M. (Mit einem kleinen Munde, und in die Höhe gehobenen Augen.) Ja mein Kind! Al- lein wie kommst du sogleich auf den Herrn?
T. Wie konnte ich auf einen andern dencken?
M. Wie an einen andern dencken? was soll das seyn? (mit Unwillen) Aber weißt du auch, Aennichen, was in dem Briefe stehet?
T. Das haben sie mir schon durch die Art gesagt, mit welcher sie von diesem Briefe reden. Jch habe nie daran gezweifelt, daß er nicht bey seinem Besuche einen doppelten Endzweck haben sollte, deren einer mir so angenehm ist als der an- dere. Denn ich weiß wol, daß mich die gantze Harlowische Familie zärtlich liebet.
M. So liebt keiner von beyden ohne Ge- genliebe! Allein das ist der Lohn dafür, wenn ich dir etwas anvertrauen will. (Hier stand sie auf!) Du bist eben so, wie dein Vater. Jch konnte nie ein Hertz zu ihm haben.
T. Nehmen sie es mir nicht übel. Fassen sie zu mir ein Hertz. Aber das müssen sie mir vergeben, daß ich denen Harlowes nicht gut bin.
M. Du hast mich gantz aus meiner Fassung gebracht. (Sie setzte sich wieder unwillig nieder.)
T. Jch will gantz geduldig und andächtig zuhören. Jst es mir nicht erlaubt, den Brief zu lesen?
M. Jch wollte den Jnhalt davon eben mit dir überlegen. Aber du bist so wunderlich: du antwortest immer, ehe man noch reden kann.
T.
M. (Mit einem kleinen Munde, und in die Hoͤhe gehobenen Augen.) Ja mein Kind! Al- lein wie kommſt du ſogleich auf den Herrn?
T. Wie konnte ich auf einen andern dencken?
M. Wie an einen andern dencken? was ſoll das ſeyn? (mit Unwillen) Aber weißt du auch, Aennichen, was in dem Briefe ſtehet?
T. Das haben ſie mir ſchon durch die Art geſagt, mit welcher ſie von dieſem Briefe reden. Jch habe nie daran gezweifelt, daß er nicht bey ſeinem Beſuche einen doppelten Endzweck haben ſollte, deren einer mir ſo angenehm iſt als der an- dere. Denn ich weiß wol, daß mich die gantze Harlowiſche Familie zaͤrtlich liebet.
M. So liebt keiner von beyden ohne Ge- genliebe! Allein das iſt der Lohn dafuͤr, wenn ich dir etwas anvertrauen will. (Hier ſtand ſie auf!) Du biſt eben ſo, wie dein Vater. Jch konnte nie ein Hertz zu ihm haben.
T. Nehmen ſie es mir nicht uͤbel. Faſſen ſie zu mir ein Hertz. Aber das muͤſſen ſie mir vergeben, daß ich denen Harlowes nicht gut bin.
M. Du haſt mich gantz aus meiner Faſſung gebracht. (Sie ſetzte ſich wieder unwillig nieder.)
T. Jch will gantz geduldig und andaͤchtig zuhoͤren. Jſt es mir nicht erlaubt, den Brief zu leſen?
M. Jch wollte den Jnhalt davon eben mit dir uͤberlegen. Aber du biſt ſo wunderlich: du antworteſt immer, ehe man noch reden kann.
T.
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M. (Mit einem kleinen Munde, und in die
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T. Wie konnte ich auf einen andern dencken?
M. Wie an einen andern dencken? was
ſoll das ſeyn? (mit Unwillen) Aber weißt du
auch, Aennichen, was in dem Briefe ſtehet?
T. Das haben ſie mir ſchon durch die Art
geſagt, mit welcher ſie von dieſem Briefe reden.
Jch habe nie daran gezweifelt, daß er nicht bey
ſeinem Beſuche einen doppelten Endzweck haben
ſollte, deren einer mir ſo angenehm iſt als der an-
dere. Denn ich weiß wol, daß mich die gantze
Harlowiſche Familie zaͤrtlich liebet.
M. So liebt keiner von beyden ohne Ge-
genliebe! Allein das iſt der Lohn dafuͤr, wenn ich
dir etwas anvertrauen will. (Hier ſtand ſie auf!)
Du biſt eben ſo, wie dein Vater. Jch konnte
nie ein Hertz zu ihm haben.
T. Nehmen ſie es mir nicht uͤbel. Faſſen
ſie zu mir ein Hertz. Aber das muͤſſen ſie mir
vergeben, daß ich denen Harlowes nicht gut bin.
M. Du haſt mich gantz aus meiner Faſſung
gebracht. (Sie ſetzte ſich wieder unwillig
nieder.)
T. Jch will gantz geduldig und andaͤchtig
zuhoͤren. Jſt es mir nicht erlaubt, den Brief zu
leſen?
M. Jch wollte den Jnhalt davon eben mit
dir uͤberlegen. Aber du biſt ſo wunderlich: du
antworteſt immer, ehe man noch reden kann.
T.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/180>, abgerufen am 16.02.2025.
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