Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



"junges Blut? An ihr Vermögen und Stand
"mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur
"zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein
"Hertz edel ist. Jch habe dir sonsten schon geschrie-
"ben, wie ich hierin gesinnet bin. Was die Ge-
"stalt
anlanget, so bitte ich dich Belford, zwinge
"mich nicht unverschämt zu seyn, und stelle selbst zwi-
"schen mir und meiner Clarissa eine Vergleichung
"an. Was sie unter ihrem Geschlechte ist, das bin ich
"vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug
"über den wir noch streiten können, bestehet in dem
"Verstande und in der behutsamen Klugheit:
"darüber wollen wir auch streiten, und es ausma-
"chen, wem der Preis gebühret.

"Es ist dieses für sie und für mich ein betrübtes
"Leben, sie müßte denn von Natur argwöhnisch
"seyn. Denn wo dieses ist, so liegt ihr Misver-
"gnügen in ihrem Blute, und ist unvermeidlich:
"es wird ihr aber auch in dem Falle nichts schaden.
"Denn wer von Natur argwöhnisch ist, der wird
"die Ursachen zum Argwohn selbst erfinden, wo
"keine sind: ja meine Schöne wird mir dafür ver-
"bunden seyn müssen, daß ich ihr diese Mühe be-
"nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe.

"Es ist wahr, der ebene und gerade Weg ist
"der beste. Allein es ist mir nicht gegeben, auf
"ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein-
"tzige in der Welt, der die Krümme liebet: es giebt
"noch ausser mir viele tausende, die lieber in trü-
"ben als in stillen Wassern fischen."

Der



junges Blut? An ihr Vermoͤgen und Stand
„mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur
„zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein
„Hertz edel iſt. Jch habe dir ſonſten ſchon geſchrie-
„ben, wie ich hierin geſinnet bin. Was die Ge-
„ſtalt
anlanget, ſo bitte ich dich Belford, zwinge
„mich nicht unverſchaͤmt zu ſeyn, und ſtelle ſelbſt zwi-
„ſchen mir und meiner Clariſſa eine Vergleichung
„an. Was ſie unter ihrem Geſchlechte iſt, das bin ich
„vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug
„uͤber den wir noch ſtreiten koͤnnen, beſtehet in dem
„Verſtande und in der behutſamen Klugheit:
„daruͤber wollen wir auch ſtreiten, und es ausma-
„chen, wem der Preis gebuͤhret.

„Es iſt dieſes fuͤr ſie und fuͤr mich ein betruͤbtes
„Leben, ſie muͤßte denn von Natur argwoͤhniſch
„ſeyn. Denn wo dieſes iſt, ſo liegt ihr Misver-
„gnuͤgen in ihrem Blute, und iſt unvermeidlich:
„es wird ihr aber auch in dem Falle nichts ſchaden.
„Denn wer von Natur argwoͤhniſch iſt, der wird
„die Urſachen zum Argwohn ſelbſt erfinden, wo
„keine ſind: ja meine Schoͤne wird mir dafuͤr ver-
„bunden ſeyn muͤſſen, daß ich ihr dieſe Muͤhe be-
„nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe.

„Es iſt wahr, der ebene und gerade Weg iſt
„der beſte. Allein es iſt mir nicht gegeben, auf
„ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein-
„tzige in der Welt, der die Kruͤmme liebet: es giebt
„noch auſſer mir viele tauſende, die lieber in truͤ-
„ben als in ſtillen Waſſern fiſchen.„

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="13"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">junges Blut?</hi> An ihr <hi rendition="#fr">Vermo&#x0364;gen und Stand</hi><lb/>
&#x201E;mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur<lb/>
&#x201E;zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein<lb/>
&#x201E;Hertz edel i&#x017F;t. Jch habe dir &#x017F;on&#x017F;ten &#x017F;chon ge&#x017F;chrie-<lb/>
&#x201E;ben, wie ich hierin ge&#x017F;innet bin. Was die <hi rendition="#fr">Ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;talt</hi> anlanget, &#x017F;o bitte ich dich <hi rendition="#fr">Belford,</hi> zwinge<lb/>
&#x201E;mich nicht unver&#x017F;cha&#x0364;mt zu &#x017F;eyn, und &#x017F;telle &#x017F;elb&#x017F;t zwi-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen mir und meiner <hi rendition="#fr">Clari&#x017F;&#x017F;a</hi> eine Vergleichung<lb/>
&#x201E;an. Was &#x017F;ie unter ihrem Ge&#x017F;chlechte i&#x017F;t, das bin ich<lb/>
&#x201E;vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug<lb/>
&#x201E;u&#x0364;ber den wir noch &#x017F;treiten ko&#x0364;nnen, be&#x017F;tehet in dem<lb/>
&#x201E;Ver&#x017F;tande und in der behut&#x017F;amen Klugheit:<lb/>
&#x201E;daru&#x0364;ber wollen wir auch &#x017F;treiten, und es ausma-<lb/>
&#x201E;chen, wem der Preis gebu&#x0364;hret.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t die&#x017F;es fu&#x0364;r &#x017F;ie und fu&#x0364;r mich ein betru&#x0364;btes<lb/>
&#x201E;Leben, &#x017F;ie mu&#x0364;ßte denn von Natur argwo&#x0364;hni&#x017F;ch<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn. Denn wo die&#x017F;es i&#x017F;t, &#x017F;o liegt ihr Misver-<lb/>
&#x201E;gnu&#x0364;gen in ihrem Blute, und i&#x017F;t unvermeidlich:<lb/>
&#x201E;es wird ihr aber auch in dem Falle nichts &#x017F;chaden.<lb/>
&#x201E;Denn wer von Natur argwo&#x0364;hni&#x017F;ch i&#x017F;t, der wird<lb/>
&#x201E;die Ur&#x017F;achen zum Argwohn &#x017F;elb&#x017F;t erfinden, wo<lb/>
&#x201E;keine &#x017F;ind: ja meine Scho&#x0364;ne wird mir dafu&#x0364;r ver-<lb/>
&#x201E;bunden &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß ich ihr die&#x017F;e Mu&#x0364;he be-<lb/>
&#x201E;nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t wahr, der ebene und gerade Weg i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;der be&#x017F;te. Allein es i&#x017F;t mir nicht gegeben, auf<lb/>
&#x201E;ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein-<lb/>
&#x201E;tzige in der Welt, der die Kru&#x0364;mme liebet: es giebt<lb/>
&#x201E;noch au&#x017F;&#x017F;er mir viele tau&#x017F;ende, die lieber in tru&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ben als in &#x017F;tillen Wa&#x017F;&#x017F;ern fi&#x017F;chen.&#x201E;</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Der</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] „junges Blut? An ihr Vermoͤgen und Stand „mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur „zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein „Hertz edel iſt. Jch habe dir ſonſten ſchon geſchrie- „ben, wie ich hierin geſinnet bin. Was die Ge- „ſtalt anlanget, ſo bitte ich dich Belford, zwinge „mich nicht unverſchaͤmt zu ſeyn, und ſtelle ſelbſt zwi- „ſchen mir und meiner Clariſſa eine Vergleichung „an. Was ſie unter ihrem Geſchlechte iſt, das bin ich „vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug „uͤber den wir noch ſtreiten koͤnnen, beſtehet in dem „Verſtande und in der behutſamen Klugheit: „daruͤber wollen wir auch ſtreiten, und es ausma- „chen, wem der Preis gebuͤhret. „Es iſt dieſes fuͤr ſie und fuͤr mich ein betruͤbtes „Leben, ſie muͤßte denn von Natur argwoͤhniſch „ſeyn. Denn wo dieſes iſt, ſo liegt ihr Misver- „gnuͤgen in ihrem Blute, und iſt unvermeidlich: „es wird ihr aber auch in dem Falle nichts ſchaden. „Denn wer von Natur argwoͤhniſch iſt, der wird „die Urſachen zum Argwohn ſelbſt erfinden, wo „keine ſind: ja meine Schoͤne wird mir dafuͤr ver- „bunden ſeyn muͤſſen, daß ich ihr dieſe Muͤhe be- „nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe. „Es iſt wahr, der ebene und gerade Weg iſt „der beſte. Allein es iſt mir nicht gegeben, auf „ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein- „tzige in der Welt, der die Kruͤmme liebet: es giebt „noch auſſer mir viele tauſende, die lieber in truͤ- „ben als in ſtillen Waſſern fiſchen.„ Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/19
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/19>, abgerufen am 24.11.2024.