Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Jn dem folgenden Theil des Briefes schlägt die
Flamme der Freundschaft lichterloh und mit großen
Lermen in die Höhe. Jch habe mir nie vorhin
eingebildet, daß eine so heisse Freundschaft zwischen
zwey schönen Kindern seyn könnte. Allein viel-
leicht wird die Freundschaft selbst durch den Wi-
dersprechungs-Geist hitziger, der dem weiblichen
Geschlechte das Leben giebt und es nach der Ro-
maine bildet.

Sie plaudert viel davon, daß sie nach
London kommen will,
wenn sie der Fräulein
Harlowe den Verdruß ersparen kann, sich
so tief herunter zu lassen, oder wenn sie gar
noch größerm Unglück vorbeugen kann.

Ein Rohr-Stab lehnt sich auf den andern.
Diese Mädchens haben keinen Verstand bey ihrer
Freundschaft: sie wissen nicht, was ein gesetztes
und beständiges Feuer ist.

Wie geht es aber zu, daß mir der Muth dieser
Amazonin so wohl gefällt, ob er mir gleich so viel
Schaden thut? Wenn ich sie nur hier hätte, so sollte
sie in acht Tagen einen Gehorsam ohne Bedin-
gungen lernen. Wie würde es mich vergnügen,
wenn ich einen solchen Kopf brechen könnte! Einen
Monath wollte ich sie denn noch bey mir haben,
länger nicht: sie würde nachher gar zu niederge-
schlagen und gar zu zahm seyn. Wie sollte mich
das erquicken, wenn ich die beyden liebenswürdi-
gen Freundinnen gedemüthiget und gezähmet hät-
te, und sie in dem finstersten Winckel der Stube
sich einander mit Seufzen in den Armen hielten,

und


Jn dem folgenden Theil des Briefes ſchlaͤgt die
Flamme der Freundſchaft lichterloh und mit großen
Lermen in die Hoͤhe. Jch habe mir nie vorhin
eingebildet, daß eine ſo heiſſe Freundſchaft zwiſchen
zwey ſchoͤnen Kindern ſeyn koͤnnte. Allein viel-
leicht wird die Freundſchaft ſelbſt durch den Wi-
derſprechungs-Geiſt hitziger, der dem weiblichen
Geſchlechte das Leben giebt und es nach der Ro-
maine bildet.

Sie plaudert viel davon, daß ſie nach
London kommen will,
wenn ſie der Fraͤulein
Harlowe den Verdruß erſparen kann, ſich
ſo tief herunter zu laſſen, oder wenn ſie gar
noch groͤßerm Ungluͤck vorbeugen kann.

Ein Rohr-Stab lehnt ſich auf den andern.
Dieſe Maͤdchens haben keinen Verſtand bey ihrer
Freundſchaft: ſie wiſſen nicht, was ein geſetztes
und beſtaͤndiges Feuer iſt.

Wie geht es aber zu, daß mir der Muth dieſer
Amazonin ſo wohl gefaͤllt, ob er mir gleich ſo viel
Schaden thut? Wenn ich ſie nur hier haͤtte, ſo ſollte
ſie in acht Tagen einen Gehorſam ohne Bedin-
gungen lernen. Wie wuͤrde es mich vergnuͤgen,
wenn ich einen ſolchen Kopf brechen koͤnnte! Einen
Monath wollte ich ſie denn noch bey mir haben,
laͤnger nicht: ſie wuͤrde nachher gar zu niederge-
ſchlagen und gar zu zahm ſeyn. Wie ſollte mich
das erquicken, wenn ich die beyden liebenswuͤrdi-
gen Freundinnen gedemuͤthiget und gezaͤhmet haͤt-
te, und ſie in dem finſterſten Winckel der Stube
ſich einander mit Seufzen in den Armen hielten,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0212" n="206"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jn dem folgenden Theil des Briefes &#x017F;chla&#x0364;gt die<lb/>
Flamme der Freund&#x017F;chaft lichterloh und mit großen<lb/>
Lermen in die Ho&#x0364;he. Jch habe mir nie vorhin<lb/>
eingebildet, daß eine &#x017F;o hei&#x017F;&#x017F;e Freund&#x017F;chaft zwi&#x017F;chen<lb/>
zwey &#x017F;cho&#x0364;nen Kindern &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte. Allein viel-<lb/>
leicht wird die Freund&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t durch den Wi-<lb/>
der&#x017F;prechungs-Gei&#x017F;t hitziger, der dem weiblichen<lb/>
Ge&#x017F;chlechte das Leben giebt und es nach der Ro-<lb/>
maine bildet.</p><lb/>
          <p>Sie plaudert viel davon, <hi rendition="#fr">daß &#x017F;ie nach<lb/>
London kommen will,</hi> wenn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">der Fra&#x0364;ulein<lb/>
Harlowe den Verdruß er&#x017F;paren kann, &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o tief herunter zu la&#x017F;&#x017F;en, oder wenn &#x017F;ie gar<lb/>
noch gro&#x0364;ßerm Unglu&#x0364;ck vorbeugen kann.</hi><lb/>
Ein Rohr-Stab lehnt &#x017F;ich auf den andern.<lb/>
Die&#x017F;e Ma&#x0364;dchens haben keinen Ver&#x017F;tand bey ihrer<lb/>
Freund&#x017F;chaft: &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en nicht, was ein ge&#x017F;etztes<lb/>
und be&#x017F;ta&#x0364;ndiges Feuer i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wie geht es aber zu, daß mir der Muth die&#x017F;er<lb/>
Amazonin &#x017F;o wohl gefa&#x0364;llt, ob er mir gleich &#x017F;o viel<lb/>
Schaden thut? Wenn ich &#x017F;ie nur hier ha&#x0364;tte, &#x017F;o &#x017F;ollte<lb/>
&#x017F;ie in acht Tagen einen Gehor&#x017F;am ohne Bedin-<lb/>
gungen lernen. Wie wu&#x0364;rde es mich vergnu&#x0364;gen,<lb/>
wenn ich einen &#x017F;olchen Kopf brechen ko&#x0364;nnte! Einen<lb/>
Monath wollte ich &#x017F;ie denn noch bey mir haben,<lb/>
la&#x0364;nger nicht: &#x017F;ie wu&#x0364;rde nachher gar zu niederge-<lb/>
&#x017F;chlagen und gar zu zahm &#x017F;eyn. Wie &#x017F;ollte mich<lb/>
das erquicken, wenn ich die beyden liebenswu&#x0364;rdi-<lb/>
gen Freundinnen gedemu&#x0364;thiget und geza&#x0364;hmet ha&#x0364;t-<lb/>
te, und &#x017F;ie in dem fin&#x017F;ter&#x017F;ten Winckel der Stube<lb/>
&#x017F;ich einander mit Seufzen in den Armen hielten,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0212] Jn dem folgenden Theil des Briefes ſchlaͤgt die Flamme der Freundſchaft lichterloh und mit großen Lermen in die Hoͤhe. Jch habe mir nie vorhin eingebildet, daß eine ſo heiſſe Freundſchaft zwiſchen zwey ſchoͤnen Kindern ſeyn koͤnnte. Allein viel- leicht wird die Freundſchaft ſelbſt durch den Wi- derſprechungs-Geiſt hitziger, der dem weiblichen Geſchlechte das Leben giebt und es nach der Ro- maine bildet. Sie plaudert viel davon, daß ſie nach London kommen will, wenn ſie der Fraͤulein Harlowe den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief herunter zu laſſen, oder wenn ſie gar noch groͤßerm Ungluͤck vorbeugen kann. Ein Rohr-Stab lehnt ſich auf den andern. Dieſe Maͤdchens haben keinen Verſtand bey ihrer Freundſchaft: ſie wiſſen nicht, was ein geſetztes und beſtaͤndiges Feuer iſt. Wie geht es aber zu, daß mir der Muth dieſer Amazonin ſo wohl gefaͤllt, ob er mir gleich ſo viel Schaden thut? Wenn ich ſie nur hier haͤtte, ſo ſollte ſie in acht Tagen einen Gehorſam ohne Bedin- gungen lernen. Wie wuͤrde es mich vergnuͤgen, wenn ich einen ſolchen Kopf brechen koͤnnte! Einen Monath wollte ich ſie denn noch bey mir haben, laͤnger nicht: ſie wuͤrde nachher gar zu niederge- ſchlagen und gar zu zahm ſeyn. Wie ſollte mich das erquicken, wenn ich die beyden liebenswuͤrdi- gen Freundinnen gedemuͤthiget und gezaͤhmet haͤt- te, und ſie in dem finſterſten Winckel der Stube ſich einander mit Seufzen in den Armen hielten, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/212
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/212>, abgerufen am 23.11.2024.