben, ſo laſ-<lb/>ſen ſie mich weggehen.</p><lb/><p>Die Nacht, die Mitternacht iſt die eintzige<lb/>
Zeit, in der ich ſiegen kann. Ueberfall, Schre-<lb/>
cken, alles muß angewandt werden, wenn mein<lb/>
Sturm nicht abgeſchlagen werden ſoll: Die<lb/>
Frauensleute hier in dem Hauſe moͤgen ſagen, was<lb/>ſie wollen. Jch muͤßte meinen Vorſatz fahren<lb/>
laſſen. Dieſes war nicht das erſtemahl, da ich<lb/><hirendition="#fr">vorhatte,</hi>ſie auf die Probe zu ſetzen, ob ſie ver-<lb/>
geben koͤnnte.</p><lb/><p>Jch kuͤſſete ihre Hand ſo, als wenn meine Lip-<lb/>
pen daran kleben bleiben ſollten. So gehen ſie<lb/>
denn weg, allerliebſtes Kind, und ewig liebes Kind.<lb/>
Jch war zwar ſehr verdrießlich, als ich zu ihnen<lb/>
kam: denn es iſt mir unertraͤglich, daß ſie ſo<lb/>
fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl<lb/>
ihr Wille iſt, ſo gehen ſie hinauf. Faͤllen ſie ein<lb/>ſolches Urtheil uͤber mich, wie es ſich fuͤr ihr edles<lb/>
Hertz ſchicket, und wie ich es verdiene. Darf ich<lb/>
nicht hoffen, ſie morgen in einer ſolchen Faſſung zu<lb/>ſehen, die ſich zu unſern jetzigen Umſtaͤnden und zu<lb/>
dem, was wir hoffen, beſſer ſchicket? Jch fuͤhrte<lb/>ſie mit dieſen Worten an die Thuͤr, und verließ ſie.<lb/>
Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun-<lb/>
ter, ſondern verſchloß mich in meine Stube, weil<lb/>
ich mich ſchaͤmete, daß ihr vornehmes und liebens-<lb/>
wuͤrdiges Geſicht, und ihre wachſame Tugend, ei-<lb/>
nen ſolchen Sieg uͤber mich erhalten hatte, nach-<lb/>
dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun-<lb/>
din, die ſie ſelbſt durch ihre Nachrichten veranlaſ-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſet</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[222/0228]
noch einige Werthachtung fuͤr mich haben, ſo laſ-
ſen ſie mich weggehen.
Die Nacht, die Mitternacht iſt die eintzige
Zeit, in der ich ſiegen kann. Ueberfall, Schre-
cken, alles muß angewandt werden, wenn mein
Sturm nicht abgeſchlagen werden ſoll: Die
Frauensleute hier in dem Hauſe moͤgen ſagen, was
ſie wollen. Jch muͤßte meinen Vorſatz fahren
laſſen. Dieſes war nicht das erſtemahl, da ich
vorhatte, ſie auf die Probe zu ſetzen, ob ſie ver-
geben koͤnnte.
Jch kuͤſſete ihre Hand ſo, als wenn meine Lip-
pen daran kleben bleiben ſollten. So gehen ſie
denn weg, allerliebſtes Kind, und ewig liebes Kind.
Jch war zwar ſehr verdrießlich, als ich zu ihnen
kam: denn es iſt mir unertraͤglich, daß ſie ſo
fremde gegen mich thun. Allein, weil es einmahl
ihr Wille iſt, ſo gehen ſie hinauf. Faͤllen ſie ein
ſolches Urtheil uͤber mich, wie es ſich fuͤr ihr edles
Hertz ſchicket, und wie ich es verdiene. Darf ich
nicht hoffen, ſie morgen in einer ſolchen Faſſung zu
ſehen, die ſich zu unſern jetzigen Umſtaͤnden und zu
dem, was wir hoffen, beſſer ſchicket? Jch fuͤhrte
ſie mit dieſen Worten an die Thuͤr, und verließ ſie.
Jch gieng aber nicht zu den Frauensleuten hinun-
ter, ſondern verſchloß mich in meine Stube, weil
ich mich ſchaͤmete, daß ihr vornehmes und liebens-
wuͤrdiges Geſicht, und ihre wachſame Tugend, ei-
nen ſolchen Sieg uͤber mich erhalten hatte, nach-
dem ich durch die Briefe ihrer unartigen Freun-
din, die ſie ſelbſt durch ihre Nachrichten veranlaſ-
ſet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/228>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.